aber ich hielt ihm fest zwischen den Zähnen! Er war lange tot, bevor der große Mann ihn in zwei Stücke zerschnitt. Ich war es, Rikki-Tikki-Tikki-Tschik! Komm herbei! Nagaina! Komm herbei und tröste dich: du sollst nicht lange eine trauernde Witwe bleiben.«
Nagaina sah, daß sie den rechten Augenblick verpaßt hatte, Teddy zu töten, und das Ei lag immer noch zwischen den Pfoten Rikki-Tikkis. »Gib mir das Ei! Gib mir das letzte meiner Eier, und ich verspreche dir, fortzugehen und niemals wiederzukommen«, bat sie und ließ demütig die Haube sinken.
»Ganz gewiß – du wirst von hier fortgehen, um den Kehrichthaufen an der Seite deines Gatten zu schmücken. Vorwärts, du arme Witwe! Bereite dich zum Kampfe! Der große Mann ist fortgegangen, seine Donnerbüchse zu holen! Kämpfe, ehe es zu spät ist!«
Rikki-Tikki tanzte wie besessen um Nagaina im Kreise herum; er hielt sich stets außer Sprungweite, und seine Augen glühten wie heiße Kohlen. Nagaina raffte sich auf und stieß zu. Rikki-Tikki sprang senkrecht empor und zu gleicher Zeit nach rückwärts. Wieder und immer wieder stieß die Schlange zu, und jedesmal sauste ihr Kopf mit dumpfem Krachen auf die Matten nieder. Endlich versuchte Rikki-Tikki, seiner Feindin in den Rücken zu kommen, und Nagaina wand und drehte sich, um ihn im Auge zu behalten.
Während der Staub noch aufflog, näherte sich Nagaina allmählich dem Ei, das noch auf der Veranda lag und an das Rikki-Tikki in der Hitze des Kampfes gar nicht mehr dachte. Rikki-Tikki sann eben auf eine neue Kriegslist und holte tief Atem, als plötzlich die Schlange das Ei mit dem Maul aufraffte, die Stufen der Veranda hinabglitt und wie ein Pfeil den Pfad entlangschoß. Wenn es sich um Leben und Tod handelt, zuckt der Körper einer Kobra auf der Flucht schnell dahin, wie die schwarze Peitschenschnur auf dem Rücken eines Pferdes.
Rikki jagte ihr nach, denn er wußte, daß seine Arbeit von neuem beginnen würde, wenn sie entkäme. Die Schlange glitt geradewegs zum hohen Gras beim Dornbusch, und dort schmetterte Darsie noch immer seinen Jubelgesang aus voller Kehle. Doch seine Frau war viel vernünftiger. Sobald sie Nagaina kommen sah, flog sie vom Neste und schlug mit den Flügeln dicht vor Nagainas Nase. Hätte Darsie ihr nur geholfen, so würden sie die Schlange vielleicht in anderer Richtung abgelenkt haben, so aber stutzte Nagaina nur einen Augenblick und setzte dann ihre Flucht weiter fort. Doch in diesem Augenblick hatte Rikki-Tikki sie eingeholt; und als sie in das Rattenloch stürzte, wo sie mit Nag ihr Heim eingerichtet hatte, saßen ihr Rikki-Tikkis weiße Zähne tief im Schwanze. Er ließ nicht los, und hinab ging’s in die schwarze Öffnung über Steine und Wurzeln. In der Regel lassen es die Mungos schön bleiben, einer Kobra in ihr Loch zu folgen, aber Rikki dachte an keine Gefahr. Es war ganz dunkel in dem Loch, und Rikki konnte nicht wissen, wann Nagaina Raum finden würde, um zu wenden und zuzustoßen. Dennoch hielt er fest und streckte alle vier Füße steif aus, um sie möglichst tief in den heißen, nassen Boden einzustemmen und Nagaina in ihrem Lauf aufzuhalten.
Dann bewegte sich das Gras am Eingang des Loches nicht mehr; und Darsie sagte traurig: »Wir werden ihn niemals wiedersehen, unsern tapfern Rikki-Tikki! Der große Held ist in sein Grab hinabgestiegen! Denn Nagaina wird ihn sicherlich unten in der Erde totbeißen.«
Und damit setzte er sich vor das Nest und sang seinen Kleinen ein Trauerlied vor, das seinem betrübten Herzen entfloh, ohne daß er es erst zu dichten brauchte. Wie er nun gerade an der allerrührendsten Stelle angelangt war, zitterte das Gras hin und her, und heraus kroch Rikki-Tikki, langsam und steif und ganz mit Schmutz bedeckt. Rikki-Tikki blinzelte, denn das grelle Licht schmerzte ihn in den roten Augen, und Darsie hielt plötzlich mitten in einem tiefen Seufzer inne. Rikki leckte und schüttelte sich und nieste. »Das wäre erledigt«, sagte er. »Die Witwe wird niemals wieder ans Tageslicht kommen.« Und die roten Ameisen, die zwischen den Grashalmen lebten, hörten es und begannen sofort, eine nach der anderen, in das Loch hinabzusteigen, um zu sehen, ob er die Wahrheit gesprochen hatte.
Rikki-Tikki rollte sich in das Gras und schlief, wo er gerade war – schlief und schlief, bis die Sonne ganz tief am Himmel stand. Aber er hatte auch wirklich harte Arbeit getan.
»Oooah!« gähnte er, als er endlich erwachte. »Ich gehe jetzt ins Haus zurück. Darsie, melde dem Kupferschmied, daß Nagaina tot ist – er soll es der ganzen Nachbarschaft verkünden.«
Der Kupferschmied ist ein Vogel, dessen Stimme klingt wie der Schlag eines Hammers gegen einen Kupferkessel. Er ist deshalb in allen indischen Gärten und in der ganzen Dschungel der Dorfschreier, der weithin die Tagesneuigkeiten ausruft. Als Rikki-Tikki den Kiesweg hinaufging, hörte er hinter sich schon den wohlbekannten Ruf: »Ding-Dong-Tock! Nag ist tot! Ding-Dong! Nagaina ist tot! Dong-Dong-Tock!«
Da brachen alle Vögel in ein Jubelgeschrei aus, und sogar die Frösche sangen aus vollem Halse, denn Nag und Nagaina hatten für kleine Frösche eine ganz besondere Vorliebe gehabt.
Als Rikki im Hause anlangte, wollten ihn alle umarmen – Vater, Mutter und der Knabe –, und die Mutter weinte, und der Knabe küßte ihn einmal über das andere auf seine lehmbedeckte Nase, bis sie wieder ganz rein war. Rikki bekam ein prächtiges Essen, und dann ging er mit Teddy zusammen zu Bett.
Ganz spät am Abend kamen Vater und Mutter, um ihrem Liebling gute Nacht zu sagen. Und sie vergaßen auch Rikki-Tikki nicht dabei.
»Er hat unser aller Leben gerettet«, sagte die Mutter. »Denke doch nur, das herzige Wesen hat unser aller Leben gerettet!«
Rikki-Tikki erwachte, denn er hatte einen leisen Schlaf.
»Ach, ihr seid es«, sagte er. »Was macht ihr denn für Gesichter? Die Kobras sind alle tot, und wenn noch eine lebt, so bin ich doch da.«
Rikki-Tikki wurde bei all seinem Stolze nicht übermütig. Er hielt den Garten frei von Schlangen, denn er verstand sein Geschäft von Grund aus, und sogar die größten Kobras zitterten, wenn sie nur aus der Ferne seinen Schlachtruf hörten:
»Rikki-Tikki-Tikki-Tschik.«
Darsies Siegesgesang
Weber bin ich und Sänger zugleich,
Zwiefach an Gaben und Künsten reich.
Werfe mein Lied durch die Bahnen des Blaus,
Wirke hier unten am Faden des Baus,
Auf und hinunter, so webe mein Lied ich, so wirke und web’ ich mein Haus.
Mutter, den Kopf hoch, und sei nicht mehr bang,
Sing unsern Kindern den Siegesgesang;
Erbfeind, der stets uns im Garten erschreckt,
Endlich liegt er zu Boden gestreckt.
Drohte er oft uns mit Tod aus den Rosen, nun liegt er im Mist und verreckt.
Wer war der Held, der die Schlange zerriß?
Jubelnder Dank sei ihm ewig gewiß.
Rikki, der Ritter, der Retter, der Held,
Tikki, den Blick wie von Feuer erhellt,
Rik-Tikki-Tikki mit Elfenbeinkrallen, der Jäger, der Retter der Welt!
Auf nun, ihr alle, und spreitet den Schwanz,
Beugt euch und schwingt euch und jubelt im Tanz,
Lobt ihn und werdet im Preisen nicht müd’,
Schmettert wie Nachtigallen das Lied,
Rikki, dem Helden mit buschigem Schweife, dem Feuer im Auge glüht …
(Hier unterbrach Rikki das Lied, so daß der Schluß des Gesanges verlorenging.)