Probleme wie Angst oder Aggression lösen lassen und warum Hunde manchmal die Wünsche ihrer Menschen ignorieren, wieso sich Hunde in stinkenden Dingen wälzen und mitunter nichts dagegen haben, wenn ihnen ein Artgenosse aufreitet. Die Menschen wollen ihre Hunde verstehen lernen.
Wahrscheinlich habe ich jede Frage, die sich zum Thema Hund stellen lässt, schon einmal gehört: Wie können wir die Lebensqualität eines Hundes messen? Woran sieht man, dass ein Hund Schmerzen hat? Sollen wir unserem Vierbeiner ohne besonderen Grund versichern, dass er „brav” ist? Warum markieren, bellen, haaren und knurren Hunde? Was bedeutet die Vorderkörpertiefstellung; warum vergraben sie Dinge, nur um sie gleich darauf wieder auszubuddeln? Wieso versuchen sie, Knochen im Teppich zu vergraben, und tun dann so, als wären diese unsichtbar? Leiden Hunde unter Kopfschmerzen? Haben sie ein Gewissen? Trauern Hunde? Erkranken sie an posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD) und anderen psychologischen Leiden? Haben manche Hunde einen Napoleonkomplex? Warum fressen Hunde Gras, und warum drehen sie sich im Kreis, bevor sie sich hinlegen? Wie spüren sie menschliche Krankheiten auf? Wie funktioniert ihre Nase? Wie intelligent sind Hunde? Sind wir für sie nichts weiter als ein Dosenöffner? Verstehen Hunde unsere Sprache? Mögen sie Musik?2 Sehen sie gern fern?3
Im Laufe der Jahre fiel mir auf, dass ich zu einem gern gesehenen Vertrauten der Hundeparkbesucher geworden war. Immer wieder sucht jemand das Gespräch und beginnt: „Bitte erzählen Sie das nicht weiter, aber …” Sie vertrauen sich mir an, erzählen mir persönliche Geschichten über ihre Hunde, andere Hunde oder andere Menschen. Ich möchte mich nicht am Tratsch beteiligen und bemühe mich, einfach nur zuzuhören. Jedes Mal, wenn ich denke, mittlerweile alles gehört zu haben, erzählt mir jemand etwas ganz Neues und Anderes. Die Hundewiese ist immer wieder für Überraschungen gut.
Ich habe das Gefühl, dass sich mir auch die Hunde anvertrauen und bemühe mich sehr, die Welt aus deren Blickwinkel zu sehen, wenn ich ein Auslaufgebiet besuche – schließlich heißt es aus gutem Grund Hunde- und nicht Menschenwiese. Manchmal kommt ein Hund auf mich zu, als wolle er mich bitten: „Kannst du meinem Menschen sagen, dass ich mich einfach in stinkenden Dingen wälzen und alles anpinkeln muss? Und dass wildes Spielen ganz normal ist? Und erinnere ihn bitte auch daran, dass ich auf mich selbst aufpassen kann.”
Viele Menschen haben großes Interesse am Verhalten des Hundes, und oft wird die Hundewiese zum Klassenzimmer: Ich empfehle den Haltern Artikel und Bücher und streue Wissenswertes und Hilfreiches aus Verhaltensforschung, Evolutionsbiologie und Naturschutz in unsere Gespräche ein. Ein junger Mann meinte scherzhaft (wenigstens glaube ich das), dass er auf der Hundewiese mehr gelernt habe als im Biologieunterricht. Hin und wieder stehen wir in einer Gruppe von fünf oder zehn Menschen zusammen und diskutieren stundenlang aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln über Hunde, Kojoten und Wölfe.
Aufgrund all dieser Begegnungen kam ich zu dem Schluss, dass Bedarf nach einem einfach verständlichen und leicht zugänglichen Hundebuch besteht: ein Buch, welches das Verhalten der Hunde, ihr kognitives, emotionales und moralisches Leben, ihre Interaktionen mit Artgenossen und Menschen erklärt und darauf eingeht, wie wir uns am besten um die Hunde kümmern können, die Teil unseres Lebens und unserer Gesellschaft sind. Diesem Zweck ist das vorliegende Werk gewidmet. Ich versuche darin, die oben gestellten Fragen zu beantworten – allerdings kennen wir die Antwort in manchen Fällen nicht. Ich wünsche mir, dass dieses Buch dem Leser helfen möge, nachhaltige, positive und einfühlsame Beziehungen zwischen Hunden und ihren Artgenossen sowie zwischen Hunden und Menschen aufzubauen. Ein friedliches Zusammenleben ist ein Segen für alle, und wir müssen uns dafür einsetzen, dass unsere Hunde ein Leben in Frieden und Sicherheit genießen können.
Seit über vier Jahrzehnten erforsche ich Hunde und ihre wild lebenden Verwandten, aber im Grunde habe ich bereits im Alter von drei Jahren damit begonnen, dieses Buch zu schreiben. Als Kind und Jugendlicher meinten meine Eltern immer wieder, dass ich mit Tieren besser umgehen könne als mit Menschen. Ich fragte ständig, was andere Tiere dachten und fühlten und sprach mit dem Goldfisch in seinem kleinen Aquarium. Ich wollte wissen, was in seinem winzigen Kopf vor sich ging und wie es sich anfühlte, endlose Kreise in einem nassen Käfig zu schwimmen. Meine Eltern sagten, dass ich mich um die Tiere kümmerte – immer wollte ich dafür sorgen, dass es ihnen gut ging, und niemals zweifelte ich an ihrer Intelligenz und ihren Emotionen. Ich wusste ganz einfach, dass sie diese hatten und dass ich ihre Gefühle nachempfinden konnte.4
Seit damals habe ich Hunde in den unterschiedlichsten Lebensbedingungen und Lebensräumen erforscht – darunter auch auf Hundewiesen – und viel über das Verhalten dieser faszinierenden Tiere gelernt. Ich studierte Tiere, die mir vertraut waren, weil sie mit mir zusammenlebten, und solche, die ich nicht kannte; darunter wildlebende Hunde unter fast allen möglichen Bedingungen. Ich erforschte auch Kojoten, Wölfe und andere Mitglieder der Gattung Canis und diskutiere liebend gern Parallelen und Unterschiede der verschiedenen Arten. Dabei ist wichtig, dass Hunde weder Wölfe noch Kojoten oder Dingos sind. Hunde sind Hunde, und es gilt, sie dafür das schätzen, wer sie sind, und nicht für das, wovon wir wünschten, dass sie es wären.
Natürlich haben die Vierbeiner auf der Hundewiese nicht die Freiheit, einfach nur sie selbst zu sein – auch dann nicht, wenn die Leine gelöst wird. Die Menschen, die sie hierher gebracht haben, haben immer ein Auge auf sie; sie kommentieren, dirigieren, korrigieren und versuchen, ihre Gefährten zu kontrollieren. Im Auslaufgebiet lernt man ebenso viel über die Beziehungen zwischen Hunden und Menschen und Menschen untereinander wie über die Spezies Hund. Wenn ich den Menschen dabei zusehe, wie sie mit ihren Hunden spazieren gehen und für diese sorgen – manchmal zerren sie diese an der Leine hinter sich her und drängen sie, ihr Geschäft zu verrichten, nachdem sie den ganzen Tag im Haus eingesperrt waren –, dann habe ich manchmal das Gefühl, dass den Menschen nicht bewusst ist, mit wem sie ihr Leben teilen oder dass sie keine Ahnung davon haben, was ein Hund minimal möchte und braucht, um ein gutes Leben zu haben. Aus diesem Grund ermuntere ich Menschen immer gern dazu, wie die Jungen mit den Eichhörnchen in die Rolle eines Ethologen zu schlüpfen und Tiere zu beobachten, zu hinterfragen und von ihnen zu lernen.
Wie wir noch sehen werden, ist es ein Fehler, über „den Hund” zu sprechen, als wären alle Hunde gleich. Hunde sind genauso individuell wie Menschen. Um bestmöglich für Ihren Hund sorgen zu lernen, müssen Sie ihn beobachten und herausfinden, was er mag und was nicht und ihn als Individuum kennenlernen. Ein weiteres Ziel dieses Buches ist es, den Leser zu ermuntern, selbst zum „Citizen Scientist“, zu deutsch etwa Bürger- oder Zivilwissenschaftler, zu werden. Darum habe ich auch zahlreiche Geschichten von Hundehaltern mit aufgenommen, die das Verhalten Ihrer Vierbeiner im Alltag beschreiben. Mit anderen Worten: Dieses Buch verbindet Wissenschaft und Geschichten, die das Leben schreibt. Ich liebe beides und beide Zugänge können sich gegenseitig bereichern. Oft inspirieren Fragen, die wir uns im Alltag stellen, wichtige wissenschaftliche Studien: Wir möchten mehr darüber wissen, was uns im täglichen Leben bewegt. Im Zusammenleben mit unseren Gefährten kann die zivile Wissenschaft unser Wissen über die Spezies Hund erweitern und bereichert in jedem Fall das Leben des Hundehalters mit seinem Vierbeiner. So wissen wir zwar sehr viel über Hunde – aber der Leser wird feststellen, dass das, was wir oft für ein Credo im Verhaltens unserer Vierbeiner halten, nicht unbedingt empirisch belegt ist: Hunde drehen sich nicht immer im Kreis, bevor sie sich hinlegen. Auch fressen sie nicht notwendigerweise Gras, um erbrechen zu können. Weder dient Urinieren immer dem Markieren des Reviers noch Aufreiten der Fortpflanzung (auch Hündinnen zeigen dieses Verhalten). Dominanz gibt es sehr wohl, doch geht es in Zerrspielen nicht notwendigerweise um Dominanz oder Aggression. Es spricht nichts dagegen, einen Hund zu umarmen, sofern dieser damit einverstanden ist. Hunde schlafen nicht den ganzen Tag, sondern nur zwölf bis vierzehn Stunden. Wir wissen zwar, dass Hunde Freude und Trauer empfinden, aber nicht, ob sie auch Emotionen wie Scham oder Schuldgefühle erfahren.5 Es ist auch ein Gerücht, dass Hunde, die mit Futter trainiert werden, ihren Besitzer nicht lieben, sondern bloß ausnutzen.6
Ich finde es faszinierend, wie viel es über diese wunderbaren Lebewesen noch zu lernen gibt. Während sich viele der Fragen, denen ich mich in diesem Buch widme, mit den ihnen zugrunde liegenden Prinzipien der Evolution hündischen Verhaltens erklären lassen, so zeigen sie zugleich auch, wie stark dieses Verhalten variieren kann. Wir sind immer noch dabei, herauszufinden, warum Hunde