Marina S.

Albtraum ohne Ende?


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      Mit meinem vorliegenden Lebensbericht möchte ich anderen Opfern Mut machen und Hoffnung geben. Ich habe erfahren, dass es durch Jesus Christus einen Weg aus dem Teufelskreis der Gefühle gibt. Heute führe ich ein erfülltes und glückliches Leben voller Liebe und Wertschätzung.

      Ich bin keine professionelle Autorin und hatte keine Ahnung, wie ich meine Erfahrungen zu Papier bringen konnte. Daher danke ich allen, die mich dazu ermutigt und mit ihrem Rat unterstützt haben, ganz besonders Georg, Ronald und Edda.

      Ebenso danke ich meiner Mama und meinem Papa, dass sie mir dieses Leben ermöglichten: Ihr habt mich in einer stabilen Familie aufwachsen lassen und versucht, mir alles Wichtige für ein erfolgreiches Leben mitzugeben. Auf Eure Weise habt Ihr mir Liebe und Schutz gegeben, soweit es in Euren Möglichkeiten stand. Durch Euch konnte ich in meiner Heimat bleiben und wurde nicht entwurzelt. Es würde mich freuen, wenn diese Offenlegung meiner Erlebnisse auch für Euch hilfreich wäre.

      Zum Schutz meiner Familie wurden alle Namen sowie weitere Details in dieser Schilderung geändert.

      Marina S.

      Kapitel 1

      Behütet

      Eine Kindheit auf dem Land

      Ich wurde im Winter 1970 in einer ländlichen Kleinstadt in Oberbayern geboren. Wie ich später erfuhr, war meine Mutter Ramona mit ihren knapp sechzehn Jahren völlig überfordert, sich um ihr Baby zu kümmern. Mein Großvater war zweiter Bürgermeister und weit mehr um seinen Ruf und sein Ansehen besorgt als um seine Tochter und Enkelin. Kurzerhand wurde meine Mutter mit mir aus dem Haus geworfen. Sie kam bei ihrem Onkel unter, konnte jedoch auch dort nicht wirklich mit Hilfe rechnen.

      Allerdings wollte sie auch weiterhin lieber ein freies Leben führen, wie ihre Altersgenossen auch. Ramona kam schon mal tagelang nicht nach Hause und verbrachte ihre Zeit lieber mit Jungs, als sich um ihr hilfloses Baby zu kümmern. Sie vernachlässigte mich, so dass besorgte Nachbarn manchmal eingreifen mussten. Ohne deren Hilfe wäre ich wohl verhungert.

      Im Alter von einem Jahr kam ich dann zu liebevollen Pflegeeltern. Maria und Jakob wohnten in demselben Städtchen und waren gerade dabei, etwas außerhalb ein Haus zu bauen. Sie waren hoch verschuldet, doch aus Liebe bereit, für mich zu sorgen. Ihr Herz war groß und voller Mitleid und sie wollten mir ein besseres Leben ermöglichen. Von da an war meine Heimat ein idyllisches Dorf in einem Hochtal. Maria, meine neue Mutter, hatte kurze Zeit zuvor durch eine Fehlgeburt ein Baby verloren. Dadurch erfuhr kaum jemand, dass ich nicht ihr leibliches Kind war, vor allem die Leute, die von ihrer Schwangerschaft wussten und sie länger nicht gesehen hatten. Mein neuer und zugleich erster Vater, Jakob, schloss mich schnell ins Herz. Stets war ich sein kleines Mädchen, das er immer beschützen wollte und fast vergötterte. Es war ganz selbstverständlich, dass ich sie von Anfang an „Mama“ und „Papa“ nannte.

      Da sie zusammen vierzehn Geschwister hatten, wuchs ich in einer großen Verwandtschaft auf. Wir hatten viel Besuch und ich konnte mit meinen Cousins und Cousinen spielen. Der Großvater, der im selben Haus wohnte, brachte mich später meist in den Kindergarten und holte mich dort auch wieder ab.

      Meine Eltern mussten konsequent sparen und verzichteten mir zuliebe auf vieles. Papa unternahm unzählige Wanderungen mit mir durch die herrlichen Mischwälder und auf die Berge ringsherum. Dabei lernte ich viel über die Pflanzen- und Tierwelt unserer Region. Durch die vielen gemeinsamen Stunden entwickelte sich ein inniges Verhältnis zwischen uns. Er war viel nachgiebiger als Mama. Sie war strenger und schlug mich auch häufig, nicht selten mit einem Kochlöffel. Damals war das wohl nicht unüblich, und so dachte sich auch niemand etwas dabei.

      Als ich im Alter von sechs Jahren in die Schule kommen sollte und aus dem Gröbsten heraus war, wollte mich meine leibliche Mutter Ramona – für mich war sie nicht viel mehr als meine Erzeugerin – wieder bei sich haben. Meine Pflegeeltern beantragten darauf hin sofort meine Adoption. Untersuchungen ergaben, dass Ramona in der Zwischenzeit noch eine weitere Tochter einer Pflegefamilie überlassen hatte; das Gericht bewilligte die Adoption.

      Kurze Zeit später verließ Ramona ihre Heimat und suchte ihr Glück in der Schweiz. Ich habe keinerlei Erinnerung an sie, da es keinen Kontakt mehr gegeben hatte, seitdem ich zu Maria und Jakob gekommen war. Alle Informationen über sie bekam ich aus zweiter Hand.

      Meine nun rechtmäßigen Eltern erklärten mir, dass ich adoptiert sei und somit rechtlich als ihr eigenes Kind gelte. Es war schwierig für mich, dies wirklich zu verstehen. Bis dahin hatte ich ja überhaupt nicht gewusst, dass Maria gar nicht meine leibliche Mutter war. Ich hatte keine bewussten Erinnerungen an meine ersten Lebensmonate und auch von der Gerichtsverhandlung nichts mitbekommen.

      Nun konnte ich mir kaum vorstellen, dass es wahr sein sollte, dass meine natürliche Mutter mich nicht gewollt hatte, dass ihr egal gewesen war, was aus mir werden würde. In meinen Gedanken ging es drunter und drüber. Ich wollte wissen, wer meine Erzeugerin war, wie sie aussah und vor allem, warum sie mich offenbar so sehr im Stich gelassen hatte. Antworten bekam ich jedoch keine, da meine Mama nie wirklich bereit war, mir mehr über Ramona zu erzählen.

      Erst als ich selbst erwachsen war, verstand ich Marias Ängste, mich möglicherweise wieder zu verlieren. Aufgrund meiner vielen Fragen hatte sie den Eindruck, dass ich unbedingt zu meiner leiblichen Mutter zurück wollte. Dabei war ich nur auf der Suche nach meiner Identität.

      Jedes Mal, wenn meine Mama mich in den folgenden Jahren schlug oder es Auseinandersetzungen mit ihr gab, fühlte ich mich ungeliebt und sehnte mich nach jener Frau, die mich gedankenlos in die Welt gesetzt hatte. All das Negative, was mir über sie erzählt worden war, wollte ich nicht glauben. Es verstärkte in mir nur den Wunsch, sie kennen zu lernen. Diese innere Zerrissenheit führte während meiner Pubertät zu vielen Streitigkeiten zwischen meiner Mama und mir. Ihre Worte, dass sie mich lieben würde, erreichten mich nicht mehr. Ich glaubte vielmehr meinen eigenen Empfindungen. Ich blieb stur und wollte meine Fragen beantwortet haben. Doch das blieb mir versagt.

      Immer öfter fühlte ich mich einsam und wünschte mir ein kleines Geschwisterchen. Oft erzählte ich meinen Eltern von diesem Wunsch. Ich wollte jemanden zum Spielen haben und einen Gleichgesinnten, dem ich vertrauen konnte. Da sie selbst vergeblich auf eigene Kinder hofften, sondern einige Fehlgeburten erlitten hatten, dachten sie über eine weitere Adoption nach.

      Eines Tages war es dann auch soweit und wir holten meinen kleinen Bruder Daniel aus einem Kinderheim ab. Mit ihm kam wieder Freude in mein Leben. Wir hatten ein kleines Baby zu Hause, um das ich mich kümmern durfte! Da Daniel sechs Jahre jünger war als ich, hatten wir natürlich völlig unterschiedliche Interessen. Nicht selten wurde mir der kleine Bruder dann zu einem lästigen Anhängsel. Oft wollte ich lieber mit Freunden unterwegs sein und spielen, anstatt auf ihn aufpassen zu müssen.

      Als Daniel etwa fünf Jahre alt war, stellte sich heraus, dass er an Leukämie litt. Untersuchungen ergaben, dass diese Krankheit auf die Drogensucht seiner leiblichen Mutter zurückzuführen war. Es begann ein Kampf um sein Leben. Mama bemühte sich zu Hause aufopfernd um ihn; einen längeren Aufenthalt in der Klinik hätte der anhängliche Junge wohl kaum gut überstanden. Es gab strenge Auflagen, was Daniel essen durfte, und natürlich wurde er regelmäßig untersucht. In diesen langen Monaten musste ich selbst zurückstehen und wurde öfter beschuldigt, etwas angestellt zu haben, was eigentlich auf sein Konto ging. All meine Rechtfertigungen wollte Mama nicht annehmen.

      Die grundlegenden Sorgen unserer Eltern waren uns kaum bewusst. Lediglich wenn wir uns beim Einkaufen Schokolade oder ähnliche Süßigkeiten wünschten, hieß es meistens: „Nein! Das geht nicht. Vielleicht nächstes Mal ...“ Daher waren wir immer furchtbar glücklich, wenn wir von unseren Tanten hin und wieder eine Tafel Schokolade geschenkt bekamen.

      Da Mama auch Gästezimmer an Urlauber vermietete, bekamen wir von so manchen netten Urlaubsgästen von Zeit zu Zeit etwas Geld zugesteckt. Mama verlangte von uns Kindern dafür auch immer, dass wir freundlich zu ihnen sein sollten. Das war nicht immer leicht, denn manchmal wollten wir einfach lieber unsere Ruhe haben. Es ist einem eben nicht immer nach Lächeln zumute. Dennoch