weiß es nicht“, stammelte Herr de Lyon, und alles in seinem Kopf drehte sich, wie es wahrscheinlich auch am Jüngsten Tage eintritt.
„Er hat Sie angesprochen und hat die Verzweiflungsschreie um Sie her eine letzte Bedenkzeit Gottes genannt.“
Bei dieser geheimen Offenbarung des Königs überkam Herrn de Lyon eine Schwäche, nicht anders als irgendeine niedrige Mutter, die ihr Kind in furchtbarer Absicht forttragen sieht. Seine Leute fingen ihn auf, bleich und verfallen stand der Kardinal daneben. Der König rief nach Wein zu ihrer Stärkung, und während sie ihn bekamen, stieg er schon zu Pferd. Im Fortreiten erklärte er den nächsten seiner Edelleute, wer auf der Brücke der Mensch gewesen war, der den Erzbischof verwarnte. Meister Ambroise Paré, ein Chirurg und fünfundachtzig Jahre alt, hatte auf der Brücke mit seiner letzten Kraft gesprochen, und jetzt lag er im Sterben. „Einstmals stand er dem ermordeten Coligny bei“, sagte König Henri, schloß die Lippen fest und öffnete sie auf dem ganzen Weg nicht mehr.
Seine Begleiter schwiegen, die Hufe klappten dumpf. Henri gedachte alter Hugenotten. Als einer der Ihren unwandelbar, so ritt er hier.
Ein Künstler
Im Lager liefen sie ihm entgegen. „Farnese ist im Anmarsch! Farnese steht in Meaux!“ Der König lachte geringschätzig, denn Meaux ist zu nahe, davon hätte er früher erfahren; auch seinen Freunden Erzbischof und Kardinal wäre es sicher hinterbracht worden, und sie hätten sich von ihm nicht bis zu Ohnmachten foppen lassen. Er zuckte die Achseln, wollte weiter, da erwarteten ihn zwei am Wege, die stritten. Herr de la Noue zügelte sein Pferd mit seiner eisernen Hand. Herr de Rosny saß auf dem seinen quer, anders erlaubten seine heldenhaften Wunden es ihm nicht, ein Arm lag im Verband.
Der König sagte: „Friedlich, ihr Herren!“
La Noue sagte: „Sire! Farnese.“
Rosny sagte: „Sire! Eine List. Er kann nicht in Meaux stehen.“
„Sire!“ rief der Ältere. „Wem glauben Sie, diesem Naseweis, oder mir? Farnese ist so schrecklich listig, daß er zuweilen sogar die Wahrheit verbreiten läßt.“
Rosny, quer im Sattel, am Hut Diamanten, aber das Gesicht vernünftig und kalt — er ließ den alten einfachen Mann links liegen und stellte sich neben dem König auf. „Geschwätz“, sagte er hochmütig. De la Noue brauste auf:
„Junger Mensch! Reiten Sie doch hin in Ihrem feinen Aufzug. Sie werden dem Herzog so gut gefallen, daß er Sie gefangennimmt!“
„Mein Herr!“ entgegnete Rosny. „Ich habe einen Arm, Sie auch einen: wir können uns schlagen.“
„Das muß ich sehen“, sagte der König, schien aber eher abwesend. Fröhlich war nur der Alte. Sein Gesicht hatte sich stark gerötet unter dem weißen Schopf, und dies zornige Gesicht lachte kindlich.
„Hab ich doch selbst bei den Spaniern gefangengesessen fünf Jahre lang, und es war hart. Sire! Ich schrieb in meinem Kerker über die Religion und die Kriegskunst, nur so verlor ich den Mut nicht. Aber die Kriegskunst, die ich aufzeichnete, war die des Farnese. Er ist ein Künstler, vergessen Sie es niemals, Sire!“
„Unser König ist kein Künstler, sondern ein Soldat, was mehr heißt“ — behauptete Rosny. Sein invalider Zustand wie auch sein Hochmut gaben ihm etwas wie starren Pomp. Um so heftiger bewegte der bretonische Hugenott seine Gliedmaßen, nicht ausgenommen den eisernen Arm.
„Was ich weiß, das ist die Wissenschaft von zwölf Jahren Flandern, an der Spitze protestantischer Heere. Bevor die Spanier mich in ihre Gewalt bekamen, nahm ich ihnen dort alle Städte fort, die ich wollte. Nach der Ankunft des Herzogs von Parma — keine mehr.“
Der König, mit seinen Gedanken abwesend, war im Fortreiten, und der Abend fiel. Des nächsten Tages erfuhr man, daß die Armee der Liga mit Mayenne und die spanischen Hilfstruppen unter Farnese sich bei Meaux vereinigt hatten. In dem Kriegsrat des Königs drang La Noue auf festes Ausharren vor Paris, während Biron, auch ein Alter, den Vormarsch verlangte. Angriff ist das erste. Wir haben noch immer angegriffen!
La Noue sagte: „Sire! Eure Majestät ist unübertrefflich in der Schlacht. Sie fanden indessen noch keinen Gegner, der den Schlachten ausweicht und alles, was er will, durch Kunst erreicht. Ich, Sire, kenne Farnese.“
Rosny wollte schon wieder losziehen gegen den unansehnlichen Feldherrn im Lederkoller; aber der Vizegraf von Turenne, nicht weniger edel und hübsch als Rosny, brachte ihn zum Schweigen. Sein besonderer Ehrgeiz befähigte diesen jungen Herrn vorzeitig, eine Lage und sogar Menschen abzuschätzen. Marschall Biron konnte ungestört darlegen, daß das königliche Heer, um ganz Paris verteilt, notwendig schwache Stellen biete. Der Feind würde sie durchbrechen und Lebensmittel in die Stadt führen. Hierauf La Noue:
„Gerade dabei muß er über einen Fluß oder durch ein Gehölz: das ist für uns der Augenblick.“
„Angreifen!“ wiederholte Biron. „Vorwärts und an den Feind, wenn er noch weit ist und nichts dergleichen erwartet, so führt man Krieg.“
„Wie Sie ihn führen, weiß Farnese“, rief La Noue. Langsam und ohne alle Fröhlichkeit schloß er: „Nur Sie wissen nicht, wie Farnese Krieg führt.“
„Das ist ja Aberglaube“, meinte hier sogar der kluge Turenne, während Rosny kalt lächelte und Biron durch die Nüstern schnob. Der König befragte alle anderen, die zugegen waren, und da sie merkten, daß er angreifen wollte, stimmte die Mehrzahl für den Vormarsch.
Nun kam es anfangs derart, daß der berühmte Farnese, Herzog von Parma, alle braven Soldaten, seine Gegner, recht sehr zur Verachtung reizte. Wird man sich mit so großer Heeresmacht hinter einem kleinen Sumpf verschanzen? Die anrückenden Königlichen beachteten nur den Sumpf, weil er ihnen im Wege war. Weiterhin den Hügel sahen sie gar nicht, und gerade er verbarg ihnen ihr kommendes Mißgeschick.
Die Königlichen hielten alle Verbindungen mit Paris, besonders den Fluß La Marne und Lagny, einen Ort, dem Farnese wohl heimlich hätte beikommen wollen. Inzwischen verschanzte er sich hinter seinem Sumpf, als fürchtete er nichts so sehr wie den Angriff der neuen Berühmtheit dort drüben — ließ aber jedenfalls die neue Berühmtheit auf ihre Schlacht warten, einen Tag, eine Woche. Der König hatte ein schönes Heer von Edelleuten, die sich langweilten und mit ihren Truppen, einer nach dem anderen, davonritten. Die Einnahme der Hauptstadt: hätten sie noch ein Jahr vor der Mauer liegen müssen, endlich sollte die Einnahme wohl glücken und jeden von ihnen reich machen. Von dem unzugänglichen Farnese hinter seinen Gräben, zwischen seinen Wagenburgen, war nichts zu erben: Edelleute, denen es nur um die Beute zu tun war, verzogen sich bis auf weiteres. Leute wie Rosny hielten stand, teils aus Ehrgefühl und auch, weil sie dennoch dachten: ,Wer weiß, es ist spanisches Gepäck, Säcke mit Goldpistolen. Einmal werd ich sie aufschlitzen, und das Gold läuft mir in die Taschen.‘
Henri mußte erkennen, daß sein berühmter Gegner schwierig, aber in rätselhafter Weise schwierig war. Der König schickte ihm einen Trompeter: die Herren Herzöge möchten sich doch aus ihrem Fuchsbau hervortrauen. Der Italiener antwortete kühl, er sei nicht so weit hergekommen, um sich Rat beim Feinde zu holen. Der König wurde ärgerlich, aber seine Schlacht bekam er nicht, bekam nicht einmal das Gesicht Farneses zu sehen. Täglich verließ Henri den Ort Lagny, den nicht nur sein Heer beschützte, von dem anderen Heer trennte ihn besonders der Fluß — umging den Sumpf und wartete auf Farnese.
Da hier die Tage verrannen, gelang es ihm zwar nicht, seiner ansichtig zu werden. Aber beschämender — seine Kundschafter berichteten, daß Farnese gefürchtet wurde, und kein Soldat lief ihm fort. Eisern zogen sie drüben auf Wache. Besonders durch die stille Nacht drangen zu dem Horchenden die Stimmen der Ablösungen in mehreren Sprachen, aber auf den Schlag. Eiserne Zucht trat mit ihnen auf. Die waren in demselben Tritt und Schritt von Flandern herbeimarschiert, nur zwanzig Tage, und hatten jeden Abend ihr Lager verschanzt, wie einst die Legionäre Cäsars. Mit anderen Generalen stellten dieselben Truppen nicht mehr vor als eine vielsprachige Horde, wenig echte Spanier, viel Wallonen und Italiener; verwüsteten sonst das Land trotz einem Wildschwein — wurden