Will Berthold

Die gelbe Mafia


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können wir uns diesmal etwas einfallen lassen.«

      »Und du hast schon eine Idee?«

      Er nickte zustimmend. »Mach dich schon mal auf eine Überraschung gefaßt.«

      Mehr verriet Kudemann nicht. Blaurock mußte sich noch zwei Stunden gedulden. Gegen 20 Uhr verließen die beiden das Bundeskriminalamt und fuhren zum Rhein-Main-Flughafen, aber nicht im Dienstwagen, sondern in Kudemanns Privatauto. Er stellte es nicht auf dem großen Parkplatz ab, sondern rollte – offensichtlich nach Absprache – in die Innenseite des Flughafengebäudes. Als der Bus losfuhr, um die Passagiere der Maschine aus Paris auf der Landebahn abzuholen, fuhr er langsam hinterher.

      Die Gangway wurde herangefahren, die Flugzeugtür geöffnet.

      »Wir erwarten also einen Passagier aus Paris?« fragte Blaurock.

      »Ja und nein«, erwiderte der Leiter der Sonderkommission. Nach kurzem Nachdenken ergänzte er dann doch: »Er kommt aus New York – Paris war nur eine Zwischenstation.«

      »Also Interpol …«

      »Ja und nein«, antwortete Kudemann zum zweitenmal.

      Leicht verärgert gab es der Mann aus Pullach auf, das Orakel von Delphi zu befragen.

      Die ersten Passagiere erschienen auf der Landetreppe, bedrängt von den nachfolgenden; immer mehr quollen heraus. Alle hatten es eilig, der engen Maschine zu entkommen. Der BND-Dezernent bemerkte einen Mann, der in jeder Menschenmenge auffiel, wiewohl er nichts dazu tat und nur knapp über der Normalgröße lag.

      Blaurock betrachtete die hohe Stirn, die dichten, linksgescheitelten Haare, die buschigen Augenbrauen. Jetzt war er sicher, daß der Passagier, den er von New York her kannte und der die Intelligenz eines Wissenschaftlers mit der Härte eines Karatemeisters vereinigte, Fred Magellan war, mit dem er sich in New York angefreundet hatte.

      In Praxis wie in Theorie der beste Chinaspezialist, den er kannte – und er kannte viele.

      »Alle Achtung, Doktor«, sagte er zu Kudemann.

      5

      Die Lichter waren angegangen. Zehntausende bunter Fixsterne und Reklameschilder überschwemmten die Südost-Metropole mit Glanz und Farbe, ließen selbst die verlebten Fassaden der Nebenstraßen aufleuchten. Jeden Abend begann ›Hongkong by Night‹ mit einer Massenpromenade der Bewohner: Sie strömten aus ihren Wohnpferchen in den Termitenbauten, flüchteten aus verrotteten Fertigungshallen, um beim Straßenbummel etwas Luft zu schöpfen und ein wenig Freude zu tanken.

      Im Suzie-Wong-Viertel Wanchai wiesen den Pfadfindern der Abwege die roten Laternen den Weg zu den Sündenpfuhlen. Sowie ein Schiff einlief und die Matrosen Landausgang hatten, zogen ganze Scharen philippinischer Hausmädchen zum Hafen, um die Frau an den Mann zu bringen. Die Filipinas waren die billigsten Käuflichen in einer Stadt, in der man sich die Lotterlieben etwas kosten lassen mußte. Eine Unzahl von Japanern, die ausschließlich zu diesem Zweck nach Hongkong zu fliegen pflegten, verdarben die Preise: Yen-Love.

      Gleich nach dem Verlassen des ›Mandarin‹ waren der Kamikaze und seine Begleiterin in eine unübersehbare Menschenmenge geraten und wurden von ihr verschluckt und mitgerissen. Die Seitengassen mit den tiefen Häuserschluchten hatten sich in reißende Bäche verwandelt, in einen Fluß mündend, der zu einem mächtigen Strom anschwoll. Er floß nirgendwohin, da er sich an der nächsten Kreuzung schon wieder teilte oder gewaltsam zurückgestoßen wurde.

      Ein Gewimmel von Frauen, Greisen und Kindern, dazwischen reizende China-Girls mit den winzigen Stupsnasen, schwarzen Haaren, mandelförmigen Augen, zierlich und zerbrechlich wie Teepuppen, doch fröhlich plappernd, Arm in Arm oder in Gruppen und dahinter häufig die Mütter, erkennbar an dem besorgten Stolz um ihre Töchter.

      Die Freizeit-Chinesen gaben der Stadt ihr unverwechselbares Fluidum von Lärm, Geruch, ausgelassener Fröhlichkeit und stiller Ergebenheit. Der Schauplatz wurde zum Reigen von Überfluß und Not, von Sorglosigkeit und Angst, von Vergnügungssucht und Freßwahn.

      Das Liebespaar auf Zeit hatte sich einfach mitreißen lassen. So der Agent jetzt Verfolger hatte, woran er nicht zweifelte, waren es Chinesen, und er konnte ihre Gesichter nicht unterscheiden, auch wenn er es ständig versuchte.

      Offensichtlich benahm er sich dabei weniger professionell als sonst: »Wonach hältst du eigentlich so angestrengt Ausschau?« fragte ihn Babs.

      »Nach gar nichts«, behauptete er mit einem falschen Lachen. »Höchstens nach Taschendieben. Ich versuche nur zu vermeiden, daß ich einem meiner Geschäftspartner über den Weg laufe, dann wäre nämlich unsere Zweierbeziehung beträchtlich gestört.«

      »Wieso das?«

      »Wenn man mit einem Hongkong-Chinesen einmal ein Geschäft getätigt hat, wird er unweigerlich auf einem ausgedehnten Essen und auf noch ausgedehnteren Gesprächen bestehen. Und ich will jetzt endlich einmal meinen privaten Urlaub haben«, setzte er grimmig hinzu.

      »Das ist ein Wort.«

      Es fiel Parker bei Babs nicht schwer, ein perfekter Liebhaber zu sein. Er bedauerte bereits jetzt, daß er die Düsseldorferin in zwei, drei Tagen brutal abhängen müßte. In seinem Job gab es kein Erbarmen, weder sich noch anderen gegenüber. Die Lüge ist der Werkstoff, mit der im Untergrund gearbeitet wird, die Tarnung sein Handwerkszeug; sie war dem Kamikaze so vertraut, daß er mitunter daran zweifelte, sein eigenes Gesicht zu sehen, wenn er in den Spiegel schaute.

      In seinem Metier war der Erfolg die Moral, und seine einzige Ausrede, daß es eben Berufe gab, die anrüchig, doch auch unentbehrlich waren. Müllhalden müssen abgetragen, geplatzte Kloröhren ersetzt, Tote gewaschen, Kadaver abgedeckt, Toiletten gesäubert und Tiere von Lohnschlächtern getötet werden; schließlich besteht die Welt nicht nur aus Vegetariern.

      Sie trieben weiter im Strom, auf die Anlegestelle der Schiffe zu, die Besucher zu den berühmt-berüchtigten Spielhöhlen nach Macao bringen. Allabendlich verwandelte sich der riesige Parkplatz in einen strahlend hellen Verkaufsbasar, »The poor man’s night club« genannt, der Nachtclub des armen Mannes, der allerdings um Mitternacht endete. Kauflustige und Schaulustige umringten die Stände mit den Billigwaren, mit Ramsch und Plunder. Wenn man Geduld hatte und einen Blick dafür, konnte man an den Hunderten von Verkaufstischen gelegentlich auch schöne kunstgewerbliche Artikel aus Silber, Leder, Elfenbein oder Jade erstehen. Die Tonbandkassetten waren fast immer Raubkopien minderer Qualität, die Uhren gelungene Imitate mit Billigwerken, die Hemden trugen große Namen, verloren aber beim Waschen Farbe und Form.

      Die Hongkongbesucher hatten sich an den Türmen von Babylon vorbeigezwängt: babylonisch war hier auch das Sprachgewirr, selbst unter Chinesen, doch einen Satz, den sie unentwegt einander zuriefen, schienen sie alle zu verstehen: »Sik fan mei.«

      »Was schreien die denn da immer?« fragte Babs.

      »Heute schon gegessen …«, erwiderte der Mentor. »Das ist etwa so, wie wenn man bei uns sagt: ›Wie geht’s?‹ – Ja«, setzte er hinzu, »Chinesen leben, um zu essen, und essen nicht, um zu leben.«

      »Was für ein Unterschied!« erwiderte Babs, die Kostverächterin.

      Die Garküchen hüllten die endlose Prozession in profanen Weihrauch. Die Schnellgerichte dufteten köstlich und sahen für Europäer übel aus. Vielen Gästen schauderte es vor den wohlriechenden Angeboten. Lachend und schwätzend zog der Korso der Lebenslust weiter, teilte und vereinigte sich wieder. An einem der belagerten Stände hing ein Plakat mit der Aufschrift ›Hundred years old eggs‹, und am übernächsten Stand waren aus den hundert Jahre alten Eiern bereits tausendjährige Produkte des Federviehs geworden. Die Hühnerfrüchte wirkten unappetitlich, wurden aber den Händlern aus den Händen gerissen.

      »So was gibt’s doch gar nicht«, sagte Babs.

      »Das ist auch leicht übertrieben«, erklärte ihr Begleiter lachend. »In der Regel sind die Eier 45 Tage in einem kalkhaltigen Schlamm unter einer Reisschicht dicht vergraben, dabei werden sie zu einer dunkelgrünen Wabbelmasse. Behutsam zu Tage gefördert wie archäologische Raritäten, wird die Schale