machen«, meint Sam, und Miles boxt ihn gegen den Arm.
»Am Arsch würdest du. Als ob ich zulassen würde, dass du allein nach Österreich gehst. Schlaf gut, Gabriel. Aber … was David betrifft: Schieß ihn ab. Er ist nicht gut genug für dich.« Miles klopft mir auf die Schulter.
»Was mein Mann sagt.«
❤
Eigentlich bin ich diese Woche für die Spätschicht eingeteilt, aber mein Onkel Trevor hat mich gebeten, das Café an diesem Morgen aufzumachen, weil er noch einen Termin hat.
Ich liebe die Morgenstunden, wenn der erste Kaffeeduft durch den Laden zieht, die Tür weit geöffnet ist und hoffentlich einladend auf die Gäste wirkt. Ich mag, wie alles sauber und frisch glänzt, wie ich die Musik auswähle, die Blumen auf den Tischen arrangiere und mir überlege, was ich zum Mittagstisch anbiete.
Nachdenklich schaue ich die Vorräte durch. Natürlich gibt es eine feste Speisenkarte, aber das Mittagessen für kleineres Geld entscheide ich immer spontan. Heute hätte ich Lust auf Kartoffelsuppe.
Ich nehme den Sack Kartoffeln und setze mich zum Schälen an den Tisch in der Ecke, und während ich sie zu schälen beginne, kommt mir unweigerlich ein Tag vor zwei Jahren in den Sinn. Yanis und ich hatten unser erstes privates Date, das erste Mal, dass wir nicht ausgehen, sondern uns bei mir zu Hause treffen würden. Ich war total aufgeregt, habe mir tagelang Gedanken gemacht, wie ich es für uns beide gemütlich und romantisch gestalten könnte. Ich erinnere mich, wie mein Onkel mich amüsiert angegrinst hat, weil ich ganz kurzfristig meine alten Sofamöbel entsorgt und mit dicken Matratzen und Kissen eine große Liegefläche gezaubert habe, die er belustigt Spielwiese genannt hat. Yanis und ich hatten eine wunderschöne erste Nacht, und ich hatte für ihn Kartoffelsuppe gekocht.
Ich lasse das Messer sinken. Was, wenn er wirklich noch lebt? Kann ich diese Möglichkeit einfach so ignorieren?
Seufzend stehe ich auf und mache mich an die Zubereitung der Suppe. Aber ich kann nicht aufhören, über den gestrigen Tag nachzudenken.
Warum hat John ausgerechnet mich gefragt? Die Sache ist so lange her, und auch wenn ich manchmal traurig werde, wenn ich an Yanis denke, war es letztendlich nur e – ine Woche meines Lebens – abgesehen von den Wochen und Monaten, die ich ihn aus der Ferne angehimmelt habe. Aber ich kann nicht ewig einer Vergangenheit nachweinen, die unwiederbringlich vorbei ist.
Unwiederbringlich. Wenn er noch leben würde, dann hätte er sich doch gemeldet, oder?
Ich setze die Suppe auf, und die nächsten Stunden habe ich keine Zeit mehr, über Yanis nachzudenken. Heute läuft das Café gut, schon recht bald ist der Mittagstisch ausverkauft. Ich kann nur noch bedauernd die Schultern zucken, als am frühen Nachmittag Gäste noch etwas von der Suppe bestellen wollen. Ich weiß, das ist eine Ausnahme, denn heute hat der Konkurrenzladen am Ende der Straße Ruhetag. Morgen wird es vermutlich wieder anders aussehen, und ich bleibe auf meinem Mittagstisch sitzen.
»Ist gut, dass heute was los war«, sagt mein Onkel müde, dem ich direkt einen starken Kaffee hinstelle. Er ist später ins Café gekommen, als ich ihn für die Spätschicht erwartet hätte. Er zieht seine Jacke aus und hängt sie über die Stuhllehne, bleibt ein wenig haltlos stehen.
»Alles in Ordnung? Du siehst fertig aus.« Ich schaue mich kurz um, es ist ein ruhiger Moment. Wir setzen uns, und ich schiebe ihm ein Stück Kuchen hin. Er jedoch greift nach dem Kaffee.
»Ich hatte einen Banktermin«, antwortet er und verzieht das Gesicht. »Wir müssen uns mal unterhalten.«
»So schlimm?« Ich habe es befürchtet, ich kenne die Zahlen, und ich sehe täglich, wie viel Einbuße wir haben. Seit vor einem Jahr nicht nur eine Filiale von BestCoffee, sondern auch das vegane ThinkGreen direkt im Umfeld eröffnet haben, sind die Zahlen beängstigend.
»Lass uns heute Abend mal sprechen, ja? Und erzähl mir, was mit dir ist, du wirkst unruhig.« Er nimmt seinen Kaffee und mustert mich. Trevor kennt mich so gut wie niemand sonst.
Ich schnaube auf und erzähle ihm die Kurzfassung, doch dann kommen Gäste, ich springe auf und bewirte sie. Trevor hilft mir danach beim Aufräumen, denn auch ich bin absolut erledigt.
Das war ein echt langer Tag.
»John ist doch eigentlich niemand, der sich in Hirngespinsten verliert, oder?« Mein Onkel kennt Yanis’ Mum aus der Schule, seinen Dad hat er auf der Beerdigung und bei den Treffen danach kennengelernt.
Ich schüttle den Kopf. »Eigentlich wohl nicht, aber du weißt, was mit Menschen passiert, die einen herben Verlust erleiden. Und Jackie hatte arg zu kämpfen«, antworte ich.
»Aber er kann nicht mit ihr darüber reden, hast du erzählt. Er muss sich allein damit fühlen, wenn er dich um Hilfe bittet.« Mein Onkel schaut mich an, und ich erwidere seinen Blick nachdenklich.
»Denkst du, ich sollte das machen?« Ich hänge den Lappen weg, wir sind fertig. Mein Rücken fühlt sich an wie ein steifes Brett, ich könnte eine Massage brauchen. Meine Gedanken wandern zu David. Eigentlich sind wir nicht verabredet, aber vielleicht hat er Zeit. Doch Trevor macht mir einen Strich durch die Rechnung.
»Vielleicht ist die Idee nicht die schlechteste.« Er reibt sich über die Stirn, wirft noch einmal einen prüfenden Blick umher und nickt dann. »Der Kuchen für morgen?«
»Ist in der Kühlung«, erwidere ich nachdenklich. »Wieso ist diese Idee nicht die schlechteste?«
»Komm, setzen wir uns mal.« Er deutet auf einen der Tische, und angespannt sitze ich ihm gegenüber, während er mir von seinem Banktermin erzählt. »Wir können vielleicht noch ein Jahr durchhalten, danach wird es eng. Die Einnahmen gehen zurück, wir sind zwar sparsam, aber es sieht nicht gut aus.« Sein Blick ist besorgt.
»Was bedeutet das? Werden wir zumachen müssen?«, frage ich und fahre mir mit den Händen durch die Haare. »Fuck, ich hab gehofft, wir können das noch mal rumreißen durch den Mittagstisch und die Aktionen.«
»Erstmal bedeutet es, dass es nicht so schlecht wäre, wenn wir Geld sparen könnten, zum Beispiel deinen Lohn, wenn du diesen Job annehmen würdest. Mark und ich kommen auch allein klar. Ansonsten werden wir Mark bald entlassen und den Laden allein schmeißen müssen. Und vielleicht … versteh mich nicht falsch, ich will dich nicht loswerden, aber vielleicht würde es dir auch guttun, hier mal rauszukommen und die Sache abzuschließen.« Er seufzt leise. »Tut mir leid, Gab.«
Fassungslos sehe ich meinen Onkel an. Aber er meint das ernst. Wir sitzen noch lange über den Umsatzzahlen, wir diskutieren noch lange über Möglichkeiten, das Café zu retten, und auch darüber, ob ich einen Tapetenwechsel brauche oder nicht.
Aber all das kann für mich unmöglich ein Grund sein, an eine magische Schule zu gehen!
❤
Ich kann kaum schlafen in den nächsten Nächten, die Sorgen halten mich wach. Im Café bin ich unkonzentriert, ich zucke zusammen, wenn mein Handy piepst, in der Sorge, dass es John sein könnte, und ich überdenke jede Ausgabe mehrfach. Die finanzielle Bedrohung macht mir zu schaffen.
In den letzten Jahren gab es nur das Café für mich. Hier habe ich meine Zeit verbracht, gearbeitet, Kontakt zu Menschen gehalten und manchmal auch übernachtet, wenn ich meine Wohnung und die Einsamkeit nicht ertragen habe. Hier hab ich Yanis kennengelernt, hier hat David mich zum ersten Mal geküsst. Das Café aufgeben zu müssen, würde mir das Herz brechen. Und Trevor auch.
Und so bemerke ich, wie sich langsam die Vorstellung einschleicht, dass ich doch woanders arbeiten könnte. Um Geld zu sparen und uns die Möglichkeit zu geben, dass sich das Café erholt. Dass ich vielleicht etwas herausfinden könnte. Vielleicht auch nur, dass John sich geirrt hat und einem Hirngespinst nachläuft.
Ich schreibe ihm eine Nachricht, um ihn zu fragen, was diese Schule für meinen Job bezahlen würde, und seine Antwort kommt unmittelbar und lässt mich blass werden: Der Verdienst ist fast doppelt so viel wie das, was ich durch das Café bekomme, Miete und Verpflegung inbegriffen. Fuck.
Ich