Robert Heymann

Radanika. Die Gefangene des Urwalds


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      Mit gesträubtem Schwanz steht das mächtige Tier, das mehr als zweieinhalb Meter misst, im Glanze des scheidenden Tages. Und wachsamer, aufmerksam die ährenfarbigen Augen nach den Bambusbüschen wendend, lauscht Radanika.

      „Gefahr, Maha?“ stammelt sie. Presst sich an den Freund.

      Der Leopard heult auf.

      Lauschend steht jetzt Radanikas Kopf auf palmschlankem Halse. Ihre Augen brennen goldgelb ins hereinbrechende Dunkel. Der heisse rote Mund ist leicht geöffnet, zittert in Erwartung.

      Unheimliches geht vor am Rande der Dschungeln!

      Fremde Witterung trägt der Wind zu.

      Leise warnend neigen sich die scharlachroten, gesprenkelten Orchideen den Händen des Mädchens entgegen. Wie eine Rakete, hundert bunte Farben sprühend, geht ein Schwarm von Vögeln aus dem Bambusdickicht hoch in die Luft.

      Ein Schrei des bronzefarbenen Mädchens antwortet den Warnern, so tief, als stiesse ihn das Herz der Dschungeln aus. Der Urwald schweigt. Ein tödlich banges Schweigen.

      Die runden Schultern hochziehend, geht das Mädchen langsam rückwärts. Ein mächtiger Pandanus senkt seine Riesenblätter über das Kind, als wolle er es einhüllen in seinen schillernden Mantel, bergen vor den Späheraugen der Räuber, die, Flinten in den Händen, leise, unhörbar durch die Bambusbüsche schleichen, von dem mehr als zwanzig Fuss hohen Rohre gedeckt.

      Pfeilschnell wendet sich jetzt die Gefährdete. Zu spät.

      Schon ist es einigen Räubern gelungen, ihr den Rückweg abzuschneiden. Aus dem langen Gras springen sie auf, treiben mit lautem Geschrei, als gelte es, Tiger in die Schusslinie der Jäger zu schrecken, das edle Wild vor sich her, denen entgegen, die sich von der anderen Seite laufend nähern.

      Noch einen verzweifelten Schrei stösst das Menschengeschöpf aus, und das Echo antwortet aus den Dschungeln.

      Ein Brüllen, unheimlich rollend, anwachsend zur Lava von Mordgier und Zorn. Ein Elefant bricht trompetend zum Rande der Wildnis vor. Sein Rüssel knickt einen Bananenbaum in helltönender Wut. Die gelben Trauben der Früchte regnen wie Gold in das Grab der Riesenblätter.

      Die Dschungeln drohen.

      Jeder Hindujäger, der kühnste Mann weisser Rasse, würde flüchten vor diesem Inferno der Wut.

      Doch diese Horde mit dem Lingamzeichen auf den Stirnen fürchtet nicht den Zorn des „Erleuchteten Siddhartha“. Diese Menschenjäger beten heute zu Siwa, morgen zu irgendeinem Götzen, den die Laubkrone eines Margosabaumes birgt. Denn die indischen Götter Brahma und Buddha teilen ihre Macht mit Wischnu, dem Erhalter der Welt, dem Gott der Sonne, den die Waischnasvas verehren. Die Saivas beten zu Siwa, auf dem weissen Stiere reitend.

      Seit Wochen lauern die Räuber auf die märchenhafte Beute, nachdem einer sie beobachtet hat, wie sie zur Tränke kam, weiss und braun, eine Blume an Schönheit, ein Vogel in flüchtigem Flug, dem Leoparden gleich, wenn sie geschmeidig den Körper zur Sonne dehnte.

      Völlig eingekreist rennt die Gejagte hierhin, dorthin. Meinen die Jäger das Wild schon greifen zu können, dann schnellt es hoch wie eine getroffene Antilope, entgleitet den plumpen Eingeborenenhänden, schiesst wie ein Pfeil durch das Buschwerk, verkriecht sich in undurchdringliches Gebüsch, flieht, aufgescheucht durch Gewehrsalven, von neuem dem Urwald zu.

      Wieder eilen ihr von dort die unbarmherzigen Jäger entgegen.

      Wieder wirft die Unglückliche das Haupt zurück, dass die Haare wie Pfauenfedern in der stillen Luft stehen, wieder jagt sie zurück. Immer enger wird der Menschenring, immer undurchdringlicher ziehen sich die Maschen des lebenden Netzes zusammen. Wirrer, flackernder wird der Blick der Geängstigten.

      Sie stürzt in Schlammlöcher. Dschungeligel saugen sich an das Geäder der schlanken Beine. Ihre Arme fliegen. Der Leib neigt sich, sie verschwindet, taucht dicht vor einem der Verfolger auf, bannt ihn mit ihrem starren, sonnengelben Blick, nützt die Überraschung, verschwindet wieder, schnellt in waghalsigem Sprung über kniende Männer und glucksende Wasser.

      Und vor ihr, neben ihr rennt in langen geschmeidigen Sprüngen das gefleckte Tier. Nicht eine Sekunde lässt es die Gefährtin aus den Augen.

      Fauchend, ein langgezogenes Miauen ausstossend, jagt der Leopard, lange Sätze springend, wieder umkehrend, den geliebten Menschenkörper umkreisend, zur Eile spornend, vor dem schönen Geschöpf her, dem es durch rätselhafte Kräfte verbunden scheint. Tier und Mensch suchen in wildem Jagen einen Ausweg.

      Jetzt hat einer der Schützen im pappelhohen Bambus den Leoparden gesichtet.

      Der schnelle Fuss der gehetzten Herrin verklingt im Teppich der Blumen und Gräser.

      Sekundenlang äugt der Leopard, versucht, die Flucht des Menschengeschöpfes, dem seine Seele gehört, zu decken. Nimmt den Feind an.

      Dieser ist im Jagdeifer zu weit vorgedrungen. Hat sich von den anderen getrennt, die, geblendet von dem Anblick des menschlichen Wildes, Auge und Ohr nur für das Mädchen hatten.

      Der Schütze, Visier nehmend, schreit, Auge in Auge mit dem wilden Raubtier, um Beistand.

      Die Riesenkatze duckt sich. Bildet einen Knäuel von Gelb und Schwarz. Brüllt auf und schnellt sich zu fliegendem Sprung.

      Der Schuss kracht, der Schütze hat das Ziel gefehlt. Er wirft die Flinte fort und flieht.

      Ebenso schnell saust der Leopard durch die Luft.

      Das fürchterliche Gewicht klatscht auf die Schultern des baumstarken Jägers. Von Todesangst und Entsetzen gepeitscht, wankt dieser keuchend, schreiend mit der fürchterlichen Last einher. Blutlachen folgen dem schauerlichen Ritt.

      Der Überfallene stürzt, der Leopard hat sein gewaltiges Gebiss in die Wirbelsäule des Menschen geschlagen. Über den Sterbenden kollert das Tier. Die Freunde des Getöteten eilen herbei, von Wut und Furcht zum Äussersten getrieben.

      Mit einem Sprung ist der Leopard auf einem wilden Farnbaum. Schneller kletternd als die gewandten Affen, duckt er sich in Blätterbündel.

      Schüsse knattern.

      Doch unbeweglich funkelt die herrliche Schabracke des Tieres in grüner Deckung.

      Blind vor Jagdwut rennt wieder ein Schütze vor, ihn vom Baum zu knallen. Zum zweiten Male fliegt der herrliche Körper geschmeidig durch die Luft, und während von allen Seiten die Gewehre knattern, während viele Kugeln das buntfarbige Fell durchbohren, schlägt das Tier noch im Todeskampf einen der Schützen mit einem Prankenhieb nieder.

      Dann ist es zu Ende!

      2.

      Zur selben Minute —

      Viele, viele Meilen entfernt:

      Ein europäisches Wohnhaus, umschattet von Tamarindenbäumen, Kaffeesträuchern. In der Ferne weisse Teeblüten. Noch ferner die blaue Silhouette der Berge. Silbern das Bungalo, silbern der Mond. In den Ställen stampfen die Büffel, die Kühe. Der Arbeitselefant trompetet aufgeregt, Grauen witternd.

      Einsamkeit. Stille.

      Einsamkeit über dem Teich der goldenen Lilien. Im offenen Arbeitszimmer des Sahib brennt Licht. Von dem Schreibtisch springt Sir Kennath auf. Eine Salve, noch eine ... klatschend schlagen die Schüsse an sein Ohr. Er stürzt ans Fenster.

      Still liegt der Park. Der zahme Sambarhirsch lugt nach dem Herrn im Licht.

      Die Bäume regen sich nicht. Kein Hund schlägt an. Ein Stoss ... ein Poltern ... und das Fallen eines mächtigen Körpers. Ein Todesschrei, ein letzter lauter Atemzug in hinlöschender Qual — ——

      Sir Kennath fährt herum und klammert sich an das Gesimse.

      Schweigen ringsum. Nur: Die Stelle an der Wand über dem Schreibtisch, wo das Bildnis der wunderschönen Lady Kennath hing, ist leer.

      Das Gemälde ist von der Wand gestürzt!

      In