denselben aus seinem Kerker zu befreien.
Kurz darauf traf ihn selbst der Wochendienst und er benützte denselben, um alle Verhältnisse der Festung auszukundschaften, und bestimmte endlich die Nacht des 16. Juli für den Losbruch.
An demselben Abende ging sein Dienst zu Ende. Er bat den Kommandanten Berednikow um die Erlaubnis, denselben noch fortsetzen zu dürfen. Der Festungskommandant erteilte sie ihm nicht nur bereitwillig, sondern vergaß sogar, wie es schien, ihm die Schlüssel der Festung abzufordern.
In der Nacht des 16. Juli 1765, Schlag 1 Uhr, öffnete Mirowitsch seinen Mitverschworenen die Ausfallspforte. Sie eilten auf die Wache, riefen die Kompagnie zusammen, und Mirowitsch las den Soldaten mit lauter Stimme einen falschen Ukas des Senates vor: „Da die Kaiserin Katharina II. müde ist, über barbarische, undankbare Völker zu herrschen, die ihren ruhmwürdigen Bemühungen in keiner Weise entgegenkommen, hat sie den Entschluß gefaßt, das russische Reich zu verlassen und sich mit dem Grafen Orlow zu vermählen;“ — bei diesen Worten zitterte seine Stimme — „jetzt wo sie an der Grenze ihres Reiches angelangt ist, will sie die Kaiserkrone dem unglücklichen Fürsten Iwan zurückgeben. Darum befiehlt der Senat dem Leutnant Mirowitsch, denselben aus dem Gefängnis zu befreien und sofort nach Petersburg zu bringen.“
Die Soldaten brachen in wilden Jubel aus, mehr als fünfzig derselben griffen sofort zu den Waffen, einige hoben Mirowitsch auf die Schultern und fort ging es unter Hurrarufen zu der Wohnung des Kommandanten. Berednikow war seltsamerweise noch nicht zur Ruhe gegangen und kam ihnen in voller Uniform entgegen.
„Im Namen des rechtmäßigen Kaisers Iwan, den Ihr ungerecht gefangen haltet, Euren Degen!“ rief Mirowitsch.
Berednikow übergab ihn schweigend und wurde auf Mirowitschs Befehl von zwei Verschworenen in seiner Wohnung bewacht.
Mirowitsch drang nun mit seiner Schar in die Kasematte, welche zu Iwans Kerker führte. Die Wachen gaben Feuer. Von beiden Seiten fielen Schüsse, ohne daß jemand verwundet wurde. Man hatte den Soldaten blinde Patronen ausgeteilt.
Mirowitsch erreichte zuerst die Türe des Gefängnisses und pochte mit seinem Degengefäß an dieselbe.
„Wer da?“ rief Kapitän Wlassiew.
„Gute Freunde“, schrie Mirowitsch, „öffnet, im Namen des Senats, öffnet!“
„Wir dürfen nicht“, entgegnete Leutnant Tschekin.
„Dann brechen wir die Türe auf“, rief Mirowitsch, zugleich stemmten sich mehrere der Empörer gegen dieselbe „Gebt unseren Zar heraus!“
„Wir können keinen Widerstand leisten“, schrie Wlassiew, „wir müssen den Prinzen töten, so lautet unsere Ordre“.
Prinz Iwan war eben durch den Lärm erwacht und saß bleich mit erschrockenen Augen auf seinem Bette.
Die beiden Offiziere warfen sich mit einem Male auf ihn. Iwan sprang auf Wlassiew los und suchte ihm den Degen zu entreißen, in demselben Augenblicke stieß ihm Leutnant Tschekin den seinen in den Leib. Der Prinz wankte und brach mit einem Schrei zusammen. Beide stachen nun in ihn hinein, bis er mit acht Wunden in seinem Blute lag. Dann öffnete Wlassiew die Türe mit den Worten: „Da habt ihr euren Zar.“
Mirowitsch und die Soldaten, welche mit ihm in den Kerker gedrungen, standen gesenkten Hauptes schweigend um einen Sterbenden. In wenig Augenblicken war alles vorbei. Mirowitsch wandte sich erschüttert ab. „Flieht!“ rief er den Soldaten zu, „der Zar ist tot. Unsere heldenmäßige Tat hat diesen traurigen und verderblichen Ausgang herbeigeführt. Ich gebe mich der Kaiserin gefangen.“ Damit reichte er seinen Degen dem Kapitän. Die Empörer warfen zugleich die Waffen weg und baten um Gnade.
Noch in derselben Nacht sandte der Festungskommandant einen Kurier an die Kaiserin. Als Katharina II. die Nachricht empfing, leuchtete einen Augenblick eine entsetzliche Freude in ihrem Antlitz. Dann biß sie die Zähne zusammen. Sie dachte an Mirowitsch.
Eine Stunde später war sie auf dem Wege nach Petersburg.
VII.
Der Tod des Prinzen Iwan rief in der Hauptstadt eine ungeheuere Aufregung hervor, man beschuldigte den Hof, die Kaiserin, geradezu des Mordes. Der Pöbel, die Garden zeigten eine verdächtige Bewegung.
Die Fürstin Daschkow gab sofort im Namen der Kaiserin dem Generalleutnant Wegmare den Befehl, die Feldregimenter in den Kasernen zu konsignieren und ließ scharfe Patronen an dieselben austeilen.
Mitten in der Verwirrung erschien die Kaiserin, ruhig, siegesgewiß. Sie betrachtete die Volkshaufen, welche ihrem Wagen folgten, mit einem verächtlichen Lächeln, indem sie mit den Fingern auf dem Wagenschlag trommelte.
Noch an demselben Tage trat sie vor den Senat mit eiserner Stirne im vollen kaiserlichen Pomp.
„Eine entsetzliche blutige Tat ist geschehen“, sprach sie majestätisch, „eine Schar von Wahnsinnigen hat sich gegen Uns empört und in der Absicht, den unglücklichen Prinzen Iwan zu befreien und auf Unseren Thron zu erheben, dessen Tod herbeigeführt. In bezug auf diesen von meinen Vorgängern als Staatsgefangenen behandelten Prinzen habe ich nur die Befehle bestätigt, welche den mit seiner Bewachung betrauten Offizieren von der letzten Regierung erteilt worden sind. Ich hätte als absolute Herrscherin in diesem Reich das Recht, den Zusammenhang des Schlüsselburger Attentates durch eine von mir ernannte Kommission unmittelbar unter meinen Augen untersuchen zu lassen. Mir ist aber dieses verabscheuungswürdige Verbrechen so sehr zu Herzen gegangen, daß ich mich für diesen ganz besonderen Fall meiner höchsten Gewalt entkleide und dem Senate hiermit die Machtvollkommenheit erteile, die Untersuchung über die bei diesem Attentate verwickelten Personen zu führen und in letzter Instanz ohne Appellation über dieselben die rechtskräftigen Urteile zu fällen.“
So groß die augenblickliche Wirkung dieser Erklärung auf den Senat war, nahm das Volk dieselbe doch nur mit Mißtrauen auf und in der Gesellschaft flüsterte man, die zwölf Senatoren, welche in diesen Gerichtshof gewählt wurden, seien durchaus ergebene Kreaturen des Hofes, das Ganze ein abscheuliches abgekartetes Spiel.
Indes waren Mirowitsch und seine Mitschuldigen in Ketten nach Petersburg gebracht worden. Der erstere zeigte einen Gleichmut, ja eine Heiterkeit, welche neuen Verdacht erregte. Gleich im ersten Verhör sagte er ruhig, er habe die Absicht gehabt, die Kaiserin zu stürzen, den wahren Herrscher zu befreien. In diesem Sinne beantwortete er alle Fragen, welche im Laufe des Prozesses an ihn gerichtet wurden, klar, besonnen, ohne Umschweife, ohne sich nur ein einziges Mal in Widersprüche zu verwickeln. Der „Nero im Reifrock“ konnte mit seinem Opfer zufrieden sein.
Am 20. September 1765 wurde endlich das Urteil in diesem historischen Prozesse gesprochen.
Mirowitsch wurde mit Zustimmung des Synods, der Inhaber der drei ersten Rangklassen und der Präsidenten der Kollegien als Aufrührer und Reichsverräter schuldig erkannt und zur Enthauptung durch das Beil verurteilt. Er hörte das Urteil schweigend, mit kaltem Blute, dann senkte er das Haupt und ein seltsames Lächeln flog über sein bleiches Gesicht. Seine Mitschuldigen, 68 an der Zahl, wurden teils zu Spießruten, teils zu Zwangsarbeit verurteilt.
Das Urteil wurde der Kaiserin durch den Senator Neglujew zur Bestätigung vorgelegt.
Katharina II. saß an dem riesigen holländischen Kamine ihres Arbeitszimmers und las der Daschkow einen launigen Brief Voltaires vor. Neglujew übergab das Aktenstück, Katharina blickte hinein, warf es gleichgültig auf den Kaminsims und entließ den Senator mit einer gnädigen Kopfbewegung.
„Es ist das Urteil“, sprach die Daschkow erregt.
„Ja, Mirowitsch ist zum Tode durch das Beil verurteilt“, entgegnete die Kaiserin nachlässig.
„Wirst du es unterzeichnen?“ fragte die Fürstin rasch.
„Hör’ erst den Brief zu Ende“, sprach Katharina heiter. Die Daschkow überlief es.
Als die Zarin zu Ende war, hob sie das Urteil vom Kaminsimse und breitete es auf ihren Knien