lauft ihr denn, ohne ein Wort zu sagen?« rief Mogli.
»Still! Vor Mittag noch rollen wir seinen Schädel hierher«, antwortete Graubruder.
»Zurück! Zurück Ihr! Und wartet!« schrie Mogli. »Menschen fressen keine Menschen.«
»Wer wollte noch eben ein Wolf sein? Wer warf das Messer nach mir, weil ich sagte, er wäre ein Mensch?« und die vier krochen widerwillig gehorchend zurück.
»Muß ich Gründe nennen für das, was mir zu tun beliebt?« gab Mogli wütend zurück.
»Mensch ist das, so spricht Mensch!« murrte Baghira leise in seinen Bart. »Just so redeten die Menschen vor den Käfigen des Königs in Oodeypore. Wir von der Dschungel wissen, daß der Mensch das weiseste aller Geschöpfe ist. Dürften wir aber unseren Ohren trauen, so würden wir erkennen, daß er der törichste ist von allen.« Laut sagte er dann: »Das Menschenjunge hat recht. Menschen jagen in Rudeln. Einen zu töten, ohne zu wissen, was die anderen tun werden, ist schlechte Jagd. Kommt, laßt uns sehen, was dieser Mann gegen uns im Schilde führt.«
»Wir kommen nicht mit«, brummte Graubruder. »Jage allein, kleiner Bruder, wir wissen, was wir wollen. Jetzt könnte der Schädel schon fertig sein, um hierhergebracht zu werden.« Moglis Blicke wanderten von einem Freund zum anderen, seine Brust hob sich, und die Augen füllten sich mit Tränen. Er ging ein paar Schritte vor, fiel auf die Knie und sagte: »Weiß ich etwa nicht, was ich will? Seht mich an!«
Unsicher blickten sie auf ihn, und wenn ihre Augen sich abwenden wollten, rief er immer wieder und wieder: »Blickt mich an!« Bis jedes Haar an ihrem Körper sich sträubte und ihre Glieder zitterten unter Moglis starrendem Blick.
»Nun«, sagte er endlich, »wer ist der Führer unter den fünfen?«
»Du bist der Führer, kleiner Bruder«, sagte Graubruder und leckte Moglis Füße.
»So folgt denn«, befahl Mogli, und die vier schlichen hinter ihm drein mit eingekniffenen Schwänzen.
»Das hat man davon, wenn man sich mit Menschen abgibt«, zischte Baghira, ihm nachgleitend. »In der Dschungel gilt noch etwas anderes jetzt als Dschungelgesetz, Balu.«
Der alte Bär schwieg, aber dachte sich so manches. Geräuschlos durchquerte Mogli die Dschungel im rechten Winkel zu Buldeos Pfad. Als er das Unterholz teilte, sah er den alten Mann, die Muskete geschultert, auf der zwei Tage alten Fährte im Hundetrab herankeuchen.
Ihr entsinnt euch, wie Mogli das Dorf verließ, mit der schweren Last von Schir Khans Haut auf den Schultern, während Akela und Graubruder hinter ihm dreintrabten, so daß die Fährte sehr deutlich gezeichnet war. Nun aber kam Buldeo an die Stelle, von der aus Akela, wie ihr wißt, kreuz und quer zurückgegangen war, um die Spur zu verwischen. Buldeo setzte sich nieder, hustete, brummte, stand dann wieder auf und lief hierhin und dorthin im Dickicht, um die Fährte wiederzufinden, während er leicht hätte einen Stein werfen können auf die, die ihn belauschten. Kein anderes Geschöpf kann sich so leise bewegen wie der Wolf, wenn er nicht gehört sein will; und auch Mogli konnte kommen und gehen wie ein Schatten, wenn die anderen ihn auch plump und schwerfällig fanden. Sie umkreisten den alten Mann. Tümmlern gleich, die einen Dampfer in voller Fahrt umringen; dabei redeten sie sorglos weiter, denn ihre Sprache setzte erst nach dem untersten Ton der Skala ein, die für geübte menschliche Wesen vernehmbar ist. Das andere Ende der Skala gipfelt in dem schrillen Pfiff von Mang, der Fledermaus, die viele gar nicht hören können, und bei diesem Ton erst setzt die eigentliche Sprache der Vögel, Fledermäuse und Insekten ein.
»Das hier ist noch besser als Beute schlagen«, sagte Graubruder, indes Buldeo sich bückte, stierte und schnaufte. »Er sieht aus wie ein Schwein, das sich in der Uferdschungel verloren hat. Was sagt er?« Buldeo brummte wütend vor sich hin.
Mogli übersetzte: »Er sagt, daß hier das Wolfsrudel um mich herumgetanzt haben müßte. Er sagt, eine solche Fährte wäre ihm noch nicht in seinem ganzen Leben vorgekommen. Müde sei er.«
»Er wird zur Ruhe gebracht werden, bevor er noch die Fährte wiedergefunden hat«, sagte Baghira kühl und schlängelte sich um einen Baumstamm in ihrem gemeinsamen Blindekuhspiel. »Was tut das magere Ding jetzt?«
»Es frißt oder bläst Rauchwolken aus seinem Mund, Menschen müssen immer etwas tun mit ihrem Mund.« Und die stillen Treiber sahen, wie der alte Mann eine Pfeife füllte, anzündete und rauchte; und sie merkten sich genau den Geruch des Tabaks, um Buldeo, wenn nötig, auch in dunkelster Nacht ausmachen zu können.
Später kam ein kleiner Trupp von Köhlern des Wegs und hielt an, um mit Buldeo zu sprechen, dessen Ruhm auf zwanzig Meilen im Umkreis zum mindesten reichte. Alle setzten sich nieder und rauchten. Baghira und die anderen schoben sich näher heran und horchten, indes Buldeo die Geschichte von Mogli, dem Teufelskind, zu erzählen begann, mit allerlei Zutaten und Erfindungen. Er selbst hatte natürlich Schir Khan getötet, und Mogli hätte sich plötzlich in einen Wolf verwandelt und den ganzen Nachmittag mit ihm gekämpft, worauf er dann wieder Knabe wurde und Buldeos Büchse behexte, so daß die Kugel, als er auf Mogli schoß, um die Ecke flog und einen von Buldeos eigenen Büffeln traf; nun habe das Dorf ihn, den tapfersten Jäger in Sioni, ausgeschickt, um das Teufelskind zu erledigen. Inzwischen hätten sie im Dorf Messua und ihren Mann, zweifellos die Eltern des Teufelskindes, in ihrer eigenen Hütte eingesperrt und wollten sie nun bald foltern, damit sie geständen, Zauberer und Hexe zu sein, worauf sie dann verbrannt werden sollten.
»Wann wird das sein?« fragten die Köhler, denn sie wollten bei dem Fest nicht fehlen. Buldeo sagte, es würde nichts geschehen, bis er zurückgekehrt wäre, denn man wünsche im Dorfe, daß er zuvor den Dschungelknaben tötete. Danach sollten Messua und ihr Mann drankommen, und ihre Äcker und Büffel sollten unter die Dorfbewohner verteilt werden. Messuas Mann besäße einige kapitale Stücke. Es wäre sehr verdienstvoll, Zauberer zu vernichten, meinte Buldeo, und Leute, die Wolfskinder aus dem Dschungel aufzögen, wären sicher die allerschlimmsten Zauberer.
Aber wenn nun die Engländer davon erführen? meinten die Köhler. Die Engländer wären ein ganz verrücktes Volk, hätte man ihnen gesagt, und hinderten ehrbare Landleute daran, Hexen in Ruhe zu verbrennen.
Ach was, erklärte Buldeo, der Dorfvorsteher würde berichten, daß Messua und ihr Mann am Schlangenbiß gestorben wären. Das sei alles schon abgemacht. Die Hauptsache wäre nun, das Wolfskind zu töten. Ob sie vielleicht zufällig irgendwo eine solche Kreatur gesehen hätten?
Die Kohlenbrenner blickten sich scheu um und dankten den Sternen, einem solchen Wesen nicht begegnet zu sein; aber sie zweifelten nicht, daß ein so tapferer Mann wie Buldeo den Dämon finden würde, wenn der überhaupt zu finden wäre. Die Sonne stand schon tief, und ihnen kam der Gedanke, nach Buldeos Dorf zu wandern, um sich die Hexe anzusehen. Buldeo erklärte darauf, es wäre zuvor seine Pflicht, das Teufelskind zu töten, aber unbewaffnete Männer so ohne Schutz und Begleitung durch den Dschungel gehen zu lassen, wo jeden Augenblick der Wolfsdämon auftauchen könnte, das wäre sträflicher Leichtsinn. Er wollte daher mit ihnen gehen, und sollte das Hexenkind auftauchen – nun, dann würde er ihnen zeigen, wie der beste Jäger in Sioni mit so einem Ding fertig wird. Außerdem hätte ihm der Brahmane einen Talisman gegen den Dämon gegeben, so daß man also ganz sicher sein könne.
»Was sagt er? Was sagt er?« wiederholten die Wölfe alle Augenblicke, und Mogli übersetzte, bis er zu der Hexengeschichte kam, die etwas über seinen Verstand ging. Dann sagte er den Wölfen, daß der Mann und die Frau, die so gut zu ihm gewesen wären, in der Falle säßen.
»Fangen die Menschen denn andere Menschen in Fallen?« fragte Baghira.
»So sagt er. Ich verstehe das Geschwätz nicht. Verrückt sind sie alle zusammen. Was haben Messua und ihr Mann mit mir zu schaffen, daß man sie in der Falle fängt? Und was bedeutet das Gerede von der roten Blume? Ich muß gehen und nachsehen. Was sie auch immer vorhaben gegen Messua, sie werden nichts unternehmen, ehe Buldeo zurück ist, und so…« Mogli dachte scharf nach, mit den Fingern am Griff des langen Jagdmessers spielend, Buldeo aber und die Köhler entfernten sich, tapfer im Gänsemarsch schreitend.
»Ich