Gustav Weil

Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten


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er bei Euch geschlafen.« Die Boten richteten alles so aus, wie Merlin ihnen vorgeschrieben. Als sie nun der Frau das so dreist sagten, wurde sie über und über rot. »Habt Barmherzigkeit mit mir«, bat sie; »es ist so, wie Ihr sagtet, aber sagt es nur nicht meinem Herrn wieder, er bringt mich sonst ums Leben.« Die Boten kehrten nun wieder zu Merlin zurück. »Du bist«, riefen sie noch lachend über diese Begebenheit, »der vortrefflichste Wahrsager. Jetzt aber, Merlin, nähern wir uns der Stadt, in der wir den König Vortigern antreffen. Nun unterrichte uns nach Deiner Weisheit, wie wir dem König antworten sollen; denn Du weißt wohl, daß wir einen Eid abgelegt, Dich zu erschlagen und ihm Dein Blut zu überbringen.« – »Ihr habt Recht«, erwiderte Merlin; »folgt mir aber, so wird Euch meinetwegen kein Leid widerfahren. Geht zum König und erzählt ihm treulich, was Ihr von mir gehört und gesehen, auch wie Ihr mich gefunden. Sagt ihm auch, ich wolle ihm wohl sagen, warum sein Turm nicht fest stünde; sagt ihm nur, meine Meinung wäre, er müsse mit denen, die er im Gefängnis verwahre, so tun, wie sie ihm geraten mit mir zu tun. Wenn Ihr ihm über alles die Wahrheit von mir berichtet, dann tut, was er Euch befehlen wird.« Zwei von den Boten gingen zum König, der sich freute, als er sie sah; sie baten sich geheimes Gehör bei ihm aus und erzählten ihm alles mit treuer Wahrheit, was sie von Merlin gehört und gesehen, wie er sich ihnen selbst kund gegeben, obgleich er wohl gewußt, daß sie gekommen seien, ihn zu töten; wie er darauf so vielfältig gewahrsagt, und wie er dem König auch sagen wolle, warum sein Turm nicht stehen will. »Ihr müßt mir«, erwiderte der König, »mit Eurem Leben für die Wahrheit dessen stehen, was Ihr mir berichtet!« – »Das wollen wir, Herr König«, sagten die Boten. »Nun, so will ich ihn sprechen«, sagte der König. Die Boten gingen hinaus, Merlin zu holen, der König war aber so voller Begierde, ihn zu sehen, daß er ihnen auf dem Fuße nachritt.

      Die Boten kamen zu Merlin, der ihnen entgegenrief: »Ich weiß schon, was zwischen Euch und dem König vorgegangen; Ihr habt mit Eurem Leben für mich gutgesagt, aber Ihr sollt nicht für mich zu zahlen brauchen.« Er ritt mit ihnen, und begegnete dem König Vortigern, der ihnen entgegenritt. Merlin grüßte ihn, sobald er ihn ansichtig wurde; der König gab ihm seinen Gruß wieder, nahm ihn bei der Hand und sprach mit ihm in Gegenwart der Boten. »Du wolltest mich fangen«, sagte Merlin, »um mein Blut zu haben, damit Dein Turm feststünde; versprichst Du mir, mit denen, die Dir diesen Rat gegeben, so zu verfahren, wie sie verlangten, daß mir geschehen solle, so will ich Dir in ihrer Gegenwart zeigen und sagen, warum Dein Turm nicht stehen kann.« – »Bei meinem Leben«, rief der König, »ich schwöre Dir, zeigst Du mir die Sache, so wie Du sagst, dann soll mit jenen geschehen, wie sie wollten, daß es mit Dir geschehe.«

      XII. Vom weißen und roten Drachen unter dem Turm, ihrem fürchterlichen Kampf und dem weiteren Schicksal der Astrologen

       Inhaltsverzeichnis

      König Vortigern ging hierauf mit Merlin gerade auf den Platz, wo der Turm gebaut werden sollte, und ließ die gefangenen Astrologen vor sich kommen. Merlin ließ sie durch einen der Boten fragen, warum der Turm immer wieder einfiele. Die Astrologen sagten: »Wir wissen nicht, warum er einfällt, aber dem König haben wir gesagt, was geschehen müsse, damit er stehen bleibe.« – »Ihr habt«, sagte Merlin, »den König für einen Narren gehalten, daß Ihr ihm auftrugt, einen Menschen zu suchen, der ohne Vater geboren sei; Ihr Herren tatet das um Eurer selbst und nicht um des Königs willen. Denn so viel habt Ihr wohl herausgebracht durch Eure Bezauberungen, daß Ihr wißt, ein solcher Mensch würde die Ursache Eures Todes sein. Darum ließt Ihr den König diesen Menschen suchen und trugt ihm auf, sein Blut auf den Grund des Turmes zu gießen, damit, wenn er tot sei, Ihr nicht durch ihn umkommen könnt.«

      Die Astrologen waren so erschrocken, als Merlin ihre geheimen Absichten entdeckte, daß sie nicht ein einzig Wort vorbringen konnten. »Nun sieh, mein Herr König«, fuhr Merlin fort, »daß diese Männer mein Blut bloß um ihretwillen forderten und gar nicht, weil es zum Bau des Turms notwendig war; Ew. Majestät frage sie, ob ich wahr geredet, sie werden nicht die Frechheit haben, mich Lügen zu strafen.« Die Astrologen gestanden, daß Merlin die Wahrheit geredet, baten aber den König, sie leben zu lassen, bis sie gesehen, ob Merlin wisse, warum der Turm nicht stehen wolle. »Ihr werdet nicht eher sterben«, sagte Merlin, »bis Ihr es mit Euren Augen gesehen.«

      Nachdem die Astrologen für diese Gnade gedankt, wandte Merlin sich wieder zum König Vortigern: »Jetzt höre, warum der Turm nicht stehen will, und tue, was ich Dir sage, so wirst Du es selber sehen. Nicht sehr tief unter der Erde, auf dem Fleck, wo der Bau angefangen wurde, ist ein großer Fluß. Unter dem Bett dieses Flusses liegen zwei Drachen, die sich einander nicht sehen, der eine ist weiß, der andre rot; sie liegen unter zwei sehr großen wunderbaren Felsen. Diese Drachen nun fühlten die Last des Gebäudes zu schwer auf sich, darum bewegten sie sich und schüttelten die Last, die sie drückte, von sich. Der König lasse nachgraben, und wenn sich nicht alles Wort für Wort so befindet, wie ich gesagt, so will ich sterben; findet es sich aber so, müssen die Astrologen für mich sterben.« – »Ist es so, wie Du sagst«, erwiderte König Vortigern, »so bist Du der weiseste aller Menschen; aber sage mir, wie muß ich es anfangen, um die Erde fortbringen zu lassen?« – »Auf Wagen und mit Pferden«, antwortete Merlin, »und mit Hilfe vieler Menschen, die sie weit fortführen.« Der König ließ nun alles, was arbeiten wollte, zusammenkommen, worauf sich viele Menschen versammelten, die alle den Tagelohn verdienen wollten, und man fing an, den hohen Berg, worauf der Turmbau angefangen war, abzutragen; die Leute hielten ihren König für töricht, daß er den Worten eines Kindes Glauben beimesse, jedoch durften sie dem König nicht ihre Meinung sagen. Nachdem lange gearbeitet und die Erde weit fortgeführt worden, entdeckten die Arbeiter den großen Fluß und meldeten es sogleich dem König. Dieser, sehr erfreut, nahm Merlin mit hinaus, wo sie denn wirklich den Fluß so fanden, wie Merlin es vorher gesagt. »Wie sollen wir es aber nun anfangen«, fragte ihn König Vortigern, »um unter den Fluß zu sehen?« Merlin ließ sogleich große Gräben und Kanäle machen und leitete so den Fluß weit hinaus in das Feld. Während man daran arbeitete, sprach Merlin zum König: »Wissen sollst Du auch, daß, sobald die Drachen unter den großen Steinen hervorgekommen, sie miteinander kämpfen werden. Berufe also der König die Angesehensten und Geehrtesten seines Landes ein, damit sie diesen Kampf ansehen, der von großer Bedeutung ist.« Sogleich gab der König Befehl, daß man die adeligsten Herren, die achtbaren Männer und Bürger samt den Gelehrten und Geistlichen aller Orden aus seinem Land zusammenrufen solle. Diese versammelten sich auch sogleich und waren sehr verwundert und erfreut, als der König ihnen die Ursache verkündigte, warum sie zusammenberufen wären. »Dieser Kampf wird ein sehr schöner Anblick sein«, sagten sie; einige aber erkundigten sich bei dem König, ob Merlin prophezeit habe, welcher von den beiden Drachen den Sieg davontragen würde. »Dies hat er nicht«, antwortete Vortigern.

      Als nun der Fluß abgeleitet war und man die beiden Felsen, unter welchen die Drachen lagen, erblickte, fragte der König den Merlin, auf welche Art man nun diese ungeheuren Steine wegschaffen müsse. Merlin sprach: »Sobald die Drachen die äußere Luft empfinden, werden sie von selber hervorkommen, der König lasse also die beiden Felsen durchbohren, damit die äußere Luft hinzu kann.« Es geschah, so wie Merlin es angab; die Felsen wurden einer nach dem andern durchbohrt, und sogleich kamen die Drachen hervor. Sie waren entsetzlich anzusehen, furchtbar groß und von scheußlicher Gestalt, so daß alle Anwesende Furcht und Abscheu vor ihnen hatten. Der König selber erschrak sehr bei ihrem Anblick und fragte den Merlin, welcher von den beiden den andern besiegen würde. Merlin sprach: »Dies will ich dem König und seinem geheimen Rat besonders vertrauen«; ging darauf mit ihnen beiseite, wo er ihnen folgendes entdeckte: »Der weiße Drache wird den roten nach schrecklichem Kampf und nach großer Mühe und Anstrengung besiegen. Dieser Sieg ist von fernerer großer Bedeutung, die Ihr aber erst nach dem Kampf erfahren sollt, vorher kann ich Euch nichts mehr sagen.« Nun gingen sie wieder hin zum Platz, wo die Edlen und das Volk versammelt waren, dem Kampf zuzusehen. Die Drachen waren blind und sahen einander nicht, wie Merlin auch prophezeit hatte; sobald sie sich aber rochen, fielen sie übereinander her, verschlungen ihren Leib in vielfachen Ringen und Knoten, und bissen sich. Sie hatten auch Klauen, mit diesen zerrten sie sich, so daß es schien, als wenn sie spitze eiserne Haken gebrauchten und sich damit voneinanderreißen würden. Niemals