Jeremias Gotthelf

Die Frau Pfarrerin und andere Heimatgeschichten


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war das Haus leer.

      In Angst und Zorn liefen die Franzosen der Stadt zu, noch viel hastiger als früher die Bürger und Bürgerinnen; sicherlich geschwinder noch als die Juden aus dem Diensthause Ägyptens, wo sicher noch jeder ein gut Geschäfte wird haben machen wollen, ehe er das Land verließ. Als der Wirt den Auszug sah, sagte er zu den andern: »Jetzt macht, daß ihr nachkommt, und seht zu, was geht; die sind imstande, uns eine verfluchte Suppe auf das Feuer zu stellen!« Richtig, so war es auch. Die Franzosen kochten Rache, und wie auf Universitäten die Studenten, wenn sie Not leiden, rufen: »Bursche raus!« so schrieen die Franzosen, als ob sie am Spieße stäken täten, nach einem Trommelschläger. Sobald sie einen kriegten, mußte der den Generalmarsch schlagen. David und Karludi, welche auf dem Fuße gefolgt waren, riefen dazwischen: »Fürio!« schickten nach dem Sigrist, daß er Sturm läute mit allen Glocken. Unglücklicher- oder vielleicht auch glücklicherweise stak der irgendwo in einem Wirtshause, der Schlüssel zum Turme stak in seiner Tasche, die Glocken blieben still.

      Indessen liefen auf das Geschrei hin doch eine Menge Bürger zusammen, bunt wimmelte es auf den Gassen: Franzosen und Bürger durcheinander wie Kraut und Rüben; wild brüllte es in allen Tönen und vielen Sprachen, in Fragen und Antworten. Alle wollten wissen, was es gegeben, niemand wußte es recht; daher desto schrecklichere Gesichter. Draußen im Sommerhaus sollte eine ganze Kompanie Franzosen erschlagen worden sein, am Leuen gar eine ganze Brigade tot liegen, die Stadt sollte an allen vier Ecken angezündet werden und niedergebrannt mit Mann und Maus; schon seien in der untern Stadt die Leute in die Häuser gejagt, die Türen verschlossen, und der Mordbrand habe begonnen. Und wie die Gerüchte schwollen, schwoll der Zorn in den Gemütern, die Augen funkelten sich an wie Katzenaugen, ehe der Streit beginnt. Französische Beine und Bernerbeine wollten sich nicht mehr aus dem Wege gehen, man rannte zusammen, und mancher leichte Franzose ward von den schwerern Bürgern überrannt. Begreiflich schrie, wer fiel, galt für tot, wenigstens für halb. Die Gerüchte wuchsen, des Zornes Flammen schlugen hellauf zum Dache hinaus, Säbel blitzten, Messer wurden gezuckt, wer einen Franzosen umgerannt hatte, ließ ihn nicht liegen, sondern kniete auf ihn, hielt ihn fest, ja, es fehlte nicht viel, daß einem mit einem Hakenmesser wirklich die Kehle abgeschnitten worden wäre. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn nicht der französische Platzkommandant ein verständiger Mann gewesen wäre und, vereint mit besonnenen, angesehenen Bürgern, in den Tumult sich geworfen hätte. Gemeinsamen Anstrengungen gelang es endlich, die Menschen auseinanderzubringen, aber mit großer Not. Flachssamen aus einer Harzpfanne lesen, wäre fast ein leichter Stück Arbeit gewesen; fast unmöglich war es, die Bürger in ihre Häuser, die Franzosen in ihre Quartiere zu bringen, sie beidseitig zu überzeugen, daß weder tote Brüder zu rächen noch Gefahr für die Stadt vorhanden sei. Namentlich waren die jüngern Bürger fast nicht zu besänftigen. Stafetten seien bei beginnendem Tumulte nach Bern gesandt worden, wahrscheinlich Verstärkung zu fordern; komme diese, so könne man sich denken, wie es gehe; am kürzesten sei, die, welche hier seien, totzuschlagen, dann Sturm zu läuten, vereint mit den Bauern der Umgegend werde man dann auch mit denen, welche nachkommen, leicht fertig – so sprach das junge Burgdorf. Diese Meinung gewann jedoch nicht die Oberhand.

      Die Nacht ging ruhig vorüber, und am Morgen kam ein großer Schlotter über die Stadt; es kamen Nachrichten von Bern her von greulichem Zorne und einer schrecklichen Heeresmacht, welche gegen Burgdorf heranziehe und keinen Stein auf dem andern lassen, das Kind im Mutterleibe nicht verschonen werde. Da gab es großes Geschrei und Gejammer in Burgdorf, es war, wie der Prophet sagt: »Zu Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Klagens, Weinens und Heulens. Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, dieweil sie nicht mehr sind.« Nun lebten in Burgdorf die Kinder zwar noch alle, indessen konnten sie doch alle verloren gehen, und bekanntlich halten die Weiber dafür, es sei besser, zu viel zu weinen als zu wenig, besser, zu früh zu jammern als zu spät. Auch ist es anständig, daß, wenn Weiber heulen und weinen, es den Vätern der Stadt angst und bange wird; das junge Gesindel nur dieser Tage kümmert sich um Weiber und Weinen nichts. Der Venner der Stadt versammelte den Rat; damals war die Republik Bern kein Schreiberstaat, sondern ein Kriegerstaat, daher Kriegstitel wie Venner die höchsten. Der damalige Venner war ein großer Mann mit einer stark gebogenen Nase; er hatte aber auch ein großes Herz, das heißt, aller Weiber Weh in der ganzen Stadt hatte Platz darin und offenen Eintritt, zog daher auch beständig aus und ein, und wenn beim untern Tor ein Weib von einer Floh gebissen ward, so wußte es alsbald der Venner, auch wenn er vor dem obern Tor spazieren ging.

      Der Weibel flog von Ratsherr zu Ratsherr; eiligst stäubten die Frauen Ratsherrinnen den Männern die Perücken aus und puderten sie frisch oder banden ihnen die Zöpfe ein und die Halsbinden um, alles unter Heulen und Zähnklappern begreiflich. Wie das segelte und wie das schiffte dem Stadthause zu! Noch nie war eine Ratssitzung so pünktlich und vollzählig eröffnet worden. »Ach!« sagte der Venner, als er auf seinem Stuhle saß, und fast hätte er zu beten angefangen, und wäre er ein Römer gewesen, so hätte er sein Haupt verhüllet, und wäre er ein Jude gewesen, so hätte er die Kleider zerrissen und Asche, tannene natürlich, von wegen sie ist wohlfeiler, auf die Perücke gestreut. Da er aber ein Burgdorfer war, so sagte er nur noch einmal: »Ach! – Ach, meine hochgeachteten, hochgeehrten Herren und Mitburger! Was ist uns begegnet, und daß ich das erleben muß! Und jetzt, was machen?« Da war eine große Stille in der Ratsstube, guter Rat war eben wieder teuer. »Hochgeachteter Herr Venner, hochgeehrte Herren und Mitburger! Meine Meinung wäre, man würde sichere Berichte einziehen, was eigentlich vorgegangen, und wie es sich zugetragen, darauf kann man dann fußen. Ein junges Ratsglied, des hochgeachteten Herrn Venners Bruderssohn, soll von Anfang an dabeigewesen sein; der könnte vielleicht die beste Auskunft geben«, so sprach man. »Ach Gott, ja«, sagte der Venner, »leider war der Säubub dabei, wie immer, wenn eine Geschichte passiert irgendwo. Wenn es meinen hochgeehrten Herren Kollegen und Mitburgern recht ist, will ich ihn holen lassen; das ist gleich ein Anlaß, wo man ihm die Meinung sagen kann und ihm zu verstehen geben, was rechte Leute von solchen Streichen halten. Weibel, holt ihn, und daß er auf der Stelle komme; der Säubube soll einmal erfahren, wer Meister ist, und wer zu befehlen hat!«

      Dieser Neffe war eben der David, welcher im Sommerhaus gewesen und bei der obern Türe zum Vortrag des Wirtes den Franzosen den Nachtrag auf den Rücken gegeben hatte. Derselbe ließ nicht auf sich warten, unerwartet rasch trat er ein, ehe noch der Onkel seine Gedanken recht gesammelt hatte zu der Galgenpredigt, welche der löbliche Rat erkannt hatte. Der Neffe war unten im Rathause in der Pinte gesessen, denn, wie oben im menschlichen Körper die Seele ist, unter ihr Magen und Bauch, so ists in vielen Ratshäusern auch: oben der Sitz der Weisheit, unten ein anderer Sitz, wo das Fleisch gepflegt wird und der Lust gehuldigt. Es hatte ihn wundergenommen, was gehe, darum war er hergekommen; um so willkommner war ihm daher jetzt der Ruf in den Ratssaal selbst. Er nahm sich nicht einmal Zeit, sein Glas auszutrinken, was viel sagen will, und folgte dem Weibel.

      »O Neveu, bist schon da? O David, du unglücklicher Mensch, weißt du, was du angestellt hast? Wenn das dein Vater wüßte, mein Bruder selig, er kehrte sich unter dem Boden um! Ja, Neveu, in welches Unglück hast du uns gebracht, Kind und Kindeskinder werden es entgelten müssen und Rache schreien über dich, o David, du unglückseliger Mensch! In eine solche Lage kam vor mir noch nie ein Venner und zwar durch den eigenen Bruderssohn. Da sind wir jetzt, und jetzt, was machen? Hinein habt ihr uns gebracht, und wie jetzt hinaus? Rede, rate, o David, du unglückseliger Mensch!« David war vor dem Throne stehen geblieben kaltblütig; Schauer vor der Majestät merkte man keine an ihm, er hatte wahrscheinlich den Onkel zu oft schon ohne Perücke gesehen. »Wißt Ihr was, Onkel«, sagte er gewichtig nach reifem Bedenken, »schießed i dHose!« Darauf sah er ringsum, drehte sich um, ging kaltblütig ab.

      Man kann sich die Gesichter der Ratsherren denken, kann sich denken ihre Klagen über die gottlose Jugend und das Vaterland, welches eine solche Jugend hätte, in solche Hände kommen werde. Indessen ermannte man sich; zeigen wollte man, und erfahren sollte die Nachwelt, wer die Stadt in den Kot gebracht und wer wieder heraus; rätig wurde man, eine Deputation an den Platzkommandanten oder, wenn es sein müsse, nach Bern zu senden, welche die Vorgänge mißbilligen, Ergebenheit versichern, um Gnade bitten solle.

      Der Platzkommandant war, wie gesagt, ein verständiger, wohlwollender Mann, der solche Gelegenheiten nicht zum Schlimmsten benutzte, jedoch auch die praktische Seite nicht unbenutzt ließ. Die besten