Ludwig Tieck

Franz Sternbalds Wanderungen


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      Ludwig Tieck

      Franz Sternbalds Wanderungen

      Dichtung der Romantik

       SECHSTER BAND ROMANE II

      [Friedrich Gottlob Wetzel] NACHTWACHEN

      von

       Bonaventura

      Saga

      Franz Sternbalds WanderungenCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1798, 2020 Ludwig Tieck und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726614725

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

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LUDWIG TIECK FRANZ STERNBALDS WANDERUNGEN

      Erstes Buch / Erstes Kapitel

      So sind wir denn endlich aus den Toren der Stadt, sagte Sebastian, indem er stille stand und sich freier umsah.

      Endlich? antwortete seufzend Franz Sternbald, sein Freund. – Endlich? Ach nur zu früh, allzu früh!

      Die beiden Menschen sahen sich bei diesen Worten lange an, und Sebastian legte seinem Freunde zärtlich die Hand an die Stirne und fühlte, daß sie heiß sei. – Dich schmerzt der Kopf, sagte er besorgt, und Franz antwortete: Nein, das ist es nicht, aber daß wir uns nun bald trennen müssen.

      Noch nicht! rief Sebastian mit einem wehmütigen Erzürnen aus, so weit sind wir noch lange nicht, ich will dich wenigstens eine Meile begleiten.

      Sie gaben sich die Hände und gingen stillschweigend auf einem schmalen Wege nebeneinander.

      Jetzt schlug es in Nürnberg vier Uhr, und sie zählten aufmerksam die Schläge, obgleich beide recht gut wußten, daß es keine andre Stunde sein konnte: indem warf das Morgenrot seine Flammen immer höher, und es gingen schon undeutliche Schatten neben ihnen, und die Gegend trat rund umher aus der ungewissen Dämmerung heraus; da glänzten die goldenen Knöpfe auf den Türmen des heiligen Sebald und Laurentius, und rötlich färbte sich der Duft, der ihnen aus den Kornfeldern entgegenstieg.

      Wie alles noch so still und feierlich ist, sagte Franz, und bald werden sich diese guten Stunden in Saus und Braus, in Getümmel und tausend Abwechselungen verlieren. Unser Meister schläft wohl noch und arbeitet an seinen Träumen, seine Gemälde stehn aber auf der Staffelei und warten schon auf ihn. Es tut mir doch leid, daß ich ihm den Petrus nicht habe können ausmalen helfen.

      Gefällt er dir? fragte Sebastian.

      Über die Maßen, rief Franz aus, es sollte mir fast bedünken, als könnte der gute Apostel, der es so ehrlich meinte, der mit seinem Degen so rasch bei der Hand war und nachher doch aus Lebensfurcht das Verleugnen nicht lassen konnte, und sich von einem Hahn mußte eine Buß- und Gedächtnispredigt halten lassen: als wenn ein solcher beherzter und furchtsamer, starrer und gutmütiger Apostel nicht anders habe aussehen können, als ihn Meister Dürer so vor uns hingestellt hat. Wenn er dich zu dem Bilde läßt, lieber Sebastian, so wende ja allen deinen Fleiß darauf, und denke nicht, daß es für ein schlechtes Gemälde gut genug sei. Willst du mir das versprechen?

      Er nahm, ohne eine Antwort zu erwarten, seines Freundes Hand und drückte sie stark. Sebastian sagte: Deinen Johannes will ich recht aufheben und ihn behalten, wenn man mir auch viel Geld dafür böte.

      Mit diesen Reden waren sie an einen Fußsteig gekommen, der einen nähern Weg durch das Korn führte. Rote Lichter zitterten an den Spitzen der Halme, und der Morgenwind rührte sich darin und machte Wellen. Die beiden jungen Maler unterhielten sich noch von ihren Werken und von ihren Plänen für die Zukunft: Franz verließ jetzt Nürnberg, die herrliche Stadt, in der er seit zwölf Jahren gelebt hatte und in ihr zum Jüngling erwachsen war, aus diesem befreundeten Wohnort ging er heut, um in der Ferne seine Kenntnis zu erweitern und nach einer mühseligen Wanderschaft dann als ein Meister in der Kunst der Malerei zurückzukehren; Sebastian aber blieb noch bei dem wohlverdienten Albrecht Dürer, dessen Name im ganzen Lande ausgebreitet war. Jetzt ging die Sonne in aller Majestät hervor, und Sebastian und Franz sahen abwechselnd nach den Türmen von Nürnberg zurück, deren Kuppeln und Fenster blendend im Schein der Sonne glänzten.

      Die jungen Freunde fühlten stillschweigend den Druck des Abschieds, der ihrer wartete, sie sahen jenem kommenden Augenblick mit Furcht entgegen, sie wußten, daß sie sich trennen mußten und konnten es doch immer noch nicht glauben.

      Das Korn steht schön, sagte Franz, um nur das ängstigende Schweigen zu unterbrechen, wir werden eine schöne Ernte haben.

      Diesmal, antwortete Sebastian, werden wir nicht miteinander das Erntefest besuchen, wie seither geschah; ich werde gar nicht hingehn, denn du fehlst mir, und all das lustige Pfeifen- und Schalmeigetöne würde nur ein bittrer Vorwurf für mich sein, daß ich ohne dich käme.

      Dem jungen Franz standen bei diesen Worten die Tränen in den Augen, denn alle Szenen, die sie miteinander gesehen, alles, was sie in brüderlicher Gesellschaft erlebt hatten, ging schnell durch sein Gedächtnis; als nun Sebastian noch hinzusetzte: wirst du mich auch in der Ferne noch immer lieb behalten? konnte er sich nicht mehr fassen, sondern fiel dem Fragenden mit lautem Schluchzen um den Hals und ergoß sich in tausend Tränen, er zitterte, es war, als wenn ihm das Herz zerspringen wollte. Sebastian hielt ihn fest in seinen Armen und mußte mit ihm weinen, ob er gleich älter und von einer härteren Konstitution war. Komme wieder zu dir! sagte er endlich zu seinem Freunde, wir müssen uns fassen, wir sehn uns ja wohl wieder.

      Franz antwortete nicht, sondern trocknete seine Tränen ab, ohne sein Gesicht zu zeigen. Es liegt im Schmerze etwas, dessen sich der Mensch schämt, er mag seine Tränen auch vor seinem Busenfreunde, auch wenn sie diesem gehören, gern verbergen . . .

      Soll ich dir die Wahrheit gestehn? fuhr Franz fort; du glaubst nicht, wie seltsam mir gestern abend zu Sinne war. Ich hatte meinen Gedanken so oft die Pracht Roms, den Glanz Italiens vorgemalt, ich konnte mich bei der Arbeit ganz darin verlieren, daß ich mir vorstellte, wie ich auf unbekannten Fußsteigen, durch schattige Wälder wanderte, und dann fremde Städte und nie gesehene Menschen meinem Blicke begegneten; ach, die bunte, ewig wechselnde Welt mit ihren noch unbekannten Begebenheiten, die Künstler, die ich sehn würde, das hohe gelobte Land der Römer, wo einst die Helden wirklich und wahrhaftig gewandelt, deren Bilder mir schon Tränen entlockt hatten; sieh, alles dies zusammen hatte oft so meine Gedanken gefangengenommen, daß ich zuweilen nicht wußte, wo ich war, wenn ich wieder aufsah. Und das alles soll wirklich werden! rief ich dann manchmal aus, es soll eine Zeit geben können, sie tritt schon näher und näher, in der du nicht mehr vor der alten, so wohlbekannten Staffelet sitzest, eine Zeit, wo du in alle die Herrlichkeit hineinleben darfst und immer mehr sehn, mehr erfahren, nie aufwachen, wie es dir jetzt wohl geschieht, wenn du so zuzeiten von Italien träumst; – ach, wo, wo bekömmst du Sinne, Gefühle genug her, um alles treu und wahr, lebendig und urkräftig aufzufassen? Und dann war es, als wenn sich Herz und Geist innerlich ausdehnten und wie mit Armen jene zukünftige Zeit erhaschen, an sich reißen wollten; und nun –

      Und nun, Franz?

      Kann ich es dir sagen? antwortete jener – kann ich es selber ergründen? Als wir gestern abend um den runden Tisch unsers Dürer saßen und er mir noch Lehren zur Reise gab, als die Hausfrau indes den Braten schnitt und sich nach dem Kuchen erkundigte, den sie zu meiner Abreise gebacken hatte, als du nicht essen konntest und mich immer von der Seite betrachtetest; o Sebastian, es wollte mir ganz mein armes, ehrliches Herz zerreißen. Die Hausfrau kam mir so gut vor, sooft sie auch mit mir gescholten, sooft sie auch unsern braven Meister betrübt hatte; hatte sie mir doch selbst meine Wäsche eingepackt, war sie doch gerührt, daß ich abreisen wollte. Nun war unsre Mahlzeit geendigt, und wir alle waren nicht fröhlich gewesen, sosehr wir es auch uns erst in vielen Worten vorgesetzt hatten. Jetzt nahm