Vorraum des Operationssaals herrschte ein Treiben wie auf einem Wochenmarkt. Ärzte und Pflegepersonal eilten hin und her. Mobile Geräte wurden durch den Raum geschoben. Schranktüren klapperten. Das Geräusch von fließendem Wasser. Dr. Daniel Norden trat ans Bett.
»Machen Sie sich nicht allzu viele Sorgen. Das hat noch nie geholfen, aber umso öfter geschadet.«
Moritz verzog den Mund.
»Leichter gesagt als getan.«
»Dann werden wir Sie schnell ins Reich der Träume schicken, damit Ihr Herz nicht noch mehr Unheil anrichtet.« Ein Lächeln in Richtung Patient und ein Nicken für die Schwester.
Regine wusste, was sie zu tun hatte.
»Jetzt bekommen Sie noch eine hübsche Schlafmütze von mir, und dann kann es auch schon losgehen.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.« Moritz schloss die Augen. Die kühle Flüssigkeit, die durch den Zugang am Handgelenk unter seine Haut strömte, fühlte sich komisch an. Bevor er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, war er eingeschlafen.
»Blutdruck?«, fragte Dr. Norden, als er Minuten später am Operationstisch stand.
Dr. Ramona Räther warf einen Blick auf die Überwachungsmonitore.
»125 zu 70.«
Wie dienstbare Geister versammelte sich das Operationsteam um den Tisch. Daniel Norden nickte seinem Kollegen Kohler zu.
»Gut.« Er sah hinüber zu seinem Assistenzarzt Dr. Gruber. »Manschettendruck auf 200 Millimeter Hg?«
»Habe ich gemacht.«
Daniel nahm auf einem Hocker Platz.
»Von jetzt an 120 Minuten.« Er streckte die rechte Hand aus. »Skalpell!« Durch den Handschuh hindurch fühlte er das kühle Metall. Das Gewicht des Instruments.
Seine Bewegungen waren flüssig, als er die Klinge auf die Haut und den Schnitt setzte.
Eine Weile arbeiteten er und seine Kollegen schweigend. Nur hin und wieder fiel ein Wort.
»Die Manschette hat sich gelöst.« Dr. Räthers Worte zerrissen die konzentrierte Stille.
Der Klinikchef sah hoch. Seine Augenbrauen waren zu einem Balken zusammengewachsen.
»Wie kann das sein?«, fragte er scharf.
»Mein Fehler.« Benjamin Gruber räusperte sich. Hätte seine Stimme eine Farbe gehabt, wäre sie rot gewesen. So rot wie seine Wangen unter der Maske. »Da muss irgendwas …«
»Schon gut. Kann passieren, sollte aber nicht.« Ein Blick hinüber zur Anästhesistin.
Ramona verstand die stumme Frage des Chefs.
»Alles wieder klar. Sie können weitermachen.«
Benjamin Gruber atmete auf und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.
Etwas mehr als zwei Stunden später stand er neben Dr. Räther am Waschbecken.
»Ich mache mir solche Vorwürfe. Das hätte nicht passieren dürfen.«
»Kommen Sie schon.« Ohne Benjamin aus den Augen zu lassen, stellte sie das Wasser ab und griff nach einem Handtuch. Das weiche Frottee schmeichelte der Haut. »Jeder macht mal einen Fehler.«
»Aber doch nicht, wenn der Chef dabei ist.« Das Unglück stand dem Assistenzarzt ins Gesicht geschrieben.
Ramona las darin wie in einem offenen Buch.
»Sicher, er ist ein Perfektionist und will immer das allerbeste Ergebnis für seine Patienten erzielen. Aber den Kopf wird er Ihnen deshalb nicht abreißen.«
»Da wäre ich mir an Ihrer Stelle nicht so sicher.« Dr. Gruber hatte kaum ausgesprochen, als sich die Schiebetür öffnete. Ausgerechnet Dr. Norden!
Der Klinikchef gesellte sich zu den Kollegen ans Waschbecken. Benjamin schluckte.
»Dr. Norden, es tut mir so leid. Das war unprofessionell und hätte nicht passieren dürfen.«
Daniel stutzte.
»Fehler passieren. Daran sollten Sie sie sich so schnell wie möglich gewöhnen. Schließlich sind wir alle nur Menschen«, verlangte er dann. »Entscheidend ist Ihre Reaktion darauf. Und die hat mich wirklich beeindruckt.« Er lächelte. »Statt in Panik zu geraten, haben Sie souverän gehandelt. Dadurch haben Sie weder die OP gefährdet noch dem Patienten geschadet. Was kann man mehr verlangen?« Er beugte sich über das Waschbecken und seifte sich die Hände ein.
Benjamin stand einen Moment wie versteinert da. Versuchte zu verstehen, was er da gerade gehört hatte. Erst Ramonas Hand auf seiner Schulter weckte ihn aus seiner Versunkenheit. Mit einem Lächeln im Gesicht verließ er den Vorraum zum OP.
*
»Vince, jetzt warte doch!« Rebecca warf sich gegen die Glastür.
Kalte Luft schlug ihr entgegen. Raubte ihr den Atem. Sie schlang die Arme um den Oberkörper und hastete weiter.
Obwohl sich die ehemalige Klinikchefin Dr. Jenny Behnisch alle Mühe gegeben hatte, dass der Klinikgarten zu jeder Jahreszeit eine Oase der Erholung war, bot er jetzt einen traurigen Anblick. Die Bäume reckten nackte Äste in den grauen Himmel. Dort, wo im Sommer Stauden stolz ihre Blüten der Sonne entgegen streckten, standen nur verdorrte Stängel. Der ganze Garten wirkte wie ein riesiges Grab und passte damit perfekt zu Rebeccas Stimmung.
Ihr Bräutigam blieb so unvermittelt stehen, dass sie um ein Haar mit ihm zusammengestoßen wäre.
»Worauf soll ich denn warten, hä?« Zwischen ihnen waren nur ein paar Zentimeter. Sie spürte die Hitze, die sein Körper abstrahlte. Sah die Poren auf seiner Haut. Das geplatzte Äderchen im rechten Auge.
»Ich muss mit dir reden.« Die kalte Luft brannte in ihren Lungen.
»Was gibt’s denn da noch zu reden?« Vincent fuchtelte mit den Händen durch die Luft. »Ruf lieber die Gäste an und sag die Hochzeit ab.«
Rebecca starrte zu Boden.
»Natürlich.« Sie scharrte mit der Schuhspitze im Kies. »Es tut mir leid.«
»Das ist ja wohl das Mindeste, was ich erwarten kann.« Die kalte Luft verfehlte ihre Wirkung nicht. Langsam kühlte Vincents Wut ab. »Seit wann läuft das eigentlich schon zwischen euch?«
»Kurz nachdem wir unsere Hochzeit bekannt gegeben haben, hat Moritz Kontakt mit mir aufgenommen.« Rebeccas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Er hatte tausend Fragen wegen der geplanten Seite im Internet, der Hochzeitszeitung, den Spielen, die deine Freunde veranstalten wollten. Ja, und irgendwann, bei einem dieser Treffen …«
»Erspar mir bitte die Details.«
»Irgendwann haben wir bemerkt, dass wir uns ineinander verliebt haben«, fuhr Rebecca unbeeindruckt fort. Das war die Gelegenheit, reinen Tisch zu machen. Die wollte sie nicht verstreichen lassen. »Wir haben uns wirklich dagegen gewehrt. Aber nach dem Streit wegen deiner Ex-Freundin ist es dann passiert.«
Eine Weile sagte niemand ein Wort. Vom Straßenlärm war hier hinten kaum etwas zu hören. Nur ein Rauschen, das an einen Fluss erinnerte. Endlich hob Vincent den Kopf.
»Na ja, was soll’s.« Er grinste schief. »Wir beide passen eh nicht zusammen. Ich wollte nie Kinder haben.«
*
Es klingelte. Deniz warf einen letzten Blick auf die gedeckte Tafel. Perfekt. Sogar an die Blumen hatte er gedacht.
»Die schöne Helena! Ich freue mich!« Er strahlte seine Besucherin an.
Elena dagegen lächelte nur verhalten. Die anfängliche Euphorie war verpufft. Übrig geblieben war nur ein schales Gefühl. Und Zweifel. Was tat sie da nur?
»Vielen Dank für die Einladung.« Sie überreichte Deniz eine Flasche Sangiovese, die sie schnell noch im Klinikkiosk erstanden hatte.
»Oh,