Ludwig Tieck

Franz Sternbalds Wanderungen


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Reise über Mergentheim machte.»

      So bist du es gewesen, mein Genius, mein schützender Engel! rief er aus. Du bist mir wieder vorübergegangen, und ich kann mich nicht finden, ich kann mich nicht zufrieden geben. Auf diesem Platze hier sind diese Blumen gewachsen, schon vierzehn Sommer sind indessen über die Erde gegangen, und auf diesem Platze halte ich nach so langer Zeit das teure Geschenk wieder in meinen Händen. Du warst es, Botin des Himmels, für die ich mein erstes Bild aufgestellt habe, dein Auge mußte es erleuchten, deinen Wohlgefallen hat es erregt, und du hast dein Knie in frommer Herzensdemut davor geneigt. O wann werd ich dich wiedersehen? Kann es Zufall sein, daß du mir wieder begegnet bist . . .?

      Außerdem enthielt das Taschenbuch nichts, woraus er den Namen oder den Aufenthalt der wunderbaren Fremden, mit der er doch so vertraut zu sein wähnte, hätte erfahren können. Auf der einen Seite stand:

      „Zu Antwerpen ein schönes Bild von Lukas von Leyden gesehn.“ Und dicht darunter:

      „Ebendaselbst ein unbeschreiblich schönes Kruzifix vom großen Albrecht Dürer.“

      Er küßte das Blatt zu wiederholten Malen, er konnte heut seine Empfindungen durchaus nicht bemeistern. Es war ihm zu seltsam und zu erfreulich, daß die Engelsgestalt, die er so fernab im Traume seiner Kindheit gesehen hatte, seinen Dürer verehrte, den er so genau kannte, dessen Freund er war, daß sie ihn durch ihr Lob seines ersten Gemäldes zum Künstler geweiht hatte . . .

      Achtes Kapitel

      Franz hatte seinem Sebastian diese Begebenheiten geschrieben, die ihm so merkwürdig waren; es war nun die Zeit verflossen, die er seinem Aufenthalte in seinem Geburtsorte gewidmet hatte, und er besuchte nur noch einmal die Plätze, die ihm in seiner Kindheit so bekannt geworden waren: dann nahm er Abschied von seiner Mutter.

      Er war wieder auf dem Wege, und nach einiger Zeit schrieb er seinem Freunde noch einen zweiten Brief:

      Liebster Bruder!

      Manchmal frage ich mich selbst mit der größten Ungewißheit, was aus mir werden soll. Bin ich nicht plötzlich ohne mein Zutun in ein recht seltsames Labyrinth verwickelt? Meine Eltern sind mir genommen, und ich weiß nicht, wem ich angehöre, meine Freunde habe ich verlassen, jenen glänzenden Engel habe ich nur wie ein vorbeifliegendes Schimmerbild wahrgenommen. Warum treten mir diese Verwickelungen in den Weg, und warum darf ich nicht wie die übrigen Menschen einen ganz einfachen Lebenswandel fortsetzen?. . .

      Du siehst, ich führe noch immer meine alten Klagen, und ich habe vielleicht sehr unrecht. Ich sehe wohl alles anders an, wenn ich älter werde, aber ich wünsche es nicht. Ach, Sebastian, ich habe manchmal eine unaussprechliche Furcht vor mir selber; ich empfinde meine Beschränktheit, und doch kann ich es nicht wünschen, diese Gefühle zu verlieren, die so mit meiner Seele verwebt scheinen, daß sie vielleicht mein eigentliches Selbst ausmachen. Wenn ich daran denke, daß ich mich ändern könnte, so ist mir ebenso, als wenn Du sterben solltest.

      Wenn ich nur wenigstens mehr Stolz und Festigkeit hätte! Denn ich muß doch vorwärts und kann nicht immer ein weichherziges Kind bleiben, wenn ich auch wollte . . .

      Meine Wanderung bringt oft sonderbare Stimmungen in mir hervor. Jetzt bin ich in einem Dorfe und sehe den Nebel auf den fernen Bergen liegen, matte Schimmer bewegen sich im Dunste, und Wald und Berg tritt aus dem Schleier oft plötzlich hervor. Ich sehe Wanderer zu Fuß und zu Pferde ihre Straße forteilen, und ferne Türme und Städte sind das Ziel, wonach sie in mannigfaltiger Richtung streben . . .

      Welche Gegend ihr Blick wohl jetzt durchwandert! Ich schaue nach Osten und Westen, um sie zu entdecken, und ängstige mich ab, daß sie vielleicht in meiner Nähe ist, ohne daß ich es erfahren kann. Nur einmal sehn, nur einmal sprechen möcht ich sie noch, ich kann mein Verlangen darnach nicht mit Worten äusdrücken, und doch wüßt ich nicht, was ich ihr sagen sollte, wenn ich sie plötzlich wiederfände. Ich kann es nicht sagen, Was meine Empfindung ist, und ich weiß nicht, ob Du nicht Deinen Freund belächelst. Aber Du bist zu gut, um über mich zu spotten; auch bin ich zu ehrlich gegen Dich.

      Wenn ich an die reizenden Züge denke, an diese heilige Unschuld ihrer Augen, diese zarten Wangen – wenigstens möcht ich ein Gemälde, ein treues, einfaches der jetzigen Gestalt besitzen. Tod und Trennung sind es nicht allein, die wir zu bejammern haben; sollte man nicht jedem dieser süßen Züge, jede dieser sanften Linien beweinen, die die Zeit nach und nach vertilgt?. . . Ich sehe sie vielleicht nach vielen, vielen Jahren wieder, vielleicht auch nie. Es gibt ein Lied eines alten Sängers, ich schreibe Dir es auf:

      Wohlauf und geh in den vielgrünen Wald,

      Da steht der rote frische Morgen,

      Entlade dich der bangen Sorgen,

      Und sing ein Lied, das fröhlich durch die Zweige schallt! Es blitzt und funkelt Sonnenschein Wohl in das grüne Gebüsch hinein,

      Und munter zwitschern die Vögelein . . .

      Einst fand ich den Frühling im grünenden Tal,

      Da blühten und dufteten Rosen zumal,

      Durch Waldesgrüne

      Erschiene

      Im Eichenforst wild Ein süßes Gebild:

      Ein süßes Gebild:

      Da blizte Sonnenschein,

      Es sangen Vögelein

      Und riefen die Geliebte mein . . .

      Ich ging hinaus im Morgenlicht,

      Da kam die süße Liebe nicht;

      Vom Baume hernieder

      Schrie Rabe seine heisern Lieder:

      Da weint und klagt ich laut,

      Doch nimmer kam die Braut,

      Und Morgensehein,

      Und Vögelein

      Nur Angst und Pein! . . .

      Ach! Vielleicht ist für mich auch einst der vielgrüne Wald so abgestorben!

      Oft möcht ich alles in Gedichten niederschreiben, und ich fühl es jetzt, wie die Dichter entstanden sind. Du vermagst das Wesen, was Dein innerstes Herz bewegt, nicht anders auszusprechen.

      Ich habe endlich einen neuen Kupferstich von unserm Albrecht gesehn, den er seit meiner Abwesenheit gemacht hat. Du wirst ihn kennen, es ist der lesende Einsiedler, Wie ich da wieder unter euch war! Denn ich kannte die Stube, den Tisch und die runden Scheiben gleich wieder, die Dürer auf diesem Bilde von seiner eigenen Wohnung abgeschrieben hat. Wie oft habe ich die runden Scheiben betrachtet, die der Sonnenschein an der Täfelung oder an der Decke zeichnete; der teure Hieronymus sitzt an Dürers Tisch, Es ist schön, daß unser Meister in seiner frommen Vorliebe für das, was ihn so nahe umgibt, der Nachwelt ein Konterfei von seinem Zimmer gegeben hat, wo alles so bedeutend ist und jeder Zug Andacht und Einsamkeit ausdrückt.

      Ich gehe auf meinem Wege oft in die kleinen Kapellen hinein und verweile mich dabei, die Gemälde und Zeichnungen zu betrachten. Ob es meine Unerfahrenheit oder meine Vorliebe für das Altertum macht, ich sehe selten ein ganz schlechtes Bild; ehe ich die Fehler entdecke, sehe ich immer die Vorzüge an jedem. Ich habe gemeiniglich bei jungen Künstlern die entgegengesetzte Gemütsart gefunden, und sie wissen sich immer recht viel mit ihrem Tadel. Ich habe oft eine fromme Ehrfurcht vor unsern treuherzigen Vorfahren, die zuweilen recht schöne und erhabene Gedanken mit so wenigen Umständen ausgedrückt haben.

      Ich will meinen Brief schließen. Möge der Himmel Dich und meinen teuren Albrecht gesund erhalten! Dieser Brief dürfte seinem ernsten Sinne schwerlich gefallen. Laß mich bald Nachrichten von Dir und von allen Bekannten hören.

      In der Ferne geht die Liebe

      Ungekannt durch Nacht und Schatten;

      Ach! wozu daß ich hier bliebe

      Auf den vaterländschen Matten?

      Wie