Isolde Kurz

Florentiner Novellen


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aber wenn die Miene des jungen Mannes ein Spiegel der ihrigen war, so konnte es kein unfreundliches Gesicht sein, was sie ihm zeigte.

      Da trat Herr Bernardo dazwischen und legte mit anmutiger Hoheit seine Hand auf des Junkers Schulter.

      »Es ist Zeit zu scheiden«, sagte er. »Fahre wohl, mein Sohn, die Götter schenken dir günstigen Vogelflug, und dich geleite der Gott der Wanderer an seinem sicheren Stabe.« »In die Unterwelt; Amen!« setzte Marcantonio leise hinzu. Beim nächsten Morgengrauen, während Graf Eberhard mit Rossen und Mannen der Ewigen Stadt entgegenzog, lenkte Junker Veit sein Pferd durch die Porta San Gallo der nordischen Heimat zu.

      Längst waren die Leuchtkäfer verglommen und die Nachtigallen verstummt, der Hochsommer war eingezogen mit seiner weißglühenden Sonne und seinem endlosen Zikadengeschmetter, aber noch war keine Kunde von Junker Veit gekommen. Im Hause der Rucellai hatte man geglaubt, daß der rasche Werber in spätestens zwei Monaten zurück sein würde, und Lucrezia hatte im Vorgefühl des nahen Abschieds die Plätze ihrer Kindheit durchstreift und tränenden Auges allen Freundinnen Lebewohl gesagt. Sonst war alles sich gleich geblieben, nach wie vor brannte das Lämpchen bei Ciceros Büste, nach wie vor sprach Herr Bernardo im Stil der römischen Redner, und Lucius Rufus mühte sich treulich, es ihm nachzutun. Wie sonst verbrachte der berühmte Marcantonio seine Abende im Palaste Rucellai oder in der Loggia, die jetzt von übermächtigem Orangen- und Zitronenduft erfüllt war. Bernardo hatte sich eine Karte von Germanien zu verschaffen gewußt, an der sie zu dreien studierten, um die Lage des Landes Suevien festzustellen; da sie aber nicht wußten, ob sie dasselbe in Nord, Süd, Ost oder West zu suchen hatten, standen sie bald wieder von ihren geographischen Forschungen ab. Diesen Umstand benützte Marcantonio, um dem Kinde von den germanischen Landen, die auch der Vater nur aus der Beschreibung des Tacitus kannte, ein höchst abschreckendes Bild zu entwerfen, und von den Bewohnern sagte er, sie seien ein wildes, dem Trunke ergebenes Volk, wozu aber Bernardo die Bemerkung fügte, daß die Frauen dort in hohen Ehren gehalten würden.

      Im übrigen führten sie zusammen ein einförmiges Leben, denn der alte Herr öffnete den Mund nur, um sich selber reden zu hören, und Marcantonio, so witzig mit der Feder, war ein dürftiger und trockener Gesellschafter.

      Als sich nun die Frist, die dem Mädchen anfangs so erwünscht war, wider Erwarten mehr und mehr in die Länge zog, ertappte sie sich zuweilen auf dem Gedanken: »Er bleibt aber lange aus« – was auch Marcantonio dem Vater gegenüber auf seine Weise aussprach mit den Worten: »Er zeigt wenig Eile, dein junger Barbar.«

      Bernardo war nicht aus seiner Gemessenheit zu bringen. »Ich habe ihm längere Frist zugestanden, als er zum knappen Hin- und Herreiten braucht. Auch kann ihm ja ein Unfall zugestoßen sein.«

      Bei diesen Worten erbleichte Lucrezia und empfand etwas wie einen Stich am Herzen. Sie beugte sich über die Loggia hinaus und wandte die Augen ängstlich nach der Richtung, in der sie das Land Germanien vermutete. Von nun an blickte sie oft nach Norden und eilte zum Fenster, sooft die Piazzetta von Hufschlag dröhnte. Selbst wenn einmal ein Windzug von den Alpen her die glühende Hitze kühlte, so dachte sie stets daran, daß diese Lüftchen denselben Weg gewandert seien, auf welchem auch der blonde Reitersmann kommen mußte.

      Doch erfuhr niemand, was in ihr vorging, als der rote Lutz, der sie von Kindesbeinen kannte und von dem sie sich jetzt insgeheim die Anfangsgründe der deutschen Sprache beibringen ließ. Er war zwar wegen seiner Schwülstigkeit nicht der berufenste Lehrer, hatte auch in zwanzigjähriger Abwesenheit vom Vaterland das Deutsche zum Teil vergessen, aber mit Beharrlichkeit brachte sie es so weit, die Namen der Dinge aus einem Wust von Torheit herauszuschälen und sich ins Gedächtnis zu prägen. Es war nur ein schwacher Anfang, aber er sollte dem Verlobten ihren guten Willen zeigen, und sie freute sich königlich darauf, ihn in den Lauten seiner Muttersprache zu begrüßen.

      Unterdessen war in der ganzen Stadt die seltsame Verlobung Lucrezias bekannt geworden, und auch am mediceischen Hofe wurde viel darüber gescherzt, daß die junge Florentinerin den alten Römer aus der Gefangenschaft loskaufen müsse. Doch, obwohl man allgemein bedauerte, ein so schönes Mädchen aus Florenz zu verlieren, war niemand, der Herrn Bernardo getadelt hätte, denn so hoch stand das Ansehen des römischen Autors, daß man wohl begriff, wie der Vater sein eigen Fleisch und Blut nicht zu kostbar hielt für diesen Tausch.

      Nur Marcantonio sah den alten Freund mit immer vorwurfsvolleren Augen an. Als sich gar der Hochsommer zu Ende neigte, suchte er allmählich durch leises Wühlen den Glauben Bernardos an die Rückkehr des barbarischen Bräutigams zu erschüttern, indem er ihm vorrechnete, daß eine Frist wie die verstrichene genügt hätte, das goldene Vlies herbeizuschaffen, geschweige einen alten Kodex aus dem eigenen Keller.

      Doch Bernardo runzelte nur die olympischen Brauen ein wenig.

      »Der Verfasser der ›Facetiae‹ darf sich etwas bei mir erlauben. Aber treibe keinen Mißbrauch mit dem Recht an meine Liebe, das ein unvergleichliches literarisches Verdienst dir erworben hat. Kann der Fremdling die Bedingung nicht erfüllen, so sendet er mir den Ring zurück, und alsdann magst du deine Werbung erneuern.«

      Auch gemeinsame Freunde, die sich auf Marcantonios Bitten bei Bernardo bemühten, erhielten keine andere Antwort als: »Ein Rucellai hält, was er verspricht. Was hülfe uns das Studium der Alten, wenn wir uns nicht ihre Tugenden zu eigen machten!«

      Der alte Herr war mittlerweile mit seinem Töchterlein auf ein kleines Landgut im Val d’Ema gezogen, das eigentlich Marcantonio gehörte, aber wegen seiner reizenden schattigen Lage und der Nähe der Stadt schon seit Jahren der Familie zum Sommersitz diente. Dort las er zum vierzehnten Male das berühmte Buch seines Verwandten und ergötzte sich an der geistigen Fülle, die aus den toten Lettern sprudelte und von der dem Verfasser im Umgang so wenig anzumerken war. Unter diesem Einfluß verwandelte sich ganz allmählich der Wunsch, seine Tochter durch die Hand eines solchen Mannes glücklich zu machen, in ihm zur Überzeugung, daß der deutsche Junker doch nicht zurückkehren werde, und endlich ließ er sich von Marcantonio das Versprechen entreißen, daß, wenn binnen eines Monats noch immer keine Nachricht von dem Fremdling gekommen sei, er der Heirat seines bewunderten Freundes mit Lucrezia kein Hindernis mehr in den Weg stellen werde.

      Noch ein Monat! Dem Gelehrten schien es, als habe dieser Zeitraum die zehnfache Zahl der Tage, die sonst zu einem Monat gehörten. Nicht daß er gefürchtet hätte, der deutsche Junker werde unterdessen mit dem alten Manuskript zurückkehren und den Preis einfordern, er wußte ja und er allein, daß dies unmöglich war. Aber das Ziel seiner Wünsche rückte abermals in die Ferne, und doch war ihm die Hand der schönen Lucrezia schon versprochen am Tag, wo seine berühmten Facetien das Licht erblickt hatten, und wenn auch die schwarzen Augen des Mädchens kein jugendliches Feuer mehr in seinen Adern entzündeten, so fand er es doch süß, die Hand der schönsten Erbin einzig seinem Ruhme zu danken.

      Damals, nach Erscheinen seines Buches, war der gemessene Bernardo wie außer sich zu ihm gestürzt, hatte sich an seine Brust geworfen, ihn den Stolz der Familie und seinen künftigen Eidam genannt.

      Ach, diese Facetien! Wäre nur nicht mit dem Ruhm eine so widerliche Erinnerung verknüpft gewesen! Jahrelang hatte Marcantonio sie in den fernsten Winkel seines Gedächtnisses zurückgedrängt und sie am Ende fast vergessen. Seit dem Besuch der Deutschen in Florenz und dem erneuten Forschen nach dem ciceronianischen Kodex war sie plötzlich aus ihrem Winkel hervorgekrochen und blickte ihm jetzt ängstlich ins Gesicht, mit heimlicher Schamröte auf den Wangen.

      Er hatte lange gehofft, das unsichtbare Schandmal, das an seinem literarischen Triumph hing, durch nachfolgende Triumphe zu verlöschen. Der Ruhm, dachte er, werde seinem Geiste Nahrung geben und ihn zu einer Reihe großer Schöpfungen befähigen. Diese Hoffnung blieb unerfüllt. Wie die Aloe nur einmal blüht, so hatte Marcantonio in den »Facetiae« seine literarische Kraft erschöpft, so wenigstens sagten seine Freunde.

      Es war indes kein Wunder, wenn man diese Fülle glänzender Einfälle und ihre unnachahmliche klassische Form bedachte. Ein Reichtum an Geist, den bisher niemand bei dem ledernen Gelehrten gesucht hatte. Cicero selbst hätte sich dieses Buches nicht zu schämen gebraucht.

      Es war eine schwere Wahl gewesen, vor die sich Marcantonio gestellt sah, als vor nunmehr sechs Jahren sein Agent aus