der Beamten angesichts des erbrochenen Glockendeckels, es liege Raubmord vor, wich großem Erstaunen, als die durch Zeit und Feuchtigkeit beschädigten Pfundnoten aus der Doppelwandigkeit ans Licht gelangten.
Der Brasilianer war zur Stelle. Ja, diese Schiffsglocke, diese Antiquität von Rang, dieses handwerklich erlesene und durch einen Kriminalfall gezeichnete Korsarenerz mußte er haben. Leider zögerte die Besitzerin, die Seltenheit herzugeben.
Der Fall erregte gehöriges Aufsehen. Unter denen, die sich um die arme Mintje bemühten, war auch ein Geistlicher und Landsmann, der die Insel ein wenig zur Erholung aufgesucht hatte und als Entgelt für die Glocke versprach, die Unglückliche in einem der Beginenhäuser der Heimat unterzubringen. Sie stiftete ihm die ganze, so sonderbar gehegte Mitgift, aber die Glocke behielt sie. Das stachelte den Sammlereifer des Herrn aus Rio ungemein an. Er hatte bald heraus, welch merkwürdige Beziehung die Dame mit seinem erledigten Steward verband, und er ließ es sich etwas kosten, alsbald einen ansehnlichen Grabstein für Paul zu beschaffen. Und nach der Beerdigung lud er die Holländerin mit aller Behutsamkeit zu einem Gläschen der Erinnerung an Bord ein. Indem sie zusagte, erst zögernd, dann mit jäher Bereitwilligkeit, schien sie plötzlich, ganz ohne Übergang, in die Wirklichkeit zurückgekehrt. Der von ihr bislang mit schmerzlichem Lächeln abgetanen Vermutung der Polizei, der Ermordete sei nicht ihr Verlobter, sondern der Sohn ihres Verlobten, zeigte sie sich nun aufgeschlossen. Ihr Erwachen war ohne Augenreiben und ihr selber unauffällig. Und noch bevor der süße Likör der Bordbar ihre Gedanken beweglicher machte, sagte sie, mehr verwundert als klagend: Also hat Paul doch eine andere genommen, dieser Windhund!
Bereitwillig erzählte der Brasilianer von Pauls Vater und dessen Ende. Sie schluchzte nicht. Sie betrachtete aufmerksam die Verknüpfungen des Schicksals, als sei es ein Klöppelmuster an einem verschossenen Brautkleid. Ohne Wehmut wiederholte sie ihren Entschluß, nach Holland zurückzukehren und als Begine ihr Dasein zu Ende zu führen. Der Schiffsherr tat sein mögliches, es ihr auszureden. Er bot ihr wahre Unsummen für die Glocke, so daß sie ohne Schwierigkeit überall hätte davon leben können. Schließlich, von ihrer blonden Beharrlichkeit und gesetzten, sich rosig überhauchenden Fülle und ihrem altbacken mädchenhaft versonnenen Lächeln aufs äußerste gereizt, fast so sehr wie von der Glocke, bot er ihr seine Hand. Und es gelang seiner feurigen Werbung, sie zu einem Ja zu bestimmen.
Auf Wunsch der Braut fand die Trauung in der kleinen Bergkirche unter den gelb und blauen Fenstern statt. Danach ging die Jacht gleich unter Segel. Noch im Brautkleide, dem so lange bewahrten und nur wenig geänderten, schlug Mintje vor, die belanglose Schiffsglocke des Seglers mit der alten Seeräuberglocke zu vertauschen, die sie als Mitgift mitgebracht, und nur den Klöppel hinzuzufügen. Sie hatte übrigens insgeheim alle Briefe ihres Pauls von damals in der Hohlwand untergebracht. Als sie nun die Glocke eigenhändig – sie bestand darauf – in das neue Lager heben wollte, da verbeugte sich das Schiff im atlantischen Schwell. Die Bugwelle zischte vorbei, als sei es ihr Brautschleier, und sie müsse ihm nach. Sie taumelte gegen die Reling, sie kippte vornüber, von der Glocke allzu belastet. Ihr Mann hatte den Bruchteil eines Wimperschlages Zeit, zu überlegen, was zu retten ihm wichtiger sei, die Glocke oder seine Frau. Er packte zu. Seine Finger erreichten noch eben das kalte Metall, gaben diesem ungewollt aber zugleich den letzten Anstoß. Und indes die Glocke davonrutschte und versank, krallte er sich, wutjammernd, in Mintjes Arm und wäre mit ihr gnadenlos der Glocke nachgestürzt, wenn nicht seine Leute, hinzuspringend, ihn und seine Gattin gehalten hätten. Danach denn, seinem tüchtigen Schlage entsprechend, überwand er sich und schrie herausfordernd in den Wind, als habe er begriffen, daß nicht nur ein scheinbar billig ergattertes Kleinod, sondern ein lästiger, ja, gefährlicher Ballast über Bord gegangen sei. Noch vor den Blicken seiner Besatzung umhalste und küßte er seine Frau und schwur, sie sei ihm kostbarer als alle Schiffsglocken der Welt. Und brachte sie dann behutsam wie nur je eine Rarität in die Kabine. Aber ihr sonderbares Auflachen und der verlorene Blick ihrer Augen und auch, wie sie ihn zärtlich mit dem Namen des einstigen Verlobten anredete, verrieten ihm nur zu bald, daß sie, der Glocke gleich, ihm für immer entglitten sei.
Die Rosenmöwe
Wer will der Nordsee verargen, daß sie zumeist kalt und grau wirkt? Es ist ihrer Lage gemäß, und ihre guten Tage sind ein wahres Wunder, vom Golfstrom vermittelt, der die Sommer der Wasserkante mit Badestränden segnet, bis auf die Insel Helgoland hin.
Helgoland. Fast wäre es zur Sage geworden. Aber damals wie heute sieht es von weitem, wenn es eben überm Horizont auftaucht, aus wie ein Ziegelstein, der von Urgewalten verloren oder bereitgelegt wurde, als sie darangingen, einen neuen Kontinent zu bauen oder Atlantis oder den allumfassenden utopischen Tempel des Friedens.
Minna Sulz empfand etwas davon durch ihre Seekrankheit hindurch. O dieser lang geträumte Meeresinseltraum! Welch rauher, würgender Weg dahin! Es war noch auf einem jener weißen Seebäderdampfer, die später als Minenleger vor die Seehunde gingen.
Zehn Jahre hatte Minna Sulz von dieser Meerfahrt geträumt in der kleinen küstenfernen Stadt, indes sie in den Kontoren an der Schreibmaschine verbraucht wurde. Ein dicker Mann neben ihr an der Reling, hellgrau gekleidet und mit dem Hute eines Wildwestfarmers, den er mit einem Kinnriemen erfolgreich gegen den Wind verteidigte, sagte breit und freundlich: Helgoland, das ist eine Zunge, gegen Großbritannien ausgestreckt.
Das schien ihr schrecklich, und auch das Ausbooten und die spöttischen Bemerkungen der Leute an der Landebrücke, die es schon hinter sich hatten, und der fleischig rote, nackte Fels und der Dunst nach faulendem Seegetier und die Pensionspreise. Als Minna Sulz aber erst von der Kante des Oberlandes, wo es Falm heißt, den Blick in die Weite richtete, war es dennoch schön; denn es war ein perlmuttfarbenes Wetter, und der Horizont lag geheimnisvoll und ungeheuer wie die Unendlichkeit.
Sie kleidete sich in bunte Wolle und schlürfte den salzigen Wind, den sie auf der Fahrt gehaßt hatte. Sie wurde ganz betrunken von soviel Meereshauch und taumelte auf der Insel umher bis an alle Grenzen, die bald erreicht waren. Und nachdem sie sich von oben her genugsam an den Anblick der wild heranrollenden Wogen gewöhnt, beschloß sie, darin zu baden. Sie begab sich wieder zum Unterland hinab und von da – es war gerade Ebbe und die Marine hatte noch nicht alles verbetoniert und verboten – unter den himmelhohen Felsen über das abgenagte Geröll entlang. Es war mühsam, aber Minna jauchzte laut auf über jeden Taschenkrebs, der in den Spalten hockte, und über die kleinen hornigen, länglichen, grünschwarzen Kissen der Katzenhai-Eier. Sie sammelte die Bademütze voller Meerwunder an Steinen und Muschelschalen und fand sogar einen halbvertrockneten Seestern.
Nebenbei lugte sie nach einer geeigneten Badestelle aus. Aber der gehörige Respekt vor der schaumig schwellenden Tiefe bewahrte sie, voreilig zu sein. Erst an der Ecke, wo es das Nordhorn heißt und ein einzelner Felsenturm steht, schien das Wasser ruhsamer und nur so eben schülpig und in einer Mulde glasklar, als sei es ein Extrabadebassin für sie. Minna Sulz gedachte des Mannes, der auf Helgoland so schön gedichtet hatte: Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Der Prospekt des Verkehrsbüros nannte neben Hoffmann von Fallersleben auch Klas Störtebeker, den Piraten, der zusammen mit Godeke Michels hier gehaust. Dieser düstere, einsame Felsen aber hieß unzweifelhaft – der Abbildung im besagten Prospekt gemäß – Der Mönch. Man durfte ihm eher trauen als einem Seeräuber betreffs der Freiheiten, sagte sie sich, und um ihr allererstes Seebad den hohen Begriffen gemäß recht zu genießen, schonte sie den hübschen Badeanzug, den sie gleich als Unterwäsche angezogen, und stieg unverhüllt ins Nasse.
Ihrem Blick verborgen, um die Ecke herum, war Omko Treesen eben dabei, seine Hummerkörbe aufzuholen. Er hörte das sonderbare, verzückte Geschnaufe und verhaltene Gekreische und kam dann sachte mit dem Boot vorüber, tat aber, als sähe er nichts. Minna Sulz schrie Huch! und entschlüpfte hinter den Mönch. Omko Treesen war von biederer Sorte und lange genug Junggeselle und Haluner, um nicht wegen ein bißchen Badenixe den Dreh zu verlieren. Aber hier war viel Rosa auf einmal gewesen und an unvermuteter Stelle. Auch war eine laue Julistimmung in den Lüften, und er hatte ganz gut was in den Körben. Und so zögerte er die Beschäftigung damit eine Kleinigkeit hin, bis denn die Dame angezogen wieder hervortrat und schämig sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, das salzige Wasser nachschmeckend, und davonwollte.
Da können Sie wohl kaum wieder