»Ich sehe Ihnen an, dass Sie das trifft, Major, aber bedenken Sie eines: Hier bei den Highlanders sind wir in erster Linie eine Familie. Das war kein Protokollbruch. Wir ermutigen unabhängiges Denken in unseren Reihen. Diese Tür ...« Sie deutete auf den Eingang, durch den Loren kurz zuvor getreten war. »... steht jedem im Regiment offen.«
»Verstanden, Ma‘am.« Loren riss sich zusammen und atmete noch einmal tief durch. Hier ging es um mehr als seine Vergangenheit bei den Todeskommandos oder eine Überforderung der Soldaten unter seinem Befehl. Es wird Zeit, dass wir reinen Tisch machen, Zeit, dass es ausgesprochen wird. »Erlaubnis, frei zu sprechen, Ma‘am.«
»Erteilt, Major.«
»Bevor ich die Position antrat, war Major MacFranklin sechs Jahre lang Ihr Stellvertreter. Ich führe das Regiment anders, als er es tat, und das ist der wahre Grund für diese Beschwerden - das wissen Sie so gut wie ich. Er war ein fähiger Taktiker und Mechpilot, aber er stützte sich zu sehr auf seine Favoriten, auf Familienbeziehungen und andere Winkelzüge. Ich will ihn nicht in Misskredit bringen, Oberst, aber ich verhalte mich anders. Ich finde, die Fusiliers haben etwas Besseres verdient.«
Cat Stirling betrachtete Loren eine Weile mit einer undurchdringlichen Miene. »Ich weiß, Major. Das ist einer der Gründe, warum ich Sie als Stellvertreter befürwortete, statt Craig oder Blakadar zu befördern. Beim Kampf um Tara letzten Herbst haben Sie alle beeindruckt, und MacFranklin, Friede seiner Seele, wurde allmählich ein echtes Problem. Er war ein feiner Feldkommandeur, aber der Mann hatte so viele linke Geschäfte hinter den Kulissen in Gang, es war ein Wunder, dass er sein Leben nicht im Bunker verbrachte.«
»Sie wussten davon?«
Sie grinste wie eine Katze. »Selbstverständlich. Was auch geschieht, vergessen Sie nie, dass ich diese Einheit leite. Wäre MacFranklin nicht gefallen, wäre er gefeuert worden. Sie waren der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt. Ein paar Offiziere der alten Garde hätten es lieber wieder wie gewohnt, mehr Freiraum, weniger zielgerichtet. Favoritentum statt Leistungsprinzip. Eines wissen wir beide: Die Clans sind die Bedrohung. Ich kann auch eine Karte lesen. Wenn sie es jemals schaffen, bis nach Terra durchzustoßen, sind wir gleich nebenan.« Ihr Grinsen wurde noch breiter. »Setzen Sie nichts voraus, was mich betrifft, Major. Man nennt mich nicht um sonst ›Cat‹. Ich bin keine Närrin. Aber ich will unsere Leute auch nicht mit Training und Vorbereitung erschöpfen. Ich muss mich vergewissern, dass Ihr Plan mit der richtigen Geschwindigkeit abläuft, um dieses Regiment zur härtesten Kampftruppe der Highlanders zu machen, und nicht zu einem Haufen abgeschlaffter Säcke.«
»Ich kenne nur einen Weg, das Zeug eines MechKriegers zu testen, Oberst.«
Andrea Stirling nickte. »Ja, auf dem Schlachtfeld.‘Und deswegen schlage ich vor, Ihr Ausbildungsprogramm auf die Probe zu stellen. Bill MacLeod hat sich bereit erklärt, ein Manöver zwischen seinem und unserem Befehlsbataillon anzuberaumen. Die Highlanders erwarten jeden Tag den Besuch eines möglichen Auftraggebers. Ich möchte unserem Besucher zeigen, was wir drauf haben.«
»Hat dieser potenzielle Auftraggeber Interesse an unseren Anti-Clan-Taktiken?«
Cat Stirling nickte einmal langsam und bedächtig. »Könnte man sagen. Das Draconis-Kombinat hat die Hauptwucht der Clan-Invasion zu spüren bekommen, und die Bastarde hängen immer noch wie ein Henkerbeil über seinem Kopf. Major, die Northwind Highlanders tragen sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit dem Gedanken, für das Kombinat zu kämpfen. Theodore Kurita will den Krieg zu den Clans tragen, und dafür braucht er jede Menge Unterstützung.«
Erstes Buch
VISIONEN
Ein im Krieg entstandenes Imperium
muss sich im Krieg behaupten.
Montesqieu
Nur durch unsere Phantasie können wir siegen.
Dwight D. Eisenhower
1
Home Plains, Avon
Nebelparder/Novakatzen-Besatzungszone
1. Mai 3058
Sterncolonel Devon Osis bahnte sich einen Weg durch das windgepeitschte Gras der Horne Plains. Mit jedem Schritt zertrat er meterhohe, schilfähnliche Stängel. Vor ihm erhob sich das Zelt des Khans der Nebelparder vor dem roten Himmel, an dem Avons Sonne langsam hinter dem Horizont versank. Und dort am Horizont waren in bedrohlicher Silhouette zwei Sterne der furchtbarsten Waffen der Parder zu erkennen, ihrer OmniMechs. Jede dieser zehn Meter hohen Kampfmaschinen starrte vor Waffenmodulen, auch wenn sie von hier aus mehr wie Standbilder vor dem ersterbenden Licht wirkten, stumme Posten, die das weite Land der Plains gegen einen Feind beschützten, von dem nirgends etwas zu sehen war.
Bei Devon Osis‘ Ankunft auf Avon hatte ihm dieser Anblick den Atem geraubt. Jetzt erinnerte er ihn nur noch daran, dass er ein Krieger ohne Krieg war. Er ging um das Zelt herum und öffnete die als Tür dienende Tuchklappe und trat ein. Den Innenraum dominierte ein tragbarer Hologrammtisch, über dem eine grünleuchtende Projektion der Ebene hing, die Devon Osis in der letzten halben Stunde durchquert hatte. Neben dem Tisch erhob sich die unverwechselbare Statur des Lincoln Osis, Khan der Nebelparder. Er hatte sich mit weit gespreizten Armen auf den Rand des Tisches gestützt und studierte nach vorne gebeugt die Karte.
Das lange, dunkelhäutige Gesicht des Khans wirkte im Halbdunkel des Zelts sehr ernst, als er zu seinem Besucher aufblickte. In den harten, dunklen Augen loderte ein tiefes, inneres Feuer. Trotz der Verluste und Erniedrigungen, die den Nebelpardern in den gewaltigen Schlachten um Luthien und Tukayyid widerfahren waren, hatte Lincoln Osis sich durchgesetzt, und mit ihm der Geist des Nebelparders. Er hatte seine Krieger gelehrt, dass Überleben den Schlüssel zum Sieg bedeutete. Deshalb sah Devon seinen Khan als den Anführer, der ihren Clan in eine große Zukunft leiten würde - eine Zukunft, in der die Nebelparder nicht nur die übrigen Clans dominierten, sondern auch die gesamte Innere Sphäre.
Sterncolonel Devon Osis nahm Haltung an, während der Khan sich wieder dem Projektionstisch zuwandte. Das Hologrammbild zeigte nicht nur die Aufstellung der in der Ferne erkennbaren OmniMechs, sondern auch deren Gegner am anderen Ende des Tischs.
»Mein Khan«, ergriff Devon mit zackig militärischem Tonfall das Wort und neigte ehrfürchtig den Kopf.
»Diese Geschkos bereiten schon wieder einen Drill vor.« Khan Lincoln Osis war kurz angebunden, beinahe verärgert. »Ihrem Bieten fehlt der Mut.«
Devon sah hinüber auf den Hologrammtisch und nickte, ohne genau zu verstehen, worum es ging. Lincoln Osis warf ihm einen kurzen Blick zu. »Dieser Tage ist die Zeit unser ärgster Feind«, stellte er in halbem Flüsterton fest. »Ein schlimmerer Feind, als irgendeiner unserer Mit-Clans zugeben will. Er hängt um unseren Hals wie die Schlinge des Henkers und zieht sich mit jedem Tag fester zu.« Devon Osis hätte nicht sagen können, ob der Khan mit ihm oder mit sich selbst sprach. »Merke dir meine Worte, Devon, es ist keine Waffenstillstandslinie, die uns zurückhält, es ist die Zeit. Letztlich ist die Zeit der Gegner, den wir überwinden müssen.«
Devon nickte. »Wie lauten Eure Befehle für mich?«
»Du erinnerst dich an die Diskussion, die wir vor einer Weile über Galaxis Tau geführt haben, frapos?«
»Pos. Soweit ich mich erinnere, war sie noch Monate von der Einsatzbereitschaft entfernt.« Er erinnerte sich noch sehr gut an diese Diskussion, weil der Khan ihm in deren Verlauf ein paar Geheimnisse enthüllt hatte. Galaxis Tau war eine neu ausgehobene Einheit von der Parder-Heimatwelt Diana. Ihre Krieger waren dringend benötigter Wahrgeborenen-Nachschub, gezüchtet aus dem besten genetischen Erbe der Nebelparder. Und die Aufstellung dieser neuen Galaxis war zum größten Teil im Geheimen erfolgt.
»Wie der Parder auf der Jagd werden wir uns diesmal an diesen Feind anschleichen und ihn besiegen. Galaxis Tau ist mehr als ein Traum, sie ist Wirklichkeit und in diesem Augenblick auf dem Weg in die Innere Sphäre. Sie wird unserem Clan den wilden Biss verleihen, den wir benötigen, um zu siegen.« In den Augen des Khans funkelte die Kampflust. »Ihre Ankunft wird ein neues Zeitalter für den Nebelparder einläuten. Die Zeit ist gekommen, die Demütigungen der Vergangenheit