Adalbert Stifter

Der Hochwald


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      Adalbert Stifter

      Der Hochwald

      Saga

      Der Hochwald Coverbild/Illustration: ShutterstockCopyright © 1842/44, 2020 Adalbert Stifter und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726569377

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

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      Waldburg

      An der Mitternachtseite des Ländchens Österreich zieht ein Wald an die dreiẞig Meilen lang seinen Dämmerstreifen westwärts, beginnend an den Quellen des Flusses Thaia und fortstrebend bis zu jenem Grenzknoten, wo das böhmische Land mit Österreich und Bayern zusammenstöẞt. Dort, wie oft die Nadeln bei Kristallbildungen, schoẞ ein Gewimmel mächtiger Joche und Rücken gegeneinander und schob einen derben Gebirgsstock empor, der nun von drei Landen weithin sein Waldesblau zeigt und ihnen allerseits wogiges Hügelland und strömende Bäche absendet. Er beugt, wie seinesgleichen öfter, den Lauf der Bergeslinie ab, und sie geht dann mitternachtwärts viele Tagereisen weiter.

      Der Ort dieser Waldesschwenkung nun, vergleichbar einer abgeschiedenen Meeresbucht, ist es, in dessen Revieren sich das begab, was wir uns vorgenommen zu erzählen. Vorerst wollen wir es kurz versuchen, die zwei Punkte jener düsterprächtigen Waldesbogen dem geneigten Leser vor die Augen zu führen, wo die Personen dieser Geschichte lebten und handelten, ehe wir ihn zu ihnen selber geleiten. Möchte es uns gelingen, nur zum tausendsten Teile jenes schwermütigschöne Bild dieser Waldtale wiederzugeben, wie wir es selbst im Herzen tragen seit der Zeit, als es uns vergönnt war, dort zu wandeln und einen Teil jenes Doppeltraumes dort zu träumen, den der Himmel jedem Menschen einmal und gewöhnlich vereint gibt, den Traum der Jugend und den der ersten Liebe. Er ist es, der eines Tages aus den tausend Herzen eines hervorhebt und es als unser Eigentum für alle Zukunft als einzigstes und schönstes in unsere Seele prägt und dazu die Fluren, wo es wandelt, als ewig schwebende Gärten in die dunkle, warme Zauberphantasie hängt!

      Wenn sich der Wanderer von der alten Stadt und dem Schlosse Krumau, dieser grauen Witwe der verblichenen Rosenberger, westwärts wendet, so wird ihm zwischen unscheinbaren Hügeln bald hier, bald da ein Stück Dämmerblau hereinscheinen, Gruẞ und Zeichen von drauẞen ziehendem Gebirgslande, bis er endlich nach Ersteigung eines Kammes nicht wieder einen andern vor sich sieht wie den ganzen Vormittag, sondern mit eins die ganze blaue Wand von Süd nach Norden streichend, einsam und traurig. Sie schneidet einfarbig mit breitem, lotrechtem Bande den Abendhimmel und schlieẞt das Tal, aus dem ihn wieder die Wasser der Moldau anglänzen, die er in Krumau verlieẞ; nur sind sie hier noch jugendlicher und näher ihrem Ursprunge. Im Tale, das weit und fruchtbar ist, sind Dörfer herumgestreuet, und mitten unter ihnen steht der kleine Flecken Oberplan. Die Wand ist obengenannter Waldesdamm, wie er eben nordwärts beugt, und daher unser vorzüglichstes Augenmerk. Der eigentliche Punkt aber ist ein See, den sie ungefähr im zweiten Drittel ihrer Höhe trägt.

      Dichte Waldbestände der eintönigen Fichte und Föhre führen stundenlang vorerst aus dem Moldautale empor, dann folgt, dem Seebach sacht entgegensteigend, offenes Land; – aber es ist eine wilde Lagerung zerrissener Gründe, aus nichts bestehend als tiefschwarzer Erde, dem dunklen Totenbett tausendjähriger Vegetation, worauf viele einzelne Granitkugeln liegen, wie bleiche Schädel von ihrer Unterlage sich abhebend, da sie vom Regen bloẞgelegt, gewaschen und rundgerieben sind. – Ferner liegt noch da und dort das weiẞe Gerippe eines gestürzten Baumes und angeschwemmte Klötze. Der Seebach führt braunes Eisenwasser, aber so klar, dass im Sonnenschein der weiẞe Grundsand glitzert wie lauter rötlich heraufflimmernde Goldkörner. Keine Spur von Menschenhand, jungfräuliches Schweigen.

      Ein dichter Anflug junger Fichten nimmt uns nach einer Stunde Wanderung auf, und von dem schwarzen Sammet seines Grundes herausgetreten, steht man an der noch schwärzern Seefläche.

      Ein Gefühl der tiefsten Einsamkeit überkam mich jedesmal unbesieglich, so oft und gern ich zu dem märchenhaften See hinaufstieg. Ein gespanntes Tuch ohne eine einzige Falte, liegt er weich zwischen dem harten Geklippe, gesäumt von einem dichten Fichtenbande, dunkel und ernst, daraus manch einzelner Urstamm den ästelosen Schaft emporstreckt wie eine einzelne altertümliche Säule. Gegenüber diesem, Waldbande steigt ein Felsentheater lotrecht auf wie eine graue Mauer, nach jeder Richtung denselben Ernst der Farbe breitend, nur geschnitten durch zarte Streifen grünen Mooses und sparsam bewachsen von Schwarzföhren, die aber von solcher Höhe so klein herabsehen wie Rosmarinkräutlein. Auch brechen sie häufig aus Mangel des Grundes los und stürzen in den See hinab; daher man, über ihn hinschauend, der jenseitigen Wand entlang in gräẞlicher Verwirrung die alten ausgebleichten Stämme liegen sieht, in traurigem, weiẞleuchtendem Verhack die dunklen Wasser säumend. Rechts treibt die Seewand einen mächtigen Granitgiebel empor, Blöckenstein geheiẞen; links schweift sie sich in ein sanftes Dach herum, von hohem Tannenwald bestanden und mit einem grünen Tuche des feinsten Mooses überhüllt.

      Da in diesem Becken buchstäblich nie ein Wind weht, so ruht das Wasser unbeweglich, und der Wald und die grauen Felsen und der Himmel schauen aus seiner Tiefe heraus wie aus einem ungeheuren schwarzen Glasspiegel. Über ihm steht ein Fleckchen der tiefen, eintönigen Himmelsbläue. Man kann hier tagelang weilen und sinnen, und kein Laut stört die durch das Gemüt sinkenden Gedanken als etwa der Fall einer Tannenfrucht oder der kurze Schrei eines Geiers.

      Oft entstieg mir ein und derselbe Gedanke, wenn ich an diesen Gestaden saẞ: – als sei es ein unheimliches Naturauge, das mich hier ansehe – tiefschwarz –, überragt von der Stirn und Braue der Felsen, gesäumt von der Wimper dunkler Tannen – drin das Wasser regungslos, wie eine versteinerte Träne.

      Rings um diesen See, vorzüglich gegen Bayern ab, liegen schwere Wälder, manche nie besuchte einsame Talkrümme samt ihren Bächlein zwischen den breiten Rücken führend, manche Felsenwand schiebend mit den tausend an der Sonne glänzenden Flittern und manche Waldwiese dem Tagesglanze unterbreitend einen schimmernden Versammlungssaal des mannigfachsten Wildes.

      Dieses ist der eine der zwei obbemerkten Punkte. Lasset uns nun zu dem andern übergehen. Es ist auch ein Wasser, aber ein freundliches, nämlich das leuchtende Band der Moldau, wie es sich darstellte, von einem Höhepunkt desselben Waldzuges angesehen, aber etwa zehn Wegestunden weiter gegen Sonnenaufgang. Durch die duftblauen Waldrücken noch glänzender, liegt es geklemmt in den Talwindungen, weithin sichtbar, erst ein Lichtfaden, dann ein flatternd Band und endlich ein breiter Silbergürtel um die Wölbung dunkler Waldesbusen geschlungen – dann, bevor sie neuerdings schwarze Tannen- und Föhrenwurzeln netzt, quillt sie auf Augenblicke in ein lichtes Tal hervor, das wie ein zärtlich Auge aufgeschlagen ist in dem ringsum trauernden Waldesdunkel. – Das Tal trägt dem wandernden Wasser gastliche Felder entgegen und grüne Wiesen, und auf einer derselben, wie auf einem Sammetkissen, einen kleinen Ort mit dem schönen Namen Friedberg. – Von da, nach kurzem Glanze, schieẞt das Wellensilber wieder in die Schatten erst des Jesuitenwaldes, dann des Kienberges und wird endlich durch die Schlucht der Teufelsmauer verschlungen.

      Der Punkt, von dem aus man fast so weit, als hier beschrieben, den Lauf der Waldestochter übersehen kann, ist eine zerfallene Ritterburg, von dem Tale aus wie ein luftblauer Würfel anzusehen, der am obersten Rande eines breiten Waldbandes schwebet. Friedbergs Fenster sehen gegen Südwesten auf die Ruine, und dessen Bewohner nennen sie den Thomasgipfel oder Thomasturm, oder schlechthin St. Thoma, und sagen, es sei ein uraltes Herrenschloẞ, auf dem einst grausame Ritter wohnten, weshalb es jetzt verzaubert sei und in tausend Jahren nicht zusammenfallen könne, ob auch Wetter und Sonnenschein daran arbeiten.

      Oft saẞ ich in vergangenen Tagen in dem alten Mauerwerke, ein lieb gewordenes Buch lesend, oder bloẞ den lieben, aufkeimenden Jugendgefühlen horchend, durch die ausgebröckelten Fenster zum blauen Himmel schauend, oder die goldenen Tierchen betrachtend, die neben mir in den Halmen liefen, oder statt all dessen bloẞ müẞig und sanft den stummen Sonnenschein empfindend,