Sigmund Freud

Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe


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meiden wie sie die seinige. Wenn sie einander zufällig auf einem Pfade begegnen, so tritt das Weib zur Seite und wendet ihm den Rücken, bis er vorüber ist, oder er tut das nämliche«. »In Vanua Lava (Port Patteson) wird ein Mann nicht einmal hinter seiner Schwiegermutter am Strande einhergehen, ehe die steigende Flut nicht die Spur ihrer Fußtritte im Sande weggeschwemmt hat. Doch dürfen sie aus einer gewissen Entfernung miteinander sprechen. Es ist ganz ausgeschlossen, daß er je den Namen 306 seiner Schwiegermutter ausspricht oder sie den ihres Schwiegersohnes.«

      Auf den Salomons-Inseln darf der Mann von seiner Heirat an seine Schwiegermutter weder sehen noch mit ihr sprechen. Wenn er ihr begegnet, tut er nicht, als ob er sie kennen würde, sondern läuft, so schnell er kann, davon, um sich zu verstecken.

      Bei den Zulukaffern »verlangt die Sitte, daß ein Mann sich seiner Schwiegermutter schäme, daß er alles tue, um ihrer Gesellschaft auszuweichen. Er tritt nicht in die Hütte ein, in der sie sich befindet, und wenn sie einander begegnen, geht er oder sie beiseite, etwa indem sie sich hinter einem Busch versteckt, während er seinen Schild vors Gesicht hält. Wenn sie einander nicht ausweichen können und das Weib nichts anderes hat, um sich zu verhüllen, so bindet sie wenigstens ein Grasbüschel um ihren Kopf, damit dem Zeremoniell Genüge getan sei. Der Verkehr zwischen ihnen muß entweder durch eine dritte Person besorgt werden, oder sie dürfen aus einiger Entfernung einander zuschreien, wenn sie irgendeine Schranke, z. B. die Einfassung des Kraals, zwischen sich haben. Keiner von ihnen darf den Namen des andern in den Mund nehmen.« (Frazer, 1910, Bd. 2, 385.)

      Bei den Basoga, einem Negerstamme im Quellengebiete des Nils, darf ein Mann zu seiner Schwiegermutter nur sprechen, wenn sie in einem anderen Raume des Hauses ist und von ihm nicht gesehen wird. Dieses Volk verabscheut übrigens den Inzest so sehr, daß es ihn selbst bei Haustieren nicht straflos läßt. (Frazer, 1910, Bd. 2, 461.)

      Während Absicht und Bedeutung der anderen Vermeidungen zwischen nahen Verwandten einem Zweifel nicht unterliegen, so daß sie von allen Beobachtern als Schutzmaßregeln gegen den Inzest aufgefaßt werden, haben die Verbote, welche den Verkehr mit der Schwiegermutter betreffen, von manchen Seiten eine andere Deutung erfahren. Es erschien mit Recht unverständlich, daß alle diese Völker so große Angst vor der Versuchung zeigen sollten, die dem Manne in der Gestalt einer älteren Frau entgegentritt, welche seine Mutter sein könnte, ohne es wirklich zu sein. (Vgl. Crawley, 1902, 405.)

      Diese Einwendung wurde auch gegen die Auffassung von Fison erhoben, der darauf aufmerksam machte, daß gewisse Heiratsklassensysteme darin eine Lücke zeigen, daß sie die Ehe zwischen einem Manne 307 und seiner Schwiegermutter nicht theoretisch unmöglich machen; es hätte darum einer besonderen Sicherung gegen diese Möglichkeit bedurft.

      Sir J. Lubbock führt in seinem Werke Origin of Civilisation das Benehmen der Schwiegermutter gegen den Schwiegersohn auf die einstige Raubehe (marriage by capture) zurück. »Solange der Frauenraub wirklich bestand, wird auch die Entrüstung der Eltern ernsthaft genug gewesen sein. Als von dieser Form der Ehe nurmehr Symbole übrig waren, wurde auch die Entrüstung der Eltern symbolisiert, und diese Sitte hielt noch an, nachdem ihre Herkunft vergessen war.« Es wird Crawley leicht zu zeigen, wie wenig dieser Erklärungsversuch die Einzelheiten der tatsächlichen Beobachtung deckt.

      E. B. Tylor meint, die Behandlung des Schwiegersohnes von seiten der Schwiegermutter sei nichts anderes als eine Form der »Nichtanerkennung« (cutting) von seiten der Familie der Frau. Der Mann gilt als Fremder, und dies so lange, bis das erste Kind geboren wird. Allein abgesehen von den Fällen, in denen letztere Bedingung das Verbot nicht aufhebt, unterliegt diese Erklärung dem Einwand, daß sie die Orientierung der Sitte auf das Verhältnis zwischen Schwiegersohn und Schwiegermutter nicht aufhellt, also den geschlechtlichen Faktor übersieht, und daß sie dem Moment des geradezu heiligen Abscheus nicht Rechnung trägt, welcher in den Vermeidungsgeboten zum Ausdruck kommt. (Crawley, 1902, 407.)

      Eine Zulufrau, die nach der Begründung des Verbotes gefragt wurde, gab die von Zartgefühl getragene Antwort: »Es ist nicht recht, daß er die Brüste sehen soll, die seine Frau gesäugt haben.«

      Es ist bekannt, daß das Verhältnis zwischen Schwiegersohn und Schwiegermutter auch bei den zivilisierten Völkern zu den heikeln Seiten der Familienorganisation gehört. Es bestehen in der Gesellschaft der weißen Völker Europas und Amerikas zwar keine Vermeidungsgebote mehr für die beiden, aber es würde oft viel Streit und Unlust vermieden, wenn solche noch als Sitte bestünden und nicht von den einzelnen Individuen wieder aufgerichtet werden müßten. Manchen Europäern mag es als ein Akt hoher Weisheit erscheinen, daß die wilden Völker durch ihre Vermeidungsgebote die Herstellung eines Einvernehmens zwischen den beiden so nahe verwandt gewordenen Personen von vornherein ausgeschlossen haben. Es ist kaum zweifelhaft, daß in der psychologischen Situation von Schwiegermutter und Schwiegersohn etwas 308 enthalten ist, was die Feindseligkeit zwischen ihnen befördert und ihr Zusammenleben erschwert. Daß der Witz der zivilisierten Völker gerade das Schwiegermutterthema so gern zum Objekt nimmt, scheint mir darauf hinzudeuten, daß die Gefühlsrelationen zwischen den beiden außerdem Komponenten führen, die in scharfem Gegensatz zueinander stehen. Ich meine, daß dies Verhältnis eigentlich ein »ambivalentes«, aus widerstreitenden, zärtlichen und feindseligen Regungen zusammengesetztes ist.

      Ein gewisser Anteil dieser Regungen liegt klar zutage: Von Seiten der Schwiegermutter die Abneigung, auf den Besitz der Tochter zu verzichten, das Mißtrauen gegen den Fremden, dem sie überantwortet ist, die Tendenz, eine herrschende Position zu behaupten, in die sie sich im eigenen Hause eingelebt hatte. Von Seiten des Mannes die Entschlossenheit, sich keinem fremden Willen mehr unterzuordnen, die Eifersucht gegen alle Personen, die vor ihm die Zärtlichkeit seines Weibes besaßen, und – last not least – die Abneigung dagegen, sich in der Illusion der Sexualüberschätzung stören zu lassen. Eine solche Störung geht wohl zumeist von der Person der Schwiegermutter aus, die ihn durch so viele gemeinsame Züge an die Tochter mahnt und doch all der Reize der Jugend, Schönheit und psychischen Frische entbehrt, welche ihm seine Frau wertvoll machen.

      Die Kenntnis versteckter Seelenregungen, welche die psychoanalytische Untersuchung einzelner Menschen verleiht, gestattet uns, zu diesen Motiven noch andere hinzuzufügen. Wo die psychosexuellen Bedürfnisse der Frau in der Ehe und im Familienleben befriedigt werden sollen, da droht ihr immer die Gefahr der Unbefriedigung durch den frühzeitigen Ablauf der ehelichen Beziehung und die Ereignislosigkeit in ihrem Gefühlsleben. Die alternde Mutter schützt sich davor durch Einfühlung in ihre Kinder, Identifizierung mit ihnen, indem sie deren gefühlsbetonte Erlebnisse zu den eigenen macht. Man sagt, die Eltern bleiben jung mit ihren Kindern; es ist dies in der Tat einer der wertvollsten seelischen Gewinste, den Eltern aus ihren Kindern ziehen. Im Falle der Kinderlosigkeit entfällt so eine der besten Möglichkeiten, die für die eigene Ehe erforderliche Resignation zu ertragen. Diese Einfühlung in die Tochter geht bei der Mutter leicht so weit, daß sie sich in den von ihr geliebten Mann – mitverliebt, was in grellen Fällen infolge des heftigen seelischen Sträubens gegen diese Gefühlsanlage zu schweren Formen neurotischer Erkrankung führt. Eine Tendenz zu solcher Verliebtheit ist bei der Schwiegermutter jedenfalls sehr häufig, und entweder diese selbst oder die ihr entgegenarbeitende Strebung schließen sich dem Gewühle 309 der miteinander ringenden Kräfte in der Seele der Schwiegermutter an. Recht häufig wird gerade die unzärtliche, sadistische Komponente der Liebeserregung dem Schwiegersohne zugewendet, um die verpönte, zärtliche um so sicherer zu unterdrücken.

      Für den Mann kompliziert sich das Verhältnis zur Schwiegermutter durch ähnliche Regungen, die aber aus anderen Quellen stammen. Der Weg der Objektwahl hat ihn regulärerweise über das Bild seiner Mutter, vielleicht noch seiner Schwester, zu seinem Liebesobjekt geführt; infolge der Inzestschranke glitt seine Vorliebe von beiden teuren Personen seiner Kindheit ab, um bei einem fremden Objekt nach deren Ebenbild zu landen. An Stelle der eigenen Mutter und Mutter seiner Schwester sieht er nun die Schwiegermutter treten; es entwickelt sich eine Tendenz, in die vorzeitliche Wahl zurückzusinken, aber dieser widerstrebt alles in ihm. Seine Inzestscheu fordert, daß er an die Genealogie seiner Liebeswahl nicht erinnert werde; die Aktualität der Schwiegermutter, die er nicht wie die Mutter von jeher gekannt hat, so daß ihr Bild im Unbewußten unverändert bewahrt werden konnte, macht ihm die Ablehnung leicht. Ein besonderer Zusatz von Reizbarkeit und Gehässigkeit zur Gefühlsmischung läßt uns vermuten,