August Klingemann

Die Nachtwachen des Bonaventura


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erwiderte ich, „ich habe bisher wahrlich an den Teufel nicht geglaubt, doch seit ich euch gesehen, ist es mir klar worden, und ich bin gewiß, daß ihr zunftfähig seid. Macht eure Sachen ab, denn mit der Hölle und der Kirche kanns kein armer Nachtwächter aufnehmen.“

      Dahin fuhren sie, ins Haus hinein. Ich folgte bedenklich nach.

      Es war ein furchtbares Schauspiel. Blitz und Nacht wechselten Schlag auf Schlag, Jetzt war es hell und man sah das Handgemenge der drei um den Sarg und das Blitzen des Säbels in der Hand des eisenfesten Kriegsmannes, dazwischen schauete der Tote mit seinem blassen starren Gesichte unbeweglich wie eine Larve. Dann war es wieder tiefe Nacht, und nur fern, im Hintergrunde der Nische ein matter Schimmer und die knieende Mutter mit den drei Kindern rang im verzweifelten Gebet.

      Es ging alles still und ohne Worte zu; aber jetzt krachte es auf einmal zusammen, wie wenn der Teufel die Oberhand erhielte. Die Blitze wurden sparsamer und es blieb längere Zeit Nacht. Nach einem Weilchen indeß fuhren zwei rasch zur Tür heraus, und ich sah es durch die Finsternis bei dem Leuchten ihrer Augen ‒ sie trugen wirklich einen Toten mit sich fort.

      Da stand ich, in mich hineinfluchend vor der Tür; auf dem Flur war es ganz finster, keine Seele regte sich, und ich glaubte auch dem wackeren Kriegsmann den Hals gebrochen.

      In diesem Augenblicke flammte ein heftiger Blitz, mit dem sich die Gewitterwolke völlig entlud, und blieb, gleichsam wie eine aufgepflanzte Fackel, eine Zeitlang in der Luft ohne zu verlöschen. Da sah ich den Soldaten wieder ruhig und kalt am Sarge stehen, und die Leiche lächelte wie zuvor – aber, o Wunder! Dicht neben dem lächelnden Totenantlitze grinsete eine Teufelslarve, und der Rumpf fehlte zum Ganzen, und ein purpurroter Blutstrom färbte das weiße Sterbegewand des schlafenden Freigeistes. –

      Schaudernd wickelte ich mich in meinen Mantel, vergaß es, zu blasen und die Stunde abzusingen und floh meiner Hütte zu.

      DRITTE NACHTWACHE

      Rede des steinernen Crispinus über das Kapitel De adulteriis

      Wir Nachtwächter und Poeten kümmern uns um das Treiben der Menschen am Tage in der Tat wenig; denn es gehört zur Zeit zu den ausgemachten Wahrheiten: Die Menschen sind wenn sie handeln höchst alltäglich und man mag ihnen höchstens wenn sie träumen einiges Interesse abgewinnen.

      Aus diesem Grunde erfuhr ich denn auch von dem Ausgange jener Begebenheit nur Unzusammenhängendes, das ich ebenso unzusammenhängend mitteilen will.

      De adulteriis: Vom Ehebruch

      Über den Kopf zerbrach man sich am meisten die Köpfe, war es doch kein gewöhnlicher, sondern ein wahrhaftes Teufelshaupt. Die Justiz, der es vorgelegt wurde, wies die Sache von sich, indem sie äußerte, daß die Köpfe eben nicht in ihr Fach schlügen. Es war in der Tat ein böser Handel und man geriet sogar in Streit darüber, ob man gegen den Soldaten criminaliter verfahren, indem er einen Totschlag begangen, oder vielmehr kanonisieren müsse, weil der Erschlagene der Teufel. Aus dem letzteren entsprang wieder ein neues Übel; es wurde nämlich in mehreren Monaten keine Absolution mehr begehrt, weil man den Teufel jetzt geradezu leugnete und sich auf den in Verwahrung genommenen Kopf berief. Die Pfaffen schrien sich von den Kanzeln heiser und behaupteten ohne weiteres, daß ein Teufel auch ohne Kopf bestehen könne, wovon sie Beweisgründe aus ihren eigenen Mitteln anzuführen erbötig wären.

      Aus dem Kopfe selbst konnte man in der Tat nicht ganz klug werden. Die Physiognomie war von Eisen; doch ein Schloß, das sich an der Seite befand, führte fast auf die Vermutung, daß der Teufel noch ein zweites Gesicht unter dem ersten verborgen hätte, welches er vielleicht nur für besondere Festtage aufsparte. Das Schlimmste war, daß zu dem Schlosse, und also auch zu diesem zweiten Gesichte, der Schlüssel fehlte. Wer weiß was sonst für furchtbare Bemerkungen über Teufelsphysiognomien hätten gemacht werden können, dahingegen das erste nur ein bloßes Alltagsgesicht war, das der Teufel auf jedem Holzschnitte führt.

      In dieser allgemeinen Verwirrung und bei der Ungewißheit, ob man ein echtes Teufelshaupt vor sich habe, wurde beschlossen, daß der Kopf dem Doktor Gall in Wien zugesandt würde, damit er die untrüglichen satanischen Protuberanzen an ihm aufsuchen möchte; jetzt mischte sich plötzlich die Kirche ins Spiel und erklärte, daß sie bei solchen Entscheidungen als die erste und letzte Instanz anzusehen sei. Sie ließ sich den Schädel ausliefern, und wie es bald darauf hieß, war er verschwunden, und mehrere der geistlichen Herren wollten in der Nachtstunde den Teufel selbst gesehen haben, wie er den ihm fehlenden Kopf wieder mit sich nahm.

      Somit blieb die ganze Sache so gut, wie unaufgeklärt, um so mehr, da der einzige, der allenfalls noch einiges Licht hätte geben können, jener Pflaff nämlich, der das Anathema über den Freigeist aussprach, an einem Schlagflusse plötzlich Todes verfahren war. So sagte es wenigstens das Gerücht und die Klosterherren; denn den Leichnam selbst hatte kein Profaner gesehen, weil er, der warmen Jahreszeit wegen, schnell beigesetzt werden mußte.

      Frz. Jos. Gall († 1828): Scbädellebre; er glaubte, aus den Auswölbungen (Protuberanzen) am Schädel auf die Veranlagung schließen zu können / Anathema: Bannfluch

      Die Geschichte ging mir während meiner Nachtwache sehr im Kopfe herum, denn ich hatte bis jetzt nur an einen poetischen Teufel geglaubt, keineswegs aber an den wirklichen. Was den poetischen anbetrifft, so ist es gewiß sehr schade, daß man ihn jetzt so äußerst vernachlässiget, und statt eines absolut bösen Prinzips lieber die tugendhaften Bösewichter (in Iffland- und Kotzebuescher Manier) vorzieht, in denen der Teufel vermenschlicht und der Mensch verteufelt erscheint. In einem schwankenden Zeitalter scheut man alles Absolute und Selbständige; deshalb mögen wir denn auch weder echten Spaß, noch echten Ernst, weder echte Tugend noch echte Bosheit mehr leiden. Der Zeitcharakter ist zusammengeflickt und gestoppelt wie eine Narrenjacke, und was das Ärgste dabei ist ‒ der Narr, der darin steckt, möchte ernsthaft scheinen. –

      Als ich diese Betrachtungen anstellte, hatte ich mich in eine Nische vor einen steinernen Crispinus gestellt, der eben einen solchen grauen Mantel trug, als ich. Da bewegten sich plötzlich eine weibliche und eine männliche Gestalt dicht vor mir und lehnten sich fast an mich, weil sie mich für den Blind- und Taubstummen von Stein hielten.

      Der Mann ließ es sich recht angelegen sein im rhetorischen Bombast und sprach in einem Atem von Liebe und Treue; das Frauenbild dagegen zweifelte gläubig und machte viel künstlichen Händeringens. Jetzt berief sich der Mann kecklich auf mich und schwur, er stehe unwandelbar und unbeweglich wie das Standbild. Da wachte der Satyr in mir auf, und als jener die Hand gleichsam zur Beteuerung auf meinen Mantel legte, schüttelte ich mich boshaft ein wenig, worüber beide erstaunten; doch der Liebhaber nahms auf die leichte Achsel, und meinte der Quader unter dem Standbilde habe sich gesenkt, wodurch es das Gleichgewicht in etwas verloren.

      Er verschwur jetzt nacheinander in zehn Charaktern aus den neuesten Dramen und Tragödien seine Seele, wenn er jemals treulos; zuletzt redete er gar noch in der Manier des Don Juan, dem er diesen Abend beigewohnt hatte, und schloß mit den bedeutenden Worten: „Dieser Stein soll als furchtbarer Geist erscheinen bei unserm nächtlichen Mahle, meine ichs nicht redlich!“

      Iffland(† 1814): Schauspieler / Kotzebue († 1819): Lustspieldichter

      Ich merkte mirs und hörte nun noch, wie sie ihm das Haus beschrieb, und eine geheime Feder an der Tür, wodurch er sie öffnen könne, zugleich auch die Mitternachtsstunde zum Gastmahle festsetzte.

      Ich war eine halbe Stunde früher auf dem Platze, fand das Haus, die Tür nebst der geheimen Feder, und schlich leise mehrere Hintertreppen hinauf bis zu einem Saale, auf dem es dämmerte. Das Licht fiel durch zwei Glastüren; ich nahete mich der einen, und erblickte ein Wesen in einem Schlafrocke am Arbeitstische, von dem ich anfangs zweifelhaft blieb, ob es ein Mensch oder eine mechanische Figur sei, so sehr war alles Menschliche an ihm verwischt, und nur bloß der Ausdruck von Arbeit geblieben. Das Wesen schrieb, in Aktenstöße vergraben, wie ein lebendig eingescharrter Lappländer. Es kam mir vor, als wollte es das Treiben und Hausen unter der Erde schon im Voraus über ihr kosten, denn alles Leidenschaftliche und Teilnehmende war auf der kalten hölzernen Stirne ausgelöscht, und die Marionette saß, leblos aufgerichtet, in dem Aktensarge voll Bücherwürmer.