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Das Anthropozän lernen und lehren


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      Ein kleines Gedankenexperiment mag helfen, sowohl die zeitliche Dimension geologischer Zeiträume, als auch das Wunder frischen Trinkwassers sowie die Verbundenheit von uns Menschen mit der Welt spürbar zu machen: Wir haben oben gelernt, dass der globale Wasserkörper seit Anbeginn der Erde nahezu unverändert ist und ca. 3.200 Jahre benötigt, um einmal vollständig durch den Wasserkreislauf zu gehen. Wassermoleküle scheinen extrem persistent zu sein, d.h. es ist wahrscheinlich, dass ein großer Teil der Wassermoleküle von heute die gleichen Wassermoleküle sind wie bereits seit Anbeginn des Wassers auf unserer Erde. Zieht man den Aspekt mit ein, dass Wasser der Hauptbestandteil der Flüssigkeiten der meisten lebenden Organismen ist, kann man ferner davon ausgehen, dass jeder Wassertropfen Teil von Lebewesen gewesen ist (vgl. Fishman 2011, Maxwell & Yates 2012). Nehmen wir zum Beispiel die Dinosaurier: In den mehr als 180 Millionen Jahren ihres Bestehens als dominierende Tiergruppe auf der Erde hat der globale Wasserkörper den Wasserkreislauf mehr als 60.000 Mal durchlaufen. Damit können wir sicher sein, dass das gesamte Wasser auf der Erde im Laufe der Zeit durch mindestens ein Paar Dinosaurier-Nieren und selbstverständlich auch durch viele andere Verdauungssysteme geflossen ist. Vor dem Hintergrund dieses Gedankenexperiments könnten Sie als Lehrende mit Ihren Schüler*innen gemeinsam einen Schluck Wasser trinken, und damit reines, farbloses, durchsichtiges, geschmackloses, geruchloses recyceltes Dinosaurierpipi zu sich nehmen. Was macht das mit Ihnen? Das Zulassen des Gefühls von verschränkter Wasser-Materie und Wasser-Bedeutung könnte eine andere Art und Weise ermöglichen, unserem Sein in dieser Welt einen Sinn zu geben: nämlich Teil der Weltprozesse zu sein, anstatt sich getrennt von ihnen zu empfinden. Prosit!

      Literatur

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      Martin Haltrich

      Die Kontrolle der Wildnis

      Eine Landschaftszeichnung aus dem 14. Jahrhundert als Vorgeschichte des Anthropozäns