Inger Gammelgaard Madsen

Der Reiniger


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offenbar bekannte Anwältin war frontal gegen einen Baum gefahren und ihren Verletzungen erlegen. Ein Alleinunfall, stand da. Autounfälle passierten ständig. Dieser stand nur in der Zeitung, weil es um eine bekannte Persönlichkeit ging. Oder vielleicht, weil es ein neues Auto war, dessen Airbag versagt hatte. Er hatte von Problemen mit Airbag-Herstellern gehört, die viele Automarken mit irgendeinem Schrott beliefert hatten. Bertram schmiss die Zeitung gleichgültig auf den Tisch.

      „Du bist ja früh auf!“

      Eva Maja sah sauer und verschlafen aus. Mit einem leidenden Gesichtsausdruck und einer Hand an der Stirn schleppte sie sich zu einem Stuhl. Der Morgenmantel war offen. Der rote Spitzen-BH war ausgebleicht und verwaschen.

      „Hmm“, antwortete er bloß, weil er sich darauf zu konzentrieren versuchte, die Löffel Kaffeepulver zu zählen, die er in den Filter im Trichter gab.

      „Du trinkst doch morgens nie Kaffee, Bertram.“

      Sie hatte bereits die erste Zigarette zwischen den Lippen und wirkte eher wie eine Sechzigjährige als wie jemand von knapp vierzig. Das Kopfkissen hatte einen zerknautschten Abdruck auf ihrer Wange hinterlassen und wieder sah Bertram Julius Habekosts halb zerschmettertes Gesicht vor sich. Das war ja natürlich nur gespielt. Aber verdammt gut gemacht.

      „Das sollte eine Überraschung sein - für dich.“

      „Nee, oder?“ Sie lächelte schief und zündete die Zigarette an. „Es wäre echt besser, wenn du mir eine Handvoll Kopfschmerztabletten gibst. Die sind im Bad im Schrank.“

      Bertram schaltete die Kaffeemaschine an und ging ins Bad. Er fand die Tabletten neben den anderen gegen Depression und Angst im Medizinschrank. Die hatte sie glücklicherweise schon lange nicht mehr genommen. Soweit er wusste. Nicht, seit sein Vater … nein, an den wollte er gar nicht denken. Der Hehler hätte ihn nicht dazu bringen sollen.

      Eva Maja spülte die beiden Paracetamoltabletten, die er mitbrachte, mit einem Schluck Wasser und einem schnellen Kopf-in-den-Nacken-legen herunter. Sie runzelte die Stirn, da die Bewegung offenbar mehr weh tat als der Kopf.

      „Magst du denn gar keinen Kaffee haben?“

      „Doch, vielleicht. Gleich. Wenn diese höllischen Kopfschmerzen weg sind.“

      „Du solltest nicht so viel trinken!“

      „Das sagst ausgerechnet du! Machst du bitte mal den Fernseher an?“

      Bertram gehorchte wieder und schaltete den Fernseher in der Küche an. Sie sahen immer fern, während sie zusammen aßen, was sie in der Regel nur abends machten, bevor sie zur Arbeit musste. Das passte Bertram ganz gut, dann blieb er von all ihren Fragen verschont, was er im Laufe des Tages gemacht hatte und wie es mit seinem Job als Werbeverteiler lief.

      Gerade lief eine der unzähligen Wettervorhersagen in Guten Morgen Dänemark. Als wäre Dänemark ein so großes Land, dass man jede Viertelstunde einen Bericht eines Meteorologen brauchte. Gleichzeitig schnaufte die Kaffeemaschine fertig. Die Nachrichten fingen an.

      „Jetzt darfst du mir gerne einen Kaffee geben, dann kann er ein bisschen abkühlen. Ich mag’s nicht, wenn er zu heiß ist.“

      Bertram stellte die Kaffeekanne mitten auf den Tisch. Jetzt war aber Schluss damit, sie zu bedienen. Sie verstand die Botschaft und schenkte sich ein, während sie das Geschehen auf dem Bildschirm verfolgte. Bertram hörte nur mit halbem Ohr zu. Er hatte nun doch Hunger gekriegt, schnitt eine Scheibe vom Kastenbrot ab und holte Butter und Schokoaufstrich aus dem Kühlschrank. Doch als er sich umdrehte, erstarrte er, als er das Bild im Fernseher sah. Jetzt hörte er zu, was der Nachrichtensprecher sagte.

      „… Die Polizeibehörde ermittelt in der Sache aufgrund der Anwesenheit zweier Beamten in der Wohnung des Verstorbenen vor dem Selbstmord. DUP möchte sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht dazu äußern. Julius Habekost wurde 58 Jahre alt und feierte letzte Woche sein 25-jähriges Jubiläum als Justizvollzugsbeamter. Er hinterlässt seine Ex-Frau und eine Tochter. Die Scheidung gilt als eine der Hauptursachen für diesen tragischen Selbstmord.“

      Bertram setzte sich und vergaß, das Messer und die Butter mit an den Tisch zu nehmen.

      „Habekost! Ich verstehe total, dass der Mann Selbstmord begangen hat bei dem verrückten Namen“, grinste Eva Maja und drückte den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. Sie schaute ihn an. Er starrte weiter auf den Bildschirm, obwohl das Bild von Julius Habekost verschwunden war und es nun um die EU und den Brexit ging.

      „Was ist los? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“

      Bertram antwortete nicht, sein Hals hatte sich zusammengeschnürt.

      „Jetzt machst du mir Angst, Bertram. Was ist denn? Du kannst ihn doch nicht gekannt haben. Er hat wohl in Horsens gewohnt, so weit ich gehört habe.“

      „Was … was ist, wenn es kein Selbstmord war?“

      „Was meinst du? Pass mit deiner Fantasie auf, die ist krank, das weißt du sicher.“

      „Das ist nicht meine Fantasie, ich habe …“

      Er geriet ins Stocken. Wie sollte er ihr von diesem geheimen Netzwerk erzählen, ohne zu verraten, dass er diese Jacke gestohlen hatte? Sie würde stinksauer werden, wenn sie entdeckte, dass er Geld fürs Stehlen bekam statt Werbung zu verteilen. Dass er sie darüber hinaus an ihrem Arbeitsplatz geklaut hatte.

      „Du … du weißt doch, dass Felix … übt … Hacker zu werden, oder?“

      „Hacker? Ist das nicht illegal?“

      „Doch, wenn man das falsch einsetzt … das macht Felix nicht, aber er hat ein geheimes kriminelles Netzwerk entdeckt, und vielleicht haben die diesen Gefängniswärter getötet … im Internet gibt es ein Video, wo sein Kopf auf den Pflastersteinen zerschmettert ist, das Blut fließt, und …“

      Eva Maja lauschte alarmiert mit erhobenen Augenbrauen und Bertram glaubte, sie hätte seine Botschaft verstanden, bis er bemerkte, dass der erschrockene Gesichtsausdruck total übertrieben und leicht spöttisch war.

      „Das ist echt wahr!“

      Eva Maja zündete sich eine neue Zigarette an und schüttelte den Kopf, während sie ihn ansah und nachsichtig lächelte.

      „Woher hast du nur diese lebhafte Fantasie? Von mir jedenfalls nicht. Ist das jetzt eine neue Horror-Geschichte, die du dir bei Nacht und Nebel ausgedacht hast?“

      „Was? Aber …“

      „Ja, ich weiß schon, dass du so etwas schreibst, Bertram.“

      „Woher weißt du das?! Schnüffelst du in meinen …“

      „Schnüffeln! Du hast mal vergessen, deinen Computer herunterzufahren, als du es plötzlich eilig hattest, zur Tür rauszukommen. Ich habe etwas davon gelesen. Boah, war das eklig. Ich verstehe gar nicht, wie das aus deinem kleinen Köpfchen kommen kann.“

      Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger an die Stirn und schüttelte wieder den Kopf.

      Bertram sprang erhitzt auf.

      „Du hast überhaupt nichts in meinem Zimmer verloren und du glaubst echt nie irgendwas von dem, was ich sage!“, brüllte er.

      „Ganz ruhig. Wenn das wahr ist, Bertram, warum gehst du dann nicht zur Polizei? Ich kann mit dir hingehen, wenn du nicht allein willst“, lächelte sie zuckersüß.

      Bertram wollte patzig antworten, verkniff es sich aber, um nicht zu viel zu sagen. Es würde nichts bringen, mit der Polizei zu reden, die ihn ohnehin schon wegen des Einbruchs neulich Abend suchte - und all die anderen. Er wandte seiner Mutter den Rücken zu und ging in sein Zimmer. Knallte die Tür fest zu und versuchte wieder Felix anzurufen, aber der ging immer noch nicht dran.

      Bertram lief zu der Jacke und durchsuchte ein weiteres Mal alle Taschen. Wenn er herausfände, wer der Eigentümer war, könnte er ihn anonym anzeigen. Falls der etwas mit dem Netzwerk zu tun hatte natürlich. Es war nichts in den Taschen oder unter dem Futter. Er setzte sich