sprachen besonnene Männlichkeit und nüchterne Ruhe.
Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den Alten begrüßt hatte, rief der Fackelträger mit lebhafter Stimme:
«Nun, Meister Hildebrand, ein schönes Abenteuer muß es sein, zu dem du uns in solch unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Natur und Kunst geladen hast! Sprich – was soll’s geben?»
Statt der Antwort fragte der Alte, sich zu dem Letztgekommenen wendend: «Wo bleibt der Vierte, den ich lud?»
«Er wollte allein gehen. Er wies uns alle ab. Du kennst ja seine Weise.»
«Da kommt er!» rief der schöne Jüngling, nach einer andern Seite des Hügels deutend.
Wirklich nahte dorther ein Mann von höchst eigenartiger Erscheinung.
Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Antlitz, das fast blutleer schien; lange, glänzend schwarze Locken hingen von dem unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis auf die Schultern. Hochgeschweifte, schwarze Brauen und lange Wimpern beschatteten die großen, melancholischen dunklen Augen voll verhaltner Glut, eine Adlernase senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen den feinen, glattgeschorenen Mund, den ein Zug resignierten Grames umfurchte.
Gestalt und Haltung waren so jugendlich: aber die Seele schien vor der Zeit vom Schmerz gereift.
Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz, und in seiner Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem, lanzengleichen Schaft. Nur mit dem Haupte nickend, begrüßte er die andern und stellte sich hinter den Alten, der sie nun alle vier dicht an die Säule, welche die Fackel trug, treten hieß und mit gedämpfter Stimme begann:
«Ich habe euch hierher beschieden, weil ernste Worte müssen gesprochen werden, unbelauscht und zu treuen Männern, die da helfen mögen.
Ich sah umher im ganzen Volk, mondenlang: – euch hab’ ich gewählt, ihr seid die Rechten. Wenn ihr mich angehört habt, so fühlt ihr von selbst, daß ihr schweigen müßt von dieser Nacht.»
Der dritte, der mit dem Stahlhelm, sah den Alten mit ernsten Augen an: «Rede», sagte er ruhig, «wir hören und schweigen. Wovon willst du zu uns sprechen?»
«Von unserm Volk, von diesem Reich der Goten, das hart am Abgrund steht.»
«Am Abgrund?» rief lebhaft der blonde Jüngling. Sein riesiger Bruder lächelte und erhob aufhorchend das Haupt.
«Ja, am Abgrund», rief der Alte, «und ihr allein, ihr könnt es halten und retten.»
«Verzeih dir der Himmel deine Worte!» – fiel der Blonde lebhaft ein – «haben wir nicht unsern König Theoderich, den seine Feinde selbst den Großen nennen, den herrlichsten Helden, den weisesten Fürsten der Welt? Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all seinen Schätzen? Was gleicht auf Erden dem Reich der Goten?»
Der Alte fuhr fort: «Hört mich an. König Theoderich, mein teurer Herr und mein lieber Sohn, was der wert ist, wie groß er ist – das weiß am besten Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab’ ihn vor mehr als fünfzig Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knäblein gebracht und gesagt: ‹Das ist starke Zucht: Du wirst Freude dran haben.›
Und wie er heranwuchs – ich habe ihm den ersten Bolz geschnitzt und ihm die erste Wunde gewaschen! Ich habe ihn begleitet nach der goldnen Stadt Byzanz und ihn dort gehütet, Leib und Seele. Und als er dieses schöne Land erkämpfte, bin ich vor ihm hergeritten, Fuß für Fuß, und habe den Schild über ihn gehalten in dreißig Schlachten. Wohl hat er seither gelehrtere Räte und Freunde gefunden als seinen alten Waffenmeister, aber klügere schwerlich und treuere gewiß nicht. Wie stark sein Arm gewesen, wie scharf sein Auge, wie klar sein Kopf, wie schrecklich er war unterm Helm, wie freundlich beim Becher, wie überlegen selbst den Griechlein an Klugheit, das hatte ich hundertmal erfahren, lange ehe dich, du junger Nestfalk, die Sonne beschienen.
Aber der alte Adler ist flügellahm geworden!
Seine Kriegsjahre lasten auf ihm – denn er und ihr und euer Geschlecht, ihr könnt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meine Spielgenossen: er liegt krank, rätselhaft krank an Seele und Leib in seinem goldnen Saal dort unten in der Rabenstadt. Die Ärzte sagen, wie stark sein Arm noch sei, jeder Schlag des Herzens mag ihn töten wie der Blitz, und auf jeder sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zu den Toten. Und wer ist dann sein Erbe, wer stützt dann dieses Reich? Amalaswintha, seine Tochter, und Athalarich, sein Enkel: – ein Weib und ein Kind.»
«Die Fürstin ist weise», sprach der dritte mit dem Helm und dem Schwert.
«Ja, sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet römisch mit dem frommen Cassiodor. Ich zweifle, ob sie gotisch denkt. Weh uns, wenn sie im Sturm das Steuer halten soll.»
«Ich sehe aber nirgends Sturm, Alter», lachte der Fackelträger und schüttelte die Locken. «Woher soll er blasen? Der Kaiser ist wieder versöhnt, der Bischof von Rom ist vom König selbst eingesetzt, die Frankenfürsten sind seine Neffen, die Italier haben es unter unsrem Schild besser als je zuvor. Ich sehe keine Gefahr, nirgends.»
«Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis», sprach beistimmend der mit dem Schwert, «ich kenne ihn.»
«Aber sein Neffe, bald sein Nachfolger, und jetzt schon sein rechter Arm kennst du auch den? Unergründlich wie die Nacht und falsch wie das Meer ist Justinian: ich kenne ihn und fürchte, was er sinnt. Ich begleitete die letzte Gesandtschaft nach Byzanz: er kam zu unsrem Gelag: er hielt mich für berauscht, der Narr, weiß nicht, was Hildungs Kind zu trinken vermag, und fragte mich genau um alles, was man wissen muß, um – uns zu verderben. Nun, von mir hat er den rechten Bescheid gekriegt! Aber ich weiß es so gewiß wie meinen Namen: dieser Mann will dies Land, dies Italien wieder haben, und nicht die Fußspur eines Goten wird er darin übriglassen.»
«Wenn er kann», brummte des Blonden Bruder dazwischen.
«Recht, Freund Hildebad, wenn er kann. Und er kann viel. Byzanz kann viel.»
Jener zuckte die Achseln.
«Weißt du’s, wieviel?» fragte der Alte zornig. «Zwölf Jahre lang hat unser großer König mit Byzanz gerungen und hat nicht obgesiegt. Aber damals warst du noch nicht geboren», fügte er ruhig hinzu.
«Wohl!» kam jenem der Bruder zu Hilfe. «Aber damals standen die Goten allein im fremden Land. Jetzt haben wie eine ganze zweite Hälfte gewonnen, wir haben eine Heimat, Italien, wir haben Waffenbrüder, die Italier.»
«Italien unsre Heimat!» rief der Alte bitter, «ja, das ist der Wahn. Und die Welschen unsre Helfer gegen Byzanz! Du junger Tor!»
«Das sind unsres Königs eigne Worte», entgegnete der Gescholtene.
«Ja, ja, ich kenne sie wohl, die Wahnreden, die uns alle verderben werden. Fremd sind wir hier, fremd, heute wie vor vierzig Jahren, da wir von diesen Bergen niederstiegen, und fremd werden wir sein in diesem Lande noch nach tausend Jahren. Wir sind hier ewig die Barbaren!»
«Jawohl, aber warum bleiben wir Barbaren? Wessen Schuld ist das als die unsre? Weshalb lernen wir nicht von ihnen?»
«Schweig still», schrie der Alte, zuckend vor Grimm, «schweig, Totila, mit solchen Gedanken: sie sind der Fluch meines Hauses geworden.» Sich mühsam beruhigend fuhr er fort: «Unsere Todfeinde sind die Welschen, nicht unsre Brüder. Weh, wenn wir ihnen trauen! Oh, daß der König nach meinem Rat getan und nach seinem Sieg alles erschlagen hätte, das Schwert und Schild führen konnte vom lallenden Knäblein bis zum lallenden Greis! Sie werden uns ewig hassen. Und sie haben recht. Wir aber, wir sind die Toren, sie zu bewundern.»
Eine Pause trat ein: ernst geworden fragte der Jüngling: «Und du hältst keine Freundschaft für möglich zwischen uns und ihnen?»
«Kein Friede zwischen den Söhnen des Gaut und dem Südvolk! Ein Mann tritt in die Goldhöhle des Drachen: er drückt das Haupt des Drachen nieder mit eherner Faust: der bittet um sein Leben: der Mann erbarmt sich seiner schillernden Schuppen und weidet sein Auge an den Schätzen der Höhle. Was wird der Giftwurm tun? Hinterrücks, sobald er kann, wird