Will Berthold

Nach mir komm ich


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nach Timbuktu?«

      »Weil es da besonders toll zugeht.«

      Carlotta hat nichts dagegen. Es wird einen Skandal geben, in und um Ascona, aber es ist ihr gleichgültig. Wenn es Hans-Georg erfährt, um so besser. Er hat ihr weit Schlimmeres angefan. Jetzt hat sie sich revanchiert, und wenn sie so nebenbei diese Brillanten-Grandma blamiert, wird es ihr nur recht sein. Soll sie toben wie ein Fischweib, sie wird an ihrer Stelle die Reise um die Welt mit Giorgio fortsetzen.

      Ihr Zorn ist verraucht, Sie kann wieder geordnet denken.

      Auf einmal weiß sie, was sie zu tun hat: Aus der Kränkung heraus wird sie zum Angriff antreten. Sie braucht einen gerissenen Anwalt und überlegt, wen sie mit der Wahrnehmung ihrer Interessen betreuen könnte. Wen könnte sie wählen? Eigentlich müßte Carlotta nach München fahren, aber sie hat keine Lust, sich jetzt, da diese schweinischen Geschichten im Verlag passiert sind, dem Gespött auszusetzen, statt ihre Beziehung zu Giorgio fortzusetzen.

      Wenn sie an einen erreichbaren und mit allen Wassern gewaschenen Advokaten denkt, fällt ihr automatisch Grevelnich ein, der Ex-Politiker, einer der weiß, was sich mit Kellerleichen anfangen läßt.

      Carlotta ruft ihn an. Der Anwalt ist gleich selbst in der Leitung. »Gnädigste«, begrüßt er sie, »wie ich mich freue, Ihre Stimme zu hören.«

      Um das Palaver abzuwürgen, kommt sie gleich zur Sache und fragt Grevenich, ob er sie bei ihrer beabsichtigten Scheidung vertreten wolle.

      »Sie wollen sich von Ihrem Mann trennen, Gnädigste?« fragt er hellwach. »Ich praktiziere ja kaum noch – aber ich hätte Sie furchtbar gern vertreten, leider kommen Sie einen halben Tag zu spät.«

      »Wieso?« unterbricht ihn Carlotta.

      »Es ist mir peinlich, aber ich kann es Ihnen nicht verschweigen«, antwortet er zögernd. »Ich vertrete bereits Ihren Mann. Aber ich bin gern bereit, Ihnen einen tüchtigen Kollegen zu empfehlen.«

      »Ich verzichte«, erwidert die Anruferin kalt. »Ich kann Ihnen nur sagen«, keift sie ordinär, »daß Sie mit diesem Mandanten barfuß in die Scheiße getreten sind.«

      »Wir wollen doch unnötige Komplikationen vermeiden«, fährt er mit salbungsvoller Stimme fort. »Ich bin dafür, daß wir uns in Ruhe zusammensetzen und …«

      »Mit einem solchen Schwein wie Hans-Georg setze ich mich nie mehr an einen Tisch«, entgegnet Carlotta. »Ein Kerl, der reif ist fürs Zuchthaus!«

      »Aber, aber, Gnädigste!« wiegelt der Jurist ab. »Ich weiß, es gibt da ein paar – sagen wir – unschöne Punkte in der Vergangenheit Ihres Mannes, aber in solche sind Sie – entschuldigen Sie bitte – als seine Teilhaberin und Mitwisserin selbst verstrickt und … ‹‹

      »Unerhört!« stoppt sie ihn.

      »Lassen Sie mich bitte ausreden, Gnädigste! Außerdem sind einige – einige Geschichten Ihres Mannes verjährt oder nicht mehr beweisbar.«

      »Meinen Sie?« höhnt Carlotta. »Ich hätte Sie nicht für so naiv gehalten, Herr Grevenich. Es gibt auch noch Zeugen, und zum Teil sogar sehr prominente – zum Beispiel Henry Kamossa.«

      »Was hat er mit Ihrem Mann zu tun?« fragt Grevenich ein wenig zu hastig.

      »Hat Ihnen Hans-Georg nichts über den Zweieinhalb-Millionen-Deal mit dem Finanzminister – unter Kamossas Patronat – erzählt? Was meinen Sie, wie sich die Presse darauf freut, wenn ich diesen Machtklotz in den Zeugenstand zitiere.«

      »Er wird nicht erscheinen«, erwidert der Jurist erschrokken. »Und ich würde Ihnen dringend raten, einen Mann wie ihn nicht in Ihre Scheidung hineinzuziehen. Mein Gott, Sie schlagen ja tief unter die Gürtellinie, Gnädigste!«

      »Noch tiefer«, versetzt Carlotta. »Ich werde Hans-Georg dahin treten, wo es am meisten schmerzt«, setzt sie hinzu und knallt den Hörer auf die Gabel.

      Sie hat alle Trümpfe in der Hand und noch einige Joker im Ärmel, und sie ist entschlossen, sie hemmungslos auszuspielen.

      VI

      Den nächsten Tag läßt der Frühling in München ausfallen. Der Wind schneidet sich an den Ecken der Häuser. Es riecht nach Moder und Müll. Immer wieder fegen Böen durch die Straßen und fauchen den Passanten Sand in die Augen. Wenigstens bleiben ihnen so die zahlreichen Wahlkampfplakate mit den geschönten Politikergesichtern und den verlogenen Parolen erspart.

      Nach einer langen Nacht und drei Stunden Schlaf ist Schmeißer, Kamossas Spürhund, schon wieder auf den Beinen. Er hat sich durch das Studium von Archivmaterial auf den umstrittenen Enthüllungspublizisten Peter Raguse vorbereitet wie auf ein Examen. Er kennt seine Arbeitsweise, seine Lebensumstände. So weiß Schmeißer, daß der Mann im zweiten Stock eines Altbaus in Schwabings Isabellastraße wohnt, ein typischer Nachtarbeifer ist, der lange in den Vormittag hinein schläft und dann in einem Straßencafé an der Ecke ein spätes Frühstück einnimmt.

      Der Detektiv hat sich das Bild Peter Raguses eingeprägt. Er ist sicher, ihn zu erkennen. Er wird ihm an einem der Nebentische auflauern, ihn ansprechen. Er weiß, daß er diesen hartgesottenen Burschen weder einkaufen noch einschüchtern kann, zumindest nicht auf die übliche Tour. Raguse ist mit Sicherheit der schwierigste Typ, mit dem er je zu tun gehabt hat. Er muß vermeiden, daß die erste Begegnung mit dem Problematischen bereits zu einem Zusammenstoß führt, und frißt vorsorglich Kreide.

      Niemand sieht dem Ermittler an, daß er vor Ort herumschnüffelt. Raguses Nachbarn, mit denen er ins Gespräch kommt, merken nicht einmal, daß sie ausgefragt werden. Der Mann, der so viele Schlagzeilen machte, lebt hier zurückgezogen, weitgehend unbeachtet in einem großen Wohnhaus, auf dessen Tür ein Schild die Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. Walter Endrichs anzeigt. Nur wenige wissen, daß der Ziegenbart der umstrittene Skandalpublizist ist. Man hält Raguse in seiner Umgebung für einen typischen Schwabinger, der nur dadurch auffällt, daß er viel auf Reisen ist. Sein Privatleben wird seinem Verfolger so farblos geschildert, als führte er keines. Gelegentlich sieht man Raguse im lebhaften Gespräch mit Kumpanen in Schwabinger Kneipen, Keine Streitereien, keine Alkoholexzesse, keine Mädchen-Affären.

      Der Mann scheint so auf seine manischen Nachforschungen fixiert, daß er am Leben vorbeigeht. Zu Hausbewohnern ist er höflich. Die Miete zahlt er pünktlich, Besuch bekommt er selten. Als einziger Vorwurf klingt ab und zu bei den Nachbarn durch, daß er gepflegter aussehen könnte.

      In einem Reisebüro in der Nähe erfährt Schmeißer, daß der Ausgeforschte seine Tickets meistens hier kauft. Die letzte Reise vor etwa drei Wochen führte ihn nach New York.

      Hier gibt es noch viel zu klären, aber das wird Schmeißers Helfern überlassen, die er nach diesem Gespräch hinzuziehen muß. Er hat schon öfter mit einer fähigen Auskunftei zusammengearbeitet, ihr wird er den Auftrag erteilen, den professionellen Entlarver rund um die Uhr zu beschatten.

      Der Rechercheur hat seinem Gesicht einen beinahe dümmlichen Ausdruck aufgesetzt. Er wird diese Berufsmaske zumindest so lange tragen, bis er dem Aufgelauerten begegnet.

      Wieder wirbelt der Wind Staub auf. Schmeißer reibt sich den Schmutz aus den nassen Augen. Er sieht noch genug, um vor einem Zeitungsstand unvermittelt stehenzubleiben:

      Auf einem wie ein Steckbrief aufgemachten Werbeaushang der ›Bild‹-Zeitung prangt das Foto seines Auftraggebers. Darunter steht:

      Henry kamossa in bedrängnis?

      Es ist das falsche Fahndungsplakatp, pdas die Polizei gestern in Ascona, im Ferienparadies der Millionäre, sichergestellt hat. Der letzte Börsencoup mit den Grams-Aktien scheint dem allgewaltigen Finanz-Jongleur kein Glück zu bringen. Bei mehreren Zeitungen, auch in unserer Redaktion, sind anonyme Briefe eingegangen, in denen schwere Vorwürfe gegen den Wirtschafts-Giganten erhoben werden. Es ist nicht aüszuschließen, daß mit diesen genau aufeinander abgestellten Aktionen, von Neidern und Intimfeinden ein Kesseltreiben gegen den prominenten Aufsteiger eingeleitet wirdp.

      Das Pseudo-Fahndungsplakat muß ›Bild‹ schon zugespielt worden sein,