Mühen, frisch mit siebzehn Jahren, kannte ich die Gärtnerstochter Fleurette. Es ist Morgen und der Tau blinkt. Ich habe sie genommen und geliebt, unsere Nacht war voll Entzücken, ich halte sie noch bei der Hand, der Brunnen spiegelt unsere beiden Gesichter; und so schnell wie das Bild im Wasser war auch die Liebe aufgelöst, schon winkt ich ihr von fern und mein berittener Haufen nahm mich auf. Jetzt — der schwarze Wald.‘
Er lenkte hinein. Bellegarde war längst voran, allein für sich ließ Henri sein Pferd im Schritt gehen. „Ich werde sie lange belagern müssen“, sagte er, „und Belagerungen hebt man sonst auf, wenn genug Zeit und Menschen verlorengegangen sind. Nicht diese, Freund, hier ist eine Grenze deiner Freiheit, und eher verblutest du dich.“ Er erschrak, hielt sein Tier an, spähte in das Dunkel, das seine angepaßten Augen allmählich durchdrangen. So ernst ist diese Sache, und es heißt mit ihr Glück haben! Da es aber gerufen wurde, erschien ihm das Glück: ließ sein Herz stärker schlagen, machte seinen Kopf leichter, und er besann sich, daß das Alter ein Irrtum sei, und nur vermöge unserer Nachgiebigkeit trete es ein. ,Ich will glücklich sein, noch einmal der Siebzehnjährige, und das Versprechen des Glückes, heute heißt es Gabriele. Erfüll es selbst! Da ist nicht die Wahl, hilft auch die Scham nicht, und Müdigkeit ist unerlaubt. Kämpfe! Mach wieder den König von Navarra, der ein kleiner Mann war gegen mächtige Gefahren. Sie haben ihn nicht umgebracht, und sogar diese wird es nicht.‘
Während er sich reckte, um aufzuatmen, erblickte er in der Ferne eine unbewegte Reitergestalt. Der gerade Weg lief lange dahin, Baumkronen neigten sich herüber; dennoch unterschied Henri zwischen Laub und Schatten, fern und noch klein, die Statue, die wartet. ,Den liebt sie! Das ist wahr, und vor der Wahrheit beug ich mich. Wenn aber er sie liebte, dann stieß er mir hier und jetzt seinen Dolch in den Hals. Tut er’s nicht? So bin ich der Stärkere, weil ich der König bin. Er ist schön und jung: töte mich, Feuillemorte, sonst verlierst du deine Geliebte. Sie wird mich nicht immer alt und häßlich finden, dafür sorg ich, Feuillemorte. Mein Bart ist grau, aber nicht aus triftigen Gründen, denn ich selbst bin jung wie nur einer. Sie wird es lernen, soviel mich’s kosten soll; und muß ich schenken, immer schenken, und mich blind stellen, und werben, bitten, den Kleinen spielen: zum Schluß liebt sie nicht mehr dich, Feuillemorte. Mich liebt sie, liebt mich.‘
Angelangt. Er stellte sein Pferd neben das andere, er neigte sich zu dem anderen Gesicht. „Bellegarde! Wach auf! Was wolltest du tun.“
„Sire! Ihnen das Geleit geben, sobald Sie nicht mehr wünschten allein zu sein.“
Henri war erstaunt, eine höfliche, ruhige Stimme zu hören. ,Wie? Den hat der Sturm nicht angerührt, nur ich wurde geschüttelt? Er wird doch wenigstens Mißtrauen fühlen, das kann ich verlangen.‘
„Ich werde alt“, sagte der König, als sie weiterritten. „Es ist daran zu merken, wie mir die Frauen neuerdings begegnen. Eine, ob du es nun glauben willst, hat mich sitzengelassen an einer Tafel, die für zwanzig Abwesende gedeckt war, sie aber schlich sich aus dem Haus und fuhr von dannen. Da merkt einer erst, wie es um ihn steht, und so auch heute. Du kannst zufrieden sein. Du bist doch zufrieden?“ wiederholte der König, da keine Antwort erfolgte. Das Eingeständnis der Eifersucht! Der König triumphierte.
„Du wolltest es, Feuillemorte. Ich sollte durchaus deine Geliebte sehen, du hättest sie mir am liebsten im Bade gezeigt. Auch ist sie wirklich weiß und rosig, wie du sie schildertest. Mehr weiß als rosig, es stimmt genau. Nie gewahre ich etwas so Weißes, Schimmerndes, und empfing allein durch einen Anblick noch kein solches Versprechen von Glück. Wie schade, daß ich alt bin!“
Dies war mit aufrichtiger Trauer gesprochen, wenn nicht vermöge einer großen Begabung. Bellegarde wurde vom Anhören um so gewisser seines eigenen Glückes, denn sein Glück war Wirklichkeit und nicht leeres Versprechen. „Sie sagen es, ich bin glücklich“, rief Bellegarde hinauf zu den stillen Wipfeln. Unvermittelt begann er mit halber Stimme.
„Ich habe die schönste Freundin von der Welt, bin Großstallmeister von Frankreich, dreißig Jahre alt, gut gewachsen, und der Abend ist gelinde. Ich habe die Ehre, neben dem König zu reiten. Sire! Sie möchten mir meine schöne Freundin wegnehmen, das wäre für Ihren Edelmann die allergrößte Ehre. Mich aber liebt Gabriele d’Estrées, und Sie würden betrogen werden.“
„Du wirst vergessen werden“, sagte Henri, ebenso leise.
„Darum bleibe ich doch ihr Erster“, sagte Bellegarde. „Schon an dem vorigen Hof, als sie sechzehn war, verliebten wir uns. Der verstorbene König ließ uns zusammen tanzen, beide in dieselben Farben gekleidet. Es war sehr gut, daß wir damals unserem gemeinsamen Verlangen widerstanden. Ohne daß ich sie berührt hätte, war sie mir doch bestimmt, und weder dem Kardinal von Guise noch dem Herzog von Longueville. Die Flucht des Königs aus Paris trennte uns für drei Jahre, und durch reinen Zufall hab ich sie hier wiedergefunden; aber gibt es solche Zufälle?“
Viel zu wichtig genommen, hätte Henri gern dazwischen gerufen. Viel zu lang und wichtig; indessen brachte er nichts hervor. Bellegarde versenkte sich, je dunkler der Wald wurde, nur hingebender in den stillen Rausch seines Glückes.
„Man sagt mir: sie ist in Coeuvres. Ich reite hin, wer steht im Saal? Wir sehen uns an, schon ist es entschieden. Sie hatte auf mich gewartet drei Jahre lang, ich blieb ihr erster. Die Tante paßte auf, ich habe sie bezahlt, und die Tür des Zimmers wurde nicht verschlossen in jener Nacht. Die Treppe führt im Innern eines durchbrochenen Türmchens hinauf zu dem Seitenflügel — und dort schlief ich mit ihr“, endete Bellegarde, hatte sich gerade durch dieses Wort ernüchtert, schwieg, und vermutlich hielt er die Lippen fest aufeinandergedrückt.
„Das ist alles?“ fragte Henri, merkwürdig beklommen, da es doch lustig ist, die Tante zu bezahlen und mit der Nichte zu schlafen.
„Ich habe zuviel gesagt“, bemerkte der Liebhaber Gabrieles. Dasselbe empfand Henri: er schämte sich, dies alles gehört zu haben. Die innigen Geständnisse dessen, den ich berauben will, beschämen mich. Denn er hatte schon vergessen, was er vorhin, in dem Augenblick der Hellsichtigkeit, diesem Unternehmen alles zugestanden hatte, Demütigungen jeder Art, freiwillige Blindheit und Verletzungen der Scham.
Die Reiter gelangten aber auf eine Lichtung, dieselbe, wo ihr Abenteuer seinen Anfang genommen hatte, und hier hinein schien der Mond. Jeder sah auf einmal, daß der andere ernst und bleich war: da begann Bellegarde, in dieser tiefen Einsamkeit, wie ein Höfling zu sprechen.
„Sire!“ bat er. „Verlangen Sie nicht, ich sollte mich meiner Jugend rühmen. Ein glücklicher König ist mit vierzig Jahren jung. Ich — bin’s vielleicht nur noch heute.“
„Du bist auffallend gelb, Feuillemorte. Das Licht des Mondes verdeckt deine Farbe nicht. Außer der Jugend zählt auch die Gesundheit. Du solltest in ein Bad gehen, Feuillemorte.“
Reizende Gabriele
Wo Henri geht und steht, muß er auf Feinde achten, jetzt und immer. Eines Tages schleicht zwischen zwei feindlichen Heereskörpern ein Bauer hindurch. Einen Strohsack auf dem Kopf, macht er vier Meilen Waldes, gelangt nach Schloß Coeuvres, über die Brücke, auf den Hof — hier ruft ihn eine Magd an. „Halt, Alter! Die Küche ist hinten.“ Sie bekommt etwas in die Hand gedrückt, betrachtet es sehr erstaunt, führt endlich aus, was ihr leise aufgetragen wird. Aus dem Hause trat Gabriele d’Estrées.
Sie sah einen kleinen Bauer, graubärtig, gebückt, ein schwärzliches Gesicht mit Furchen, wie das Volk hat. „Was willst du?“
„Ich bring eine Botschaft für das Fräulein. Der Herr will nicht genannt sein.“
„Sprich, oder mach, daß du fortkommst.“ Das Fräulein war selbst schon wieder im Gehen. Noch rechtzeitig bemerkte sie, wie lebhaft und geistreich der Mann blickte. War das ein Bauer? Wo sah ich diese Augen schon? Allerdings, sie hätten dir beim erstenmal mehr auffallen müssen.
„Sire!“ rief sie, erschrak, und sagte gedämpft: „Wie sind Sie häßlich!“
„Ich hatte mich angesagt.“
„In dieser Gestalt! Verdien ich nicht, daß Sie in