zum Heidi, und dann kommen Sie, um mir alles zu erzählen, wie es ist dort oben, und was das Heidi macht und der Grossvater und der Peter und die Geissen, ich kenne sie alle so gut! Und dann nehmen Sie mit, was ich dem Heidi schicken will, ich habe schon alles ausgedacht, und auch etwas für die Grossmutter. Bitte, Herr Doktor, tun Sie’s doch; ich will auch gewiss unterdessen Fischtran nehmen, soviel Sie nur wollen.“
Ob dieses Versprechen der Sache den Ausschlag gab, kann man nicht wissen, aber es ist anzunehmen, denn der Herr Doktor lächelte und sagte:
„Dann muss ich ja wohl geben, Klärchen, so wirst du uns einmal rund und fest, wie wir dich haben wollen, Papa und ich. Und wann muss ich denn reisen, hast du das schon bestimmt?“
„Am liebsten gleich morgen früh, Herr Doktor“, entgegnete Klara.
„Ja, sie hat recht“, fiel hier der Vater ein; „die Sonne scheint, der Himmel ist blau, es ist keine Zeit zu verlieren, für jeden solchen Tag ist es schade, den du noch nicht auf der Alp geniessen kannst.“
Der Herr Doktor musste ein wenig lachen: „Nächstens wirst du mir vorwerfen, dass ich noch da bin, Sesemann; so muss ich wohl machen, dass ich fort komme.“
Aber Klara hielt den Aufstehenden fest; erst musste sie ihm ja noch alle Aufträge an das Heidi übergeben und ihm noch so vieles anempfehlen, das er recht betrachten und ihr dann davon erzählen sollte. Die Sendung an das Heidi konnte ihm erst später zugeschickt werden, denn Fräulein Rottenmeier musste erst alles verpacken helfen; sie war aber eben auf einer ihrer Wanderungen durch die Stadt begriffen, von denen sie nicht so schnell zurückkehrte.
Der Herr Doktor versprach alles genau auszurichten, die Reise, wenn nicht am Morgen früh, so doch womöglich noch im Laufe des folgenden Tages anzutreten und dann bei seiner Heimkehr getreulich Bericht zu erstatten über alles, was er gesehen und erlebt haben würde.
Die Diener eines Hauses haben oft eine merkwürdige Gabe, die Dinge zu erfassen, die im Hause ihrer Herren vor sich geben, lange bevor diese dazu kommen, ihnen Mitteilung davon zu machen. Sebastian und Tinette mussten diese Gabe in hohem Grade besitzen, denn eben, als der Herr Doktor, von Sebastian begleitet, die Treppe hinunterging, trat Tinette ins Zimmer der Klara ein, die nach dem Mädchen geschellt hatte.
„Holen Sie diese Schachtel voll ganz frischer, weicher Kuchen, wie wir sie zum Kaffee haben, Tinette“, sagte Klara und deutete auf die Schachtel hin, die schon lange bereitgestanden hatte. Tinette erfasste das bezeichnete Ding an einer Ecke und liess es verächtlich an ihrer Hand baumeln; unter der Türe sagte sie schnippisch:
„Es ist wohl der Mühe wert.“
Als der Sebastian unten mit gewohnter Höflichkeit die Türe aufgemacht hatte, sagte er mit einem Bückling:
„Wenn der Herr Doktor wollten so freundlich sein und dem Mamsellchen auch einen Gruss vom Sebastian bestellen.“
„Ah, sieh da, Sebastian“, sagte der Herr Doktor freundlich; „so wissen Sie denn auch schon, dass ich reise?“
Sebastian musste ein wenig husten:
„Ich bin — ich habe — ich weiss selbst nicht mehr recht — ach ja, jetzt erinnere ich mich: Ich bin eben zufällig durch das Esszimmer gegangen, da habe ich den Namen des Mamsellchens aussprechen gehört, und wie es so geht, man hängt dann so einen Gedanken an den anderen an und so — und in der Weise —“
„Ja wohl, ja wohl“, lächelte der Herr Doktor, „und je mehr Gedanken einer hat, je mehr wird er inne. Auf Wiedersehen, Sebastian, der Gruss wird bestellt.“
Jetzt wollte der Herr Doktor gerade durch die offene Haustür enteilen, aber er traf auf ein Hindernis: der starke Wind hatte. Fräulein Rottenmeier verhindert, ihre Wanderung weiter fortzusetzen; eben war sie zurückgekehrt und wollte ihrerseits durch die offene Tür eintreten. Der Wind hatte ihr weites Tuch, in das sie sich gehüllt hatte, aber dergestalt aufgebläht, dass es gerade so anzusehen war, als habe sie die Segel aufgespannt. Der Herr Doktor wich augenblicklich zurück. Aber gegen diesen Mann hatte Fräulein Rottenmeier von jeher eine besondere Anerkennung und Zuvorkommenheit an den Tag gelegt. Auch sie wich mit ausgesuchter Höflichkeit zurück, und eine Weile standen die beiden mit rüdsichtsvoller Gebärde da und i machten einander gegenseitig Platz. Jetzt aber kam ein so starker Windstoss, dass Fräulein Rottenmeier auf einmal mit vollen Segeln gegen den Doktor heranflog. Er konnte eben noch ausweichen; die Dame aber wurde noch ein gutes Stück über ihn hinausgetrieben, so dass sie wieder zurückkehren musste, um nun den Freund des Hauses mit Anstand zu begrüssen. Der gewalttätige Vorgang hatte sie ein wenig verstimmt, aber der Herr Doktor hatte eine Art und Weise, die ihr gekräuseltes Gemüt bald glättete und eine sanfte Stimmung darüber verbreitete. Er teilte ihr seinen Reiseplan mit und bat sie in der einnehmendsten Weise, ihm die Sendung an das Heidi so zu verpacken, wie nur sie zu packen verstehe. Dann empfahl sich der Herr Doktor.
Klara erwartete, dass sie erst einige Kämpfe mit Fräulein Rottenmeier zu bestehen haben würde, bevor diese ihre Zustimmung zum Absenden all der Gegenstände geben werde, die Klara für das Heidi bestimmt hatte. Aber diesmal hatte sie sich getäuscht: Fräulein Rottenmeier war ausnehmend gut gelaunt. Sogleich räumte sie alles weg, was auf dem grossen Tische lag, um die Dinge alle, die Klara zusammengebracht hatte, darauf auszubreiten und dann vor ihren Augen die Sendung zu verpacken. Es war keine leichte Arbeit, denn die Gegenstände, die da zusammengerollt werden sollten, waren vielgestaltig. Erst kam der kleine dicke Mantel mit der Kapuze, den Klara für das Heidi ausgesonnen hatte, damit es im kommenden Winter die Grossmutter besuchen könnte, wann es wollte, und nicht warten müsste, bis der Grossvater kommen konnte, und es dann in den Sack eingewickelt werden musste, damit es nicht erfriere. Dann kam ein dickes, warmes Tuch für die alte Grossmutter, damit sie sich darin einhülle und nicht frieren müsse, wenn der Wind wieder so schaurig um die Hütte klappern würde. Dann kam die grosse Schachtel mit den Kuchen; die war auch für die Grossmutter bestimmt, dass sie zu ihrem Kaffee auch einmal etwas anderes als ein Brötchen zu essen habe. Jetzt folgte eine ungeheure Wurst; die hatte Klara ursprünglich für den Peter bestimmt, weil er doch nie etwas anderes als Käse und Brot bekam. Aber sie hatte sich jetzt anders besonnen, denn sie fürchtete, der Peter könnte vor Freuden die ganze Wurst auf einmal aufessen. Darum sollte die Mutter Brigitte diese bekommen und erst für sich und die Grossmutter einen Teil davon nehmen und dem Peter den seinigen in verschiedenen Lieferungen abgeben. Jetzt kam noch ein Säckchen Tabak; der war für den Grossvater, der ja so gern ein Pfeifchen rauchte, wenn er am Abend vor der Hütte sass. Zulegt kam noch eine Anzahl geheimnisvoller Säckchen, Päckchen und Schächtelchen, welche Klara mit besonderer Freude zusammengekramt hatte, denn da sollte das Heidi allerhand überraschungen finden, die ihm grosse Freude machen würden. Endlich war das Werk beendet, und ein stattlicher Ballen lag reisefertig an der Erde. Fräulein Rottenmeier schaute darauf nieder, in tiefsinnige Betrachtungen über die Kunst zu packen versunken. Klara ihrerseits warf Blicke froher Erwartung darauf hin, denn sie sah das Heidi vor sich, wie es vor Überraschung in die Höhe springen und aufjauchzen würde, wenn das ungeheure Paket bei ihm anlangte.
Jetzt trat Sebastian herein und hob mit einem starken Schwung den Ballen auf seine Schulter, um ihn unverzüglich nach dem Hause des Herrn Doktors zu spedieren.
Zweites Kapitel
Ein Gast auf der Alm
Das Frührot glühte über den Bergen, und ein frischer Morgenwind rauschte durch die Tannen und wiegte die alten Äste mächtig hin und her. Das Heidi schlug seine Augen auf, der Ton hatte es erweckt. Dieses Rauschen packte das Heidi immer im Innersten seines Wesens und zog es mit Gewalt hinaus unter die Tannen. Es schoss von seinem Lager auf und hatte kaum Zeit, sich fertig zu machen; das musste aber doch sein, denn Heidi wusste nun recht gut, dass man immer sauber und ordentlich aussehen muss.
Jetzt kam es von dem Leiterchen herunter. Des Grossvaters Lager war schon leer; Heidi sprang hinaus. Draussen vor der Tür stand der Grossvater und schaute den Himmel an nach allen Seiten hin, wie er jeden Morgen tat, um zu sehen, wie der Tag werden wollte.
Es zogen rosige Wölkchen oben hin, und mehr und mehr blaute der Himmel, und drüben floss es wie lauter Gold über die Höhen und das Weideland, denn eben kam