den Zerstörungen stürmender Einnahme preisgeben. «Auf hölzernen Brücken, auf linnenen Flügeln gelang’ ich nach Rom!» so rief er eines Tages Herzog Guntharis zu, überließ diesem die Einschließung der Stadt, brach auf mit der ganzen Reiterei und eilte nach Neapolis. In diesem Hafen lag, schwach bemannt, eine kaiserliche Flotte.
Einem Triumphzug, nicht einem Feldzug, glich Totilas Marsch auf der appischen Straße durch Unteritalien. Diese Gegenden, die am längsten unter dem Joche der Byzantiner litten, waren am meisten bereit, nun die Goten als Befreier zu begrüßen.
Mit Blumengebinden zogen die Jungfrauen von Terracina dem schönen Gotenkönig entgegen. Das Volk von Minturnä fuhr, ihm zum Empfang, einen vergoldeten Wagen hinaus, hob ihn vom weißen Roß und zog ihn auf dem Wagen jubelnd in die Tore. «Sehet hin» – scholl es in den Straßen von Casilinum, einer alten Kultstätte der campanischen Diana –, «Phöbus Apollo ist niedergestiegen vom Olymp und hält befreienden Einzug in der Stadt seiner Schwester.» Die Bürger von Capua aber baten ihn, die ersten Goldmünzen seines Königsnamens in ihrer Münze zu prägen mit der Umschrift: «Capua revindicata».
So ging es fort bis Neapolis: dieselbe Straße, die er dereinst, ein Flüchtling, verwundet, in nächtlicher Hast zurückgelegt. Der Befehlshaber der armenischen Söldner in der Stadt, einer sehr tapfern, aber schwachen Schar, der Arsakide Phaza, wagte nicht, der Bevölkerung für den Fall einer Belagerung zu trauen.
Er führte seine Lanzenträger und bewaffnete Bürger von Neapolis dem König zur offenen Feldschlacht entgegen.
Da, vor dem Beginn des Gefechts, ritt ein Reiter auf weißem Roß aus der Schlachtreihe der Goten, nahm den Helm vom Haupt und rief: «Kennt ihr mich nicht mehr, ihr Männer der parthenopäischen Stadt? Ich bin Totila. Ihr habt mich geliebt, da ich der Seegraf eures Hafens war. Ihr sollt mich segnen als euren König. Gedenkt ihr nicht mehr, wie ich eure Weiber und Kinder auf meinen rettenden Schiffen geflüchtet vor den Hunnen Belisars? Vernehmt: diese eure Frauen und Töchter, sie sind abermals in meiner Hand; nicht als Schützlinge, als Gefangene. Nach Cumä habt ihr sie gebracht, in das feste Schloß, sie vor den Byzantinern zu schützen, vielleicht auch vor mir. Wisset aber: Cumä hat sich mir ergeben, und alle dorthin Geflüchteten sind in meine Gewalt gefallen.
Man riet mir: sie als Geiseln zu behalten, euch und die andern Städte zur Ergebung zu zwingen. Das widerstrebt mir. Frei ließ ich sie alle – nach Rom hab’ ich die Frauen der römischen Senatoren geleiten lassen. Nur eure Weiber und Kinder, ihr Männer von Neapolis, hab’ ich in mein Lager kommen lassen, nicht als Geiseln, nicht als Gefangene: – als meine Gäste. Sehet hin: dort strömen sie aus meinen Zelten. Öffnet die Arme, sie zu empfangen, sie sind frei.
Wollt ihr jetzt gegen mich kämpfen? Ich kann’s nicht glauben! Wer ist der erste unter euch, der zielt auf diese Brust?» Und weit schlug er den weißen Mantel auseinander.
«Heil König Totila dem Gütigen!» war die jubelnde Antwort. Und das heißblütige Völklein warf die Waffen nieder, strömte heran, begrüßte jubelnd die befreiten Frauen und Kinder und küßte dem jungen König den Saum des Mantels und die Füße.
Der Führer der Söldner ritt zu ihm heran. «Meine Lanzen sind umringt und zu schwach, allein zu kämpfen. Hier, o König, nimm mein Schwert: ich bin dein Gefangener.»
«Nicht also, tapfrer Arsakide! Du bist unbesiegt – deshalb auch ungefangen. Zieh ab, wohin du willst, mit deiner Schar.»
«Ich bin besiegt und gefangen durch deines Herzens Hoheit und deiner Augen lichten Glanz: verstatte, daß wir fortan für deine Fahne fechten.» Eine auserlesene Kriegerschar war so Totila gewonnen, die fortan treu bei ihm aushielt.
Unter einem Regen von Blumen hielt er seinen Einzug durch die Porta nolana. Noch bevor Aratius, der Befehlshaber der Flotte im Hafen, die Anker seiner Kriegsschiffe lichten konnte, war deren Bemannung von den zahlreichen Matrosen der vielen neben ihnen liegenden Handelsschiffe der Kaufleute – alter Bewunderer und dankbarer Schützlinge Totilas – überwältigt und die Führer gefangen.
Ohne Blutvergießen hatte sich der Gotenkönig eine Flotte und die dritte Stadt des Reiches gewonnen.
Aber von dem Festmahl, das ihm am Abend die jubelnde Stadt bereitete, stahl er leise sich hinweg. Mit Staunen sahen gotische Wachen in der Stille der Nacht ihren König, ohne Gefolge, im halb eingestürzten Turmgemäuer hart am capuanischen Tor neben einem uralten Olivenbaum verschwinden. –
Am andern Tag erschien ein Erlaß Totilas, der die Frauen und Mädchen der Juden von Neapolis für immer von dem bisher entrichteten Kopfgeld befreite und, während ihnen sonst untersagt war, öffentlich Schmuck zu zeigen, verstattete, als Ehrenzeichen auf dem Brustgewand ein goldnes Herz zu tragen.
In dem dicht verwachsenen Gärtchen aber, in welchem verwilderter Efeu und Rosen das hohe Steinkreuz und einen tief eingesunkenen Grabstein völlig überwachsen hatten, erhob sich in Bälde ein Gedenkstein von edelstem schwarzem Marmor mit der einfachen Aufschrift: «Miriam Valeria». –
Und niemand lebte in Neapolis, der das zu deuten wußte.
Sechstes Kapitel
Von allen Seiten strömten nun aus Campanien und Samnium, Bruttien und Lucanien, Apulien und Calabrien Abgesandte der Städte nach Neapolis, den Gotenkönig als Befreier in ihre Mauern zu laden. Auch das wichtige und starke Benevent ergab sich und die benachbarten Festen Asculum, Canusia und Acheruntia. Nach Tausenden zählten die Fälle, in welchen in diesen Landschaften die Colonen in die Ländereien ihrer gefallenen, entflohenen, nach Byzanz oder Rom gewanderten Herren eingewiesen wurden. Außer Rom und Ravenna waren von großen Plätzen jetzt nur noch Florentia unter Justinus, Spoletium unter Bonus und Herodianus, Perusia unter dem Hunnen Uldugant in den Händen der Byzantiner.
In wenigen Tagen hatte der seekundige König, durch viele Italier aus dem Süden der Halbinsel verstärkt, seine eroberte Flotte neu bemannt und führte sie, in vollem Schmuck der Segel und Flaggen, aus dem Hafen, indes die Reiterei seines Heeres auf dem Landweg (der Via appia) gegen Norden zog.
Rom war das Ziel der Schiffe und der Reiter: während Teja, nachdem er alles Land zwischen Ravenna und dem Tiber gewonnen – die festen Burgen Petra und Cäsena fielen ohne Schwertstreich – oder unterworfen und gesichert: die Ämilia und beide Tuscien (das annonarische und suburbikarische), auf der Via flaminia mit einem dritten Gotenheer gegen die Stadt des Cethegus heranzog.
Der Präfekt erkannte: nun ward es grimmiger Ernst. Und grimmig, gleich dem in seiner Höhle angegriffenen Drachen, wollte er sich wehren. Mit stolz zufriedenem Blick maß er die Schanzen und Wälle, sein ungeheures Werk: und zu den Waffenfreunden, welche die Annäherung der Goten beunruhigte, sprach er:
«Getrost! An diesen Mauern sollen sie zum zweitenmal zerschellen.»
Aber nicht so ruhig wie seine Reden und Mienen war im tiefsten Innern sein Geist. Nicht, daß er sein Tun jemals bereut, seinen Gedanken je als unausführbar erkannt hätte. Aber daß sein Werk, nach wiederholtem Scheitern der Vollendung so nahe geführt, nun nach Totilas Erhebung abermals so fern vom Ziele schien – diese Empfindung wirkte auf die eiserne Kraft auch des Cethegus. «Der Tropfen höhlt zuletzt den Fels!» antwortete er, als ihn Licinius einmal fragte, weshalb er so finster sehe. «Und dann – ich kann nicht mehr schlafen wie ehedem.»
«Seit wann?»
«Seit – Totila! Dieser blonde Königsknabe hat mir den Schlummer gestohlen.» So sicher und überlegen sich der Präfekt gegenüber all seinen Feinden und Gegnern gefühlt hatte – die leuchtende, offene Natur, die Siegfried-Natur dieses Jünglings und ihre spielend gewonnenen Erfolge reizten seinen Haß so schwer, daß ihm manchmal in heißer Leidenschaft die überlegene Eisesruhe schmolz – während Totila dem Allgefürchteten mit einer Siegeszuversicht entgegentrat, als könne es ihm gar nicht fehlen.
«Er hat Glück, dieser Milchbart!» knirschte Cethegus, als er die spielende Eroberung von Neapolis erfuhr. «Glück wie Achilleus