herum, wie nur Hunde es können, und auf den Kneipenterrassen saß man beim Bier.
Kristina hatte in dieser Gegend jahrelang ihre Dienststelle gehabt. Sie kannte jeden, und jeder kannte sie. Am liebsten ging sie in »Sofijas Skafferi«, wo es gutes, preiswertes Essen gab und eine Wirtin, die immer lächelte.
Sollten sie nicht auch lieber ein Bier trinken? Maria hatte nichts dagegen. Sie deutete diskret auf die beiden jungen Frauen, die in der Allee vor ihnen hergingen, eng umschlungen. Es waren zwei stadtbekannte junge Frauen, sie waren sich dessen bewußt, und es lag ihnen offensichtlich daran, der Welt ihre Liebe zu zeigen. Plötzlich blieben sie stehen. Die ältere hob den Fuß wie Strindbergs Fräulein Julie, und sogleich kniete die jüngere vor ihr nieder, um ihr das Schuhband zu schnüren, das sich gelöst hatte.
In Stockholm wurde gerade das »Gay Festival« gefeiert. Von Tantolunden her dröhnte Musik, überall hingen Plakate, die Schlammringkämpfe, Stöckelschuhrennen oder Schlagerwettbewerbe ankündigten. Das alles bedeutete Leben, Bewegung, nicht zuletzt Selbstdarstellung. Die Homosexuellen freuten sich, daß sie ihr eigenes Fest bekommen hatten, und die wenigsten unter ihnen besaßen genügend Scharfblick, um zu erkennen, daß damit endgültig eine Mauer zwischen ihnen und dem Rest der Gesellschaft errichtet wurde. Ungefähr so, wie wenn Einwanderer ein Lokal bekommen, in dem sie unter sich sein dürfen. Man war nicht dabei, die Homosexualität zu integrieren, man war dabei, ihr Außenseitertum zu festigen.
Maria war anderer Meinung. Es sei doch gut, daß die Schwulen sich öffentlich zeigten, denn wen man in den Untergrund verbannte, den würde man über kurz oder lang in dunklen Gassen und später in irgendwelchen Anstalten wiedertreffen. Der erste Überschwang würde sich ohnehin mit der Zeit legen, die Tunten würden wie alle anderen werden, mit Ratenzahlungen und Rentenversicherungen, und am Ende würden sie bloß noch Demonstrationen gegen die Grundsteuerpflicht organisieren.
In diesem Augenblick kam das Bier, und sie prosteten einander einträchtig zu, dankbar dafür, hier zu sitzen, dies alles zu sehen und die Sonne auf dem Gesicht zu spüren. Denen, die im Flugzeug auf dem Grund des Getarsees lagen, würde das nie wieder vergönnt sein.
6
Nikki von Lauterhorn war nicht mehr mit Erland von Lauterhorn verheiratet, aber seinen Nachnamen hatte sie behalten. Er war gut für das Geschäft. Sie war Alleineigentümerin von Nikki Air, die Idee zu dem Unternehmen stammte von ihr, und das Kapital ebenfalls.
Sie war am 17. Mai 1972 geboren, als erste und einzige Tochter von Ingalill Eriksson aus Eskilstuna. Ihr Vater war ein griechischer Einwanderer, ungefähr so zuverlässig wie die Prognosen von Aktien-Analysten. Er verschwand, sobald das kleine Mädchen mit seinen großen, blaugrauen Augen das Licht der Welt erblickt hatte.
Nikki wuchs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf. Der Ausdruck gefiel ihr, er hatte so etwas Heroisches. Mit vierzehn wurde sie von einer Model-Agentur entdeckt, mit knapp achtzehn war sie berühmt, und mit zwanzig war sie weg vom Fenster.
Sie hatte ein wenig Erspartes, das sie in Erland von Lauterhorn investierte, einen jungen Mann, der mit seinen abenteuerlichen Ambitionen und seinen noch abenteuerlicheren Ideen ihr Herz erobert hatte. Er träumte davon, ein Karl XII. des New-Economy-Zeitalters zu werden, und sein Erfolg übertraf alle Erwartungen. Innerhalb von zwei Jahren hatte er mit Nikkis Hilfe die Firma »Vinci Konsult« zu einem multinationalen, milliardenschweren Konzern ausgebaut.
Die Geldgeber standen Schlange vor seiner Tür, der adelige Name zog reiche Plebejer an wie ein Magnet, das Unternehmen expandierte ohne Ende, ständig kaufte man andere Firmen auf, praktisch ohne einen Öre dafür zu bezahlen. Das heißt, bei »Vinci Konsult« bezahlte man in Aktien. Die Zeitungen rissen sich um Interviews mit Erland von Lauterhorn, das Fernsehen brachte sein Porträt, der Rundfunk widmete ihm stundenlange Programme.
Mit anderen Worten, es war die alte Geschichte: Wenn man in Schweden auf einem Gebiet als unfehlbar gilt, hat man in allen Dingen recht. Und Erland äußerte sich zu allem und jedem, insbesondere zur sozialdemokratischen Regierung, die er aus dem tiefsten Grund seines blaublütigen Herzens verachtete.
Nikki war glücklich über den Erfolg, aber ihr Eheleben war mit der Zeit so sporadisch geworden wie das von Zirkuselefanten. Erland kam immer seltener nach Hause; wenn er nicht gerade in New York war, dann war er in Tokio. Außerdem wurde er immer müder, und um sein Lebenstempo zu halten, mußte er sich bald verschiedener Stimulantien bedienen. Dazu gehörten auch kleine Eskapaden jenseits von Nikkis Bett, in dem sie nun immer häufiger allein blieb, in der Gesellschaft von zweiundfünfzig Fernsehkanälen.
Aber auch sie legte sich neue Gewohnheiten zu. Sie schaute sich pornographische Filme an, Nacht für Nacht. Die ersten zwei Minuten waren anregend, dann wurde es langweilig, und sie schwor sich, es nie mehr zu tun. In der folgenden Nacht saß sie dann doch wieder wie festgeklebt vor dem Bildschirm. Pornographie ist eine Droge wie jede andere, man wird abhängig von diesen Bildern, von der Wollust der ersten Minuten.
Irgendwann sah sie ein, daß sie etwas tun mußte. Sie mußte ihr Leben ändern. Einen Monat bevor die New-Economy-Aktien an der Börse einbrachen, verkaufte sie ihren Anteil an »Vinci Konsult« und reichte die Scheidung ein. Erland von Lauterhorn war einverstanden. Für Liebeskummer hatte er keine Zeit. Das Ganze ging ohne Komplikationen ab, weil keine Kinder im Spiel waren.
Nun war Nikki allein und reich. Was sollte sie tun? Was konnte sie? Eigentlich gar nichts. Aber sie kannte viele reiche Leute. Sie dachte daran, eine hochkarätige Catering-Firma zu gründen, nur gab es davon schon eine ganze Reihe.
Sie wußte, daß es in Schweden Leute gab, die Wert darauf legten, bequem, schnell und diskret reisen zu können, wenn es ihnen gerade einfiel. Sie hatte keine Eile. Sie beriet sich mit einer ehemaligen Nachtclubkönigin, die von der Idee sofort begeistert war. Gott, die Reichen in Schweden haben viele Probleme, aber das Schlimmste ist, daß sie ihren Reichtum nicht genießen können, es gibt dafür keine »diskrete« Form. Sie können sich nicht einmal eine Wohnung am Strandväg kaufen, ohne daß es in der Zeitung steht. Sagte die Exkönigin.
Nikki entwickelte ihre Idee weiter, gründete Nikki Air und kaufte eine sechssitzige Propellermaschine, eine zuverlässige Beech Baron 58 mit zwei Motoren, die stark genug waren, das Flugzeug nach vierhundert Metern Startbahn in die Luft zu heben. Ein großer Vorteil, wenn man von kleineren Flugplätzen starten will.
Es war nicht schwer, zwei gute Piloten zu finden. Jeder wußte, daß das Luftwaffengeschwader von Ängelholm keine Zukunft mehr hatte. Die jungen Flieger waren auf der Suche nach einer Alternative. Zwei von ihnen fanden sie bei Nikki Air, und einer der beiden, Fredrik Stolle, fand sogar noch mehr. Er fand Nikki, und sie hörte auf, Pornofilme zu gucken.
Das Geschäft ließ sich zögernd an, kam dann aber schnell in Gang, vor allem deshalb, weil die Oberschicht in Schonen mehr Geld zum Ausgeben hat und zugleich puritanischer ist als in anderen Gegenden Schwedens. Luxusreisen wurden nicht verlangt, erstaunlich oft handelte es sich um harmlose Vergnügungen: Man lud die Enkelkinder zu einem Rundflug ein oder spendierte einem jungen Paar die Hochzeitsreise. Es kam auch vor, allerdings eher selten, daß eine heimliche Geliebte in aller Eile irgendwohin geflogen werden mußte, wo der Auftraggeber gerade geschäftlich zu tun hatte.
Nikki Air war so verschwiegen wie ein katholischer Priester. An die Öffentlichkeit gelangten nur Dinge, von denen der Kunde dies ausdrücklich wünschte.
Nikki von Lauterhorn hatte es geschafft, und diesmal ganz in eigener Regie.
Es war kurz vor sieben, sie hatte gerade eine Flasche Weißwein in den Kühlschrank gestellt. Fredrik mußte um diese Zeit auf dem Heimweg von Bromma sein. Das Radio in der geräumigen Küche war eingeschaltet, durch das Fenster sah sie den großen Apfelbaum, gebeugt wie ein Greis unter der Last der Früchte, die langsam in der Sonne reiften. Ein Gefühl der Freude, einem ziehenden Schmerz ähnlich, stieg ihr vom Bauch in den Kopf und fand den Weg bis zu ihren Lippen. Sie lächelte in sich hinein.
Das Lächeln fror fest wie ein Tropfen Schmelzwasser in einer kalten Nacht, als die Stimme am Telefon ihr Anliegen vorbrachte.
Es war Kristina, die inzwischen den Standort von Nikki Air und, mit Hilfe der Polizei in Trelleborg,