Stefan Zweig

Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist


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er habe einen neuen Gesundheitstalisman gefunden: das Magneteisen. Es scheint ja so sonnenklar, so einfach – man baucht also bei Krämpfen und epileptischen Zuständen den Kranken nur rechtzeitig das zauberische Hufeisen auf den Leib zu legen, unbesorgt um das Wie und Warum, und siehe, das Mirakel der Genesung ist vollbracht. Aber Franz Anton Mesmer ist Arzt, Wissenschaftler, Sohn eines neuen Zeitalters, das in kausalen Zusammenhängen denkt. Ihm genügt nicht die augenfällig bewiesene Feststellung, daß der Magnet bei einer ganzen Reihe seiner Patienten beinahe magisch geholfen: als ernster, denkender Arzt will er eben, weil er nicht an Wunder glaubt, sich selbst und den andern erklären, warum dieses geheimnisvolle Mineral solche Wunder wirkt. Mit seinem Experiment hat er bisher nur einen Nenner der Rätselheilung in Händen: den oftmaligen Heileffekt des Magneten; zum logischen Schlusse braucht er aber noch die andere Ziffer, die kausale Begründung. Dann erst wäre das neue Problem für die Wissenschaft nicht bloß gestellt, sondern auch schon gelöst.

      Und sonderbar: ein verteufelter Zufall scheint ihm und gerade ihm dies andere Ende in die Hand gespielt zu haben. Denn eben dieser Franz Anton Mesmer hat doch vor beinahe zehn Jahren, 1766, den Doktorgrad mit einer sehr merkwürdigen, mystisch gefärbten Dissertation erworben, benannt »De Planetarum influxu«, in welcher er unter dem Einfluß mittelalterlicher Astrologie eine Wirkung der Gestirne auf den Menschen annahm und die These aufstellte, daß irgendeine geheimnisvolle Kraft »durch weite Räume der Himmel ergossen, auf das Innerliche jeder Materie einwirke, daß ein Uräther, ein geheimnisvolles Fluidum den ganzen Kosmos und damit auch den Menschen durchdringe«. Dieses Urfluidum, dieses Endprinzip, bezeichnete der vorsichtige Studiosus damals nur höchst unbestimmt als die »gravitas universalis«, die allgemeine Schwerkraft. Diese seine eigene jugendliche Hypothese hatte der gereifte Mann wahrscheinlich längst vergessen. Aber als Mesmer jetzt bei dieser zufälligen Kur durch den Stahlmagneten, der doch als Meteorstein gleichfalls von den Sternen stammt, so unerklärbaren Einfluß ausgeübt sieht, da schießen plötzlich diese beiden Elemente, das Empirische und das Hypothetische, die durch Magnetauflage geheilte Patientin und die These der Dissertation zu einer einheitlichen Theorie zusammen – jetzt glaubt Mesmer seine philosophische Annahme durch jene sichtbare Heilwirkung unwiderlegbar bestätigt und meint für jene unbestimmte »gravitas universalis« den richtigen Namen zu wissen: die magnetische Kraft, deren Anziehung der Mensch ebenso gehorcht wie die Sterne des Weltalls. Das Magnetische ist also, so jubelt voreilig freudig seine Entdeckerlust, die »gravitas universalis«, jenes »unsichtbare Feuer« des Hippokrates, jener »spiritus purus, ignis subtilissimus«, der als schöpferische Allflut den Äther des Weltalls ebenso wie die Zelle des menschlichen Körpers durchströmt! Die Brücke, die langgesuchte, welche die Sternenwelt der Menschheit verbindet, scheint ihm in seiner Zufallstrunkenheit gefunden. Und er fühlt stolz und erregt: wer sie mutig überschreitet, der betritt ein unbekanntes Land.

      Der Funke hat gezündet. Durch die zufällige Berührung eines Experiments mit einer Theorie kommt bei Mesmer ein Gedanke zur Explosion. Aber der erste Schuß geht in vollkommen falsche Richtung. Denn in seiner voreiligen Begeisterung meint Mesmer, mit dem Magneteisenstein selbst schon klipp und klar das Universalremedium, den Stein der Weisen, gefunden zu haben: ein Irrtum, ein offenbarer Trugschluß bildet Anlaß und Ausgang seines Weges. Aber dieser Irrtum ist ein schöpferischer. Und da Mesmer ihm nicht blindwütig nachstürmt, sondern seinem Charakter gemäß zögernd, Schritt für Schritt fortschreitet, kommt er trotz seines Umweges weiter. Er wird noch viele krumme und dumme Wege gehen. Aber jedenfalls, während die anderen breit und schwer auf ihren alten Methoden hocken, tappt dieser Einsame im Dunkel nach vorwärts und tastet langsam aus kindlichen und mittelalterlichen Vorstellungen in den geistigen Gedankenkreis der Gegenwart hinüber.

      Die ersten Versuche

       Inhaltsverzeichnis

      Nun hat Franz Anton Mesmer, bisher nur simpler Arzt und Liebhaber der schönen Wissenschaften, einen Lebensgedanken, oder vielmehr der Gedanke hat ihn. Denn bis zu seinem letzten Atemzug wird er als unnachgiebiger Forscher diesem Perpetuum mobile, dieser Triebkraft des Alls nachsinnen. Sein ganzes Leben, sein Vermögen, sein Ansehen, seine Zeit setzt er von nun einzig an diese seine Uridee. In dieser Hartnäckigkeit, dieser starren und doch glühenden Unbelehrbarkeit liegt Mesmers Größe und Tragik, denn was er sucht – das magische Allfluid – kann er niemals klar beweisbar finden. Und was er findet – eine neue Psychotechnik –, das hat er gar nicht gesucht und zeitlebens nie erkannt. So erlebt er eigentlich ein ganz verzweifelt ähnliches Schicksal wie sein Zeitgenosse, der Alchimist Böttger, der in seiner Gefangenschaft chemisches Gold anfertigen will und dabei durch Zufall das tausendmal wichtigere Porzellan entdeckt: da wie dort entsendet der Urgedanke nur einen wichtigen seelischen Antrieb, und die Entdeckung entdeckt sich gleichsam selbst in dem leidenschaftlich fortgetriebenen Experimentieren.

      Mesmer hat im Anfang nur die philosophische Idee eines Allfluids. Und er hat den Eisenmagneten. Aber der Leistungsradius des Magneten ist verhältnismäßig gering, das sieht Mesmer schon bei den ersten Versuchen ein. Seine Anziehung wirkt bloß einige Zoll weit, und doch läßt Mesmers mystisches Ahnen sich nicht irremachen im Glauben, er verberge weit stärkere, gleichsam latente Energieen, die man kunstvoll hervorlocken und durch richtige Anwendung steigern könne. So beginnt er die kuriosesten Künsteleien. Statt wie jener Engländer bloß ein einziges Hufeisen auf die schmerzende Stelle zu legen, appliziert er seinen Kranken zwei Magnete, einen links oben, einen rechts unten, damit in geschlossenem Strom das geheimnisvolle Fluid den ganzen Leib lebendig durchstreiche und so in Ebbe und Flut die gestörte Harmonie wiederherstelle. Um seine eigene mithelfende Influenz zu vermehren, trägt er, in einem Ledersäckchen eingenäht, selbst einen Magneten um den Hals, und nicht genug an dem, er überträgt diesen kraftspendenden Strom auf alle erdenklichen Gegenstände. Er magnetisiert Wasser, läßt die Kranken darin baden und davon trinken, er magnetisiert durch Bestreichen Porzellantassen und Teller, Kleider und Betten, er magnetisiert Spiegel, damit sie das Fluid weiterstrahlen, er magnetisiert Musikinstrumente, damit auch die Schallschwingung die Heilmacht fortleite. Immer fanatischer verrennt er sich in die fixe Idee, man könne (ähnlich wie später die elektrische Kraft) die magnetische durch Leitung weiter übermitteln, auf Flaschen ziehen und in Akkumulatoren sammeln. So konstruiert er schließlich den berüchtigten Gesundheitszuber, das vielverspottete »Baquet«, ein zugedecktes großes Holzschaff, in dem zwei Reihen von Flaschen, die mit magnetisiertem Wasser gefüllt sind, konvergent zu einem Stahlstab laufen, von dem der Patient einzelne bewegliche Überleitungsspitzen an seinen Schmerzpunkt hinführen kann. Um diese magnetische Batterie reihen sich die Kranken, Fingerspitze an Fingerspitze ehrfürchtig haltend, zur Kette, weil Mesmer erprobt haben will, daß die Durchleitung durch mehrere menschliche Organismen den Strom abermals verstärke. Aber auch die Experimente am Menschen genügen ihm nicht – bald müssen schon Katzen und Hunde daran glauben; schließlich werden sogar die Bäume in Mesmers Park und jenes Wasserbassin magnetisiert, in dessen zitternden Spiegel die Patienten andächtig ihre entblößten Füße tauchen, den Bäumen durch Seile mit den Händen verbunden, während der Meister gleichzeitig auf der gleichfalls magnetisierten Glasharmonika spielt, um mit ihren zarten und schmiegsamen Rhythmen die Nerven dem Universalbalsam gefügiger zu machen.

      Unsinn, Schwindel und Kinderei, sagt selbstverständlich unser Gefühl von heute entweder entrüstet oder mitleidig zu diesen tollen Extratouren: hier wird man tatsächlich an Cagliostro und die anderen Zauberdoktoren erinnert. Mesmers erste Experimente stolpern – wozu hier eine Beschönigung? – völlig ratlos, völlig hilflos im krausen Dickicht mittelalterlichen Unkrauts herum. Uns Nachfahren erscheint es natürlich eitles Possenspiel, magnetische Kraft auf Bäume, Wasser, Spiegel und Musik durch bloßes Bestreichen übertragen und damit Heilwirkungen erzielen zu wollen. Aber man messe, um nicht in Ungerechtigkeit zu verfallen, doch einmal redlich die physikalische Situation jener Zeit. Drei neue Kräfte reizen damals die Neugier der Wissenschaft an, drei Kräfte, kinderklein alle drei, jede ein Herkules in der Wiege. Durch den Papinischen Topf, durch die neuen Maschinen Watts konnte man gerade eine erste Ahnung von der motorischen Kraft des Dampfes haben, von der gewaltigen Energiefülle der atmosphärischen Luft, die früheren Geschlechtern bloß als passives Nichts, als ein unfaßbares farbloses Weltgas galt. Ein Jahrzehnt noch, und zum ersten Male wird das erste Luftschiff einen Menschen