er. „Davon gibt’s hier einige. Und stell dir vor, unser Nachbar wird vielleicht noch einen Jährling auf den Hof nehmen. Das wär natürlich prima für Sammy.
Ich atme auf. Wenn Sammy mit einem gleichaltrigen Pferd auf der Koppel sein könnte, mit dem er spielen und toben kann, das wäre echt klasse!
Jens sagt, dass sich das mit dem anderen Pferd noch vor den Sommerferien entscheiden wird. Dann fragt er mich, ob ich mit ihm zu einem Fest gehen möchte.
Eine Schulfreundin von ihm hat Geburtstag und will eine Gartenparty machen.
Dazu hat sie Jens eingeladen und gesagt, dass er noch jemanden mitbringen kann. Und da hat er ausgerechnet an mich gedacht!
Erst bin ich verlegen und weiß nicht, was ich sagen soll. Dabei freue ich mich unheimlich. Trotzdem tue ich ganz cool.
„Okay, warum nicht?“, sage ich. „Wann ist die Party denn?“
„Nächsten Freitag. Ich kann dich abholen und wieder nach Hause fahren.“
„Gut. Was soll man mitbringen?“
„Am besten was zu futtern. Du kannst doch diese spitzenmäßigen Käseplätzchen backen.“
Meine Familie wundert sich, dass ich plötzlich so munter bin. Ich pfeife und singe und koche abends einen Auflauf aus Nudeln, Tomaten und Käse.
„Was ist denn plötzlich mit dir los, Nelly?“, fragt Kathi. „Die ganze Woche schleichst du herum wie ein geprügeltes Gespenst, und jetzt bist du wie ausgewechselt!“
„Nelly ist in der Pubertät“, sagt Dani. „Da ist man so wetterwendisch. Man hat die totalen Stimmungsschwankungen, das weiß doch jeder.“
Ich muss lachen. Dann erzähle ich von Sammy Langbein. Dass er vielleicht einen zweiten Jährling zur Gesellschaft bekommen wird. Von dem Fest sage ich nichts. Dani würde mich vielleicht wegen Jens aufziehen.
Ich mag meinen Bruder total gern. Wir verstehen uns gut, auch wenn wir uns manchmal ein bisschen fetzen. Aber alles muss er auch nicht wissen.
Nach dem Abendessen sitzen wir satt und zufrieden im Wohnzimmer. Dani hält uns einen Vortrag über das Leben der Radnetzspinnen. Spinnen sind seit ein paar Monaten seine große Leidenschaft.
Emma schaltet den Fernseher ein. Sie findet Spinnen ätzend und will nichts von ihnen wissen. Chris, unser Vater, liest in einem dicken Buch. Kathi kniet auf dem Boden und wühlt in einem Berg von Stoffresten. Sie will eine Sofadecke aus lauter bunten Vierecken nähen. Patchwork nennt man das.
Ich liege mit August, unserem Schäferhund, auf dem Sofa und überlege, was ich am Freitag anziehen soll. Die schwarze Jeans vielleicht. Und mein neues grünes Hemd aus feinem Cordsamt. Aber vielleicht wäre ja etwas Leichteres besser, falls es ein richtig warmer Sommerabend wird. Ich finde es echt cool, dass Jens mich eingeladen hat, und nicht eins von den Mädchen aus seiner Schule, die in seinem Alter sind.
Denn Jens ist schon sechzehneinhalb, und ich bin erst zwölfeinhalb. Hoffentlich bin ich auf dem Fest nicht die Jüngste von allen, sonst komme ich mir dumm vor. Schon fange ich an, mir Sorgen zu machen. Und ich merke, dass ich mir damit die ganze Vorfreude verderbe.
„Nelly, bringst du mir mal die Schere, bitte?“, fragt Kathi in meine Gedanken hinein.
Vorsichtig steige ich über August weg. Er hat seine rechte Vorderpfote über die Sofakante gestreckt. Sie ist immer noch empfindlich. Auch die Narben sieht man deutlich durch das Fell schimmern.
August ist im vergangenen Winter mit der Pfote in die Falle eines Wilderers geraten. Mir wird immer noch ganz kalt, wenn ich daran denke, wie wir ihn im Wald gefunden haben – Dani, Emma und ich. Alles war voller Blut. Wir dachten, er müsste sterben.
Zum Glück konnten wir die Blutung stillen, und ich rannte wie ein Weltmeister durch den Wald, um Hilfe zu holen. Unser Großvater, der Tierarzt ist, flickte Augusts Pfote wieder zusammen. Doch seitdem kann August nicht mehr so gut laufen und springen wie früher.
Im Fernseher schreit eine Frau um Hilfe. „Mach doch den Kasten aus!“, brummt mein Vater.
„Ja, das nervt“, sagt Dani.
„Du nervst auch mit deinem ewigen Spinnengelaber“, schimpft Emma zurück.
„Sehr komisch!“, sage ich. „Dass einer sich vor Spinnen ekelt, aber zuschauen kann, wie Frauen überfallen und umgebracht werden. Das hält man doch im Kopf nicht aus!“
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