Robert Markham

James Bond 15: Colonel Sun


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ist auch sehr viel einfacher, einen Mann zu beschatten, der einen regelmäßigen Tagesablauf sowie eine feste Wohnung und Arbeitsstelle hat. Daher war es zum Beispiel nicht nötig gewesen, irgendeinen Wachposten in der Nähe von Bonds Wohnung an der King’s Road aufzustellen oder ihm auf seinem Weg zwischen dort und dem Hauptquartier des Secret Service im Regent’s Park zu folgen. Noch wichtiger war, dass die Operation, die ihn betraf, für ihre Planer höchste Priorität hatte. Das bedeutete, dass ihnen ein großzügiges Budget zur Verfügung stand, was wiederum zur Folge hatte, dass eine ungewöhnlich große Anzahl von Agenten angeheuert werden konnte. Und das bedeutete, dass die Beobachter und Beschatter oft ausgetauscht werden konnten, bevor ihre wiederholte Anwesenheit dem fast schon unterbewussten Frühwarnsystem auffallen konnte, das sich im Laufe der vielen Jahre beim Secret Service in Bonds Verstand entwickelt hatte.

      Der Bentley glitt über die Windsor-Bagshot Road. Auf der linken Seite erschienen die vertrauten Orientierungspunkte: der Squirrel Pub, die Stallungen des Arabergestüts, die Lurex-Garn-Fabrik (ein häufiges Ziel von Ms Empörung). Und nun tauchte auf der rechten Seite die bescheidene steinerne Einfahrt des Achterdecks auf, zuerst der kurze, gut gepflegte Kiesweg und dann das Haus selbst. Dabei handelte es sich um ein einfaches Rechteck aus Bath Stone, der durch die Verwitterung einen leicht grünlichen Grauton angenommen hatte und in der Abendsonne leuchtete. Teile des Hauses lagen im Schatten der dichten Plantage aus Kiefern, Birken, Weißbirken und jungen Eichen, die auf drei Seiten des Gebäudes wuchsen. Eine uralte Glyzinie wand sich bis zu dem winzigen Balkon im ersten Stock, hinter dem Ms Schlafzimmer lag, und darüber hinaus nach oben. Als er die Autotür zuschlug und auf den niedrigen Säulengang zumarschierte, hatte Bond den Eindruck, dass sich hinter den Glastüren zum Balkon flüchtig etwas bewegte. Das war zweifellos Mrs Hammond, die das Bett machte.

      Unter Bonds Hand erklang in der Stille der scharfe Schlag der hängenden Messingglocke, die einst zu einem längst ausrangierten Kriegsschiff gehört hatte. Erneut folgte Stille, die nicht einmal von einem leisen Rascheln des Winds in den Baumwipfeln durchbrochen wurde. Bond stellte sich vor, wie Mrs Hammond noch immer im ersten Stock beschäftigt war und Hammond selbst gerade eine Flasche von Ms algerischem Lieblingswein – dem so treffend benannten »Infuriator« – aus dem Keller holte. Die Eingangstür des Achterdecks war zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang nie verriegelt. Sie gab unter Bonds Berührung sofort nach.

      Jedes Haus hat sein eigenes, normalerweise nicht wahrnehmbares Hintergrundgeräusch, das aus fernen Stimmen, Schritten, Küchengeräuschen und all den gedämpften Lauten menschlicher Wesen besteht, die ihren Geschäften nachgehen. James Bond hatte kaum die Schwelle überschritten, als ihn seine gut ausgebildeten Sinne auf die vollkommene Abwesenheit dieser Klangkulisse aufmerksam machten. Plötzlich war er angespannt und schob die massive spanische Mahagonitür zum Arbeitszimmer auf, in dem M normalerweise seine Besucher empfing.

      Der leere Raum starrte Bond düster an. Wie immer befand sich alles fein säuberlich an seinem Platz. Die Rahmen der Schiffsgemälde hingen absolut waagerecht, die Aquarellutensilien waren auf dem Maltisch am Fenster ausgebreitet, als würden sie zur Inspektion bereitliegen. Alles wirkte seltsam künstlich und entrückt, als wäre der Raum Teil eines Museums, in dem die Möbel und Gegenstände irgendeiner historischen Persönlichkeit so erhalten und ausgestellt wurden, wie sie zu ihren Lebzeiten in Gebrauch gewesen waren.

      Bevor Bond mehr tun konnte, als sich kurz umzuschauen, zu lauschen und sich zu fragen, was los war, wurde die Esszimmertür auf der anderen Seite des Flurs, die einen Spalt offen gestanden hatte, ruckartig aufgestoßen, und ein Mann trat heraus. Er richtete eine langläufige Automatikwaffe auf Bonds Knie und sagte mit klarer Stimme: »Bleiben Sie, wo Sie sind, Bond. Und machen Sie keine plötzlichen Bewegungen. Wenn Sie es doch tun, werde ich Sie sehr schmerzhaft verstümmeln.«

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      IN DEN WALD

      Im Laufe seiner Karriere war James Bond buchstäblich Dutzende Male auf diese Art und Weise festgehalten und bedroht worden – und oft, genau wie jetzt, von einem völlig Fremden. Der erste Schritt für erfolgreiche Gegenmaßnahmen bestand darin, ein wenig Zeit zu schinden und zu analysieren, welche Informationen umgehend zur Verfügung standen.

      Bond schob jegliche Spekulation über das Ziel seines Gegners und die Frage, was mit M und den Hammonds geschehen sein mochte, als nutzlos beiseite. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Waffe des Feindes. Er erkannte sofort, dass es sich um eine mit einem Schalldämpfer ausgestattete Luger 9 mm handelte. Die Auswirkung einer Kugel mit diesem Kaliber, die fast dreißig Gramm wog und sich mit Schallgeschwindigkeit bewegte, war enorm. Wenn ihn eine solche Kugel aus der momentanen Entfernung traf, selbst wenn sie nur einen Arm oder ein Bein erwischte, würde er zu Boden geschleudert werden und als Folge des Schocks vermutlich das Bewusstsein verlieren. Wenn sie ihn irgendwo in der Nähe des Knies traf, auf das die Waffe in diesem Augenblick gerichtet war, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit nie wieder laufen können. Alles in allem war es die Waffenausrüstung eines Profis.

      Der Mann selbst hatte ein dünnes, knochiges Gesicht und einen schmalen Mund. Er trug einen leichten dunkelblauen Anzug und ordentlich polierte Schuhe. Man hätte ihn für einen vielversprechenden angehenden Geschäftsführer in der Werbebranche oder beim Fernsehen halten können, der bei den Frauen Eindruck schinden wollte. An seinem Aussehen fiel Bond besonders auf, dass er so groß wie er selbst, aber schmaler gebaut war. Also würde er sich vielleicht in einem direkten Kampf als angreifbar erweisen, falls sich eine derartige Situation herbeiführen ließ. Was Bond beunruhigte, war die Knappheit und Stärke der Worte, die sein Gegenüber benutzt hatte, sowie der geschäftsmäßige Ton, in dem er sie ausgesprochen hatte. Er war frei von ordinären Drohungen oder Triumph gewesen, und vor allem hatte darin nicht der kleinste Hauch dieser gekünstelten Lässigkeit gelegen, die ihn als Amateur und damit als potenziellen Einbrecher gekennzeichnet hätte. Dies war der Beweis, dass er wusste, wie man die Waffe benutzte, und es auch ohne zu zögern tun würde, wenn er es für ratsam hielt.

      Das alles raste innerhalb von etwa drei Sekunden durch Bonds Verstand. Bevor diese Zeit abgelaufen war, hörte er, wie ein Auto in die Einfahrt einbog, und verspürte einen Hauch von Hoffnung. Doch der Mann mit der Luger drehte nicht einmal den Kopf. Der Neuankömmling würde Bonds Chancen zweifellos verschlechtern und nicht verbessern. Nun erklangen schnelle Schritte auf dem Kies, und ein weiterer Mann betrat das Haus durch die Vordertür. Er würdigte Bond, der lediglich einen flüchtigen Eindruck verwaschener blauer Augen erhaschte, kaum eines Blickes. Der Mann strich sein kurzes schwarzes Haar zurück und zog hinter seiner rechten Hüfte eine Waffe hervor, bei der es sich ebenfalls um eine Luger zu handeln schien. Dann schlich er nach draußen, ließ seinen Begleiter zurück und postierte sich am Fuß der Treppe. Seine Bewegungen ließen das Ganze wie eine bestens geplante und einstudierte Übung wirken.

      »Raus hier und langsam nach oben«, sagte der erste Mann im gleichen Tonfall wie zuvor.

      Es ist an sich schon schwierig, in Gegenwart bewaffneter Feinde aus einem Raum im Erdgeschoss zu entkommen, doch die Situation wird nahezu aussichtslos, wenn sie in ein oberes Stockwerk verlagert wird und es am Treppenabsatz oder im Flur eine Wache gibt.

      Bond war sich dessen sofort bewusst, befolgte aber einfach die Anweisung und setzte sich in Bewegung. Nachdem er drei Meter weit gegangen war, wich der Mann mit dem schmalen Gesicht zurück, um den Abstand zwischen ihnen aufrechtzuerhalten. Der zweite Mann stand auf dem Treppenabsatz, hielt die Luger mit festem Griff vor seinem Bauch und zielte auf Bonds Beine. Ja, diese beiden Männer waren zweifellos Profis.

      Bond schaute sich in der unpassenden Normalität der Eingangshalle des Achterdecks um – die glänzenden Täfelungen aus Kiefernholz, das Model von Ms letztem Schiff, dem Schlachtkreuzer Repulse, im Maßstab 1:144, Ms altmodischer Ulster, der achtlos über den ebenso altmodischen Kleiderständer geworfen worden war. Diese Sache war wirklich übel. Übel in jeder Hinsicht, vor allem weil er keine Waffe hatte. Britische Agenten tragen in ihrem eigenen Land außerhalb des Dienstes keine Waffen. Übel war auch, dass die Bereitschaft zu verstümmeln, womöglich sogar zu töten, in Friedenszeiten nicht üblich war – es sei denn, es stand etwas schrecklich Wichtiges