Georges Simenon

Maigret auf Reisen


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nach zehn.«

      »Dann rufen Sie an.«

      Wieder wurde umgestöpselt.

      »Du kannst ihn anrufen, Liebes. Ich hoffe, er schimpft nicht.«

      Stille in der Leitung. In der Zwischenzeit konnte die Telefonistin vom Scribe drei Gespräche vermitteln, darunter eins nach Amsterdam.

      »Hallo? Du denkst an meinen Colonel, Liebes?«

      »Ich lasse es schon die ganze Zeit klingeln. Er antwortet nicht.«

      Wenige Augenblicke später rief die Telefonistin vom Scribe erneut im George-V an.

      »Hör mal, Liebes. Ich habe Monsieur Arnold gesagt, dass der Colonel nicht antwortet. Er behauptet, dass das nicht sein kann, dass der Colonel seinen Anruf um zehn Uhr erwartet und dass es dringend ist.«

      »Ich probier’s noch mal.«

      Nach einem weiteren vergeblichen Versuch:

      »Warte kurz. Ich frage beim Concierge nach, ob er ausgegangen ist.«

      Stille.

      »Nein. Sein Schlüssel hängt nicht am Brett. Was soll ich machen?«

      Oben in seiner Suite wurde John T. Arnold allmählich ungeduldig.

      »Was ist, Mademoiselle? Haben Sie mein Gespräch vergessen?«

      »Nein, Monsieur Arnold. Der Colonel antwortet nicht. Der Concierge hat ihn nicht weggehen sehen und sein Schlüssel hängt nicht am Brett.«

      »Dann schicken Sie den Kellner, er soll mal klopfen.«

      Inzwischen war es nicht mehr Jules, sondern ein Italiener namens Gino, der den Dienst im dritten Stock verrichtete, wo Colonel Wards Suite lag, fünf Türen neben der Suite der Comtesse.

      Der Kellner rief den Concierge an:

      »Er antwortet nicht, und die Tür ist abgeschlossen.«

      Der Concierge wandte sich an seinen Assistenten:

      »Schau mal nach.«

      Nun klingelte der Assistent, klopfte und rief:

      »Colonel Ward?«

      Dann zog er einen Generalschlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür.

      In der Suite waren die Läden geschlossen, auf einem Tisch im Salon brannte eine Lampe. Im Schlafzimmer war ebenfalls Licht, das Bett für die Nacht aufgeschlagen, der Pyjama ausgebreitet.

      »Colonel Ward?«

      Auf einem Stuhl türmte sich ein dunkler Kleiderberg, Socken lagen verstreut auf dem Teppich, daneben zwei Schuhe, die Sohle des einen zeigte nach oben.

      »Colonel Ward!«

      Die Tür zum Badezimmer war angelehnt. Der Assistent des Concierge klopfte erst an, stieß dann die Tür auf und sagte nur:

      »Sch…«

      Fast hätte er vom Schlafzimmer aus telefoniert, aber er wollte keinen Augenblick länger dableiben, schloss die Tür und rannte, ohne an den Fahrstuhl zu denken, die Treppe hinunter.

      Drei Gäste umringten den Concierge, der gerade die Abflugzeiten der transatlantischen Linien studierte. Sein Assistent flüsterte ihm ins Ohr:

      »Er ist tot.«

      »Moment …«

      Erst einen Augenblick später verstand der Concierge, was das Gehörte bedeutete.

      »Was sagst du da?«

      »Tot. In der Badewanne.«

      Auf Englisch bat der Concierge die Gäste, ihn kurz zu entschuldigen. Er ging durch die Halle und beugte sich über den Empfangstresen.

      »Ist Monsieur Gilles in seinem Büro?«

      Jemand nickte. Also klopfte er an eine Tür links hinter dem Empfang.

      »Entschuldigen Sie, Monsieur Gilles. Ich habe gerade René zum Colonel geschickt. Anscheinend liegt er tot in der Badewanne.«

      Monsieur Gilles trug eine gestreifte Hose und ein Jackett aus schwarzem Cheviot. Er wandte sich an seine Sekretärin:

      »Rufen Sie sofort Doktor Frère an. Um diese Zeit macht er vermutlich Hausbesuche. Versuchen Sie, ihn aufzutreiben.«

      Monsieur Gilles wusste so einiges, von dem die Polizei noch keine Ahnung hatte. Monsieur Albert, der Concierge, ebenfalls.

      »Was halten Sie davon, Albert?«

      »Vermutlich dasselbe wie Sie.«

      »Sie haben von der Sache mit der Comtesse gehört?«

      Ein Nicken genügte.

      »Ich gehe hoch.«

      Da er das nicht allein tun mochte, nahm er einen der jungen Empfangsangestellten im Cut und mit gegeltem Haar mit. Im Vorbeigehen sagte er zum Concierge, der wieder an seinem Platz war:

      »Holen Sie die Schwester. Schicken Sie sie gleich in die 347.«

      Die Halle war jetzt nicht mehr leer wie in der Nacht. Die drei Amerikaner beratschlagten immer noch, welches Flugzeug sie nehmen sollten. Ein eben eingetroffenes Ehepaar füllte am Empfang den Meldezettel aus. Die Blumenverkäuferin und die Zeitungsverkäuferin waren auf ihrem Posten, und auch der Schalter für Theaterkarten war geöffnet. In den Sesseln warteten ein paar Leute, darunter die erste Verkäuferin eines großen Modehauses, die einen Kleiderkarton dabeihatte.

      Oben in der 347 stand der Direktor auf der Schwelle zum Badezimmer und wandte den Blick vom dicken Körper des Colonels ab, der so merkwürdig in der Badewanne lag. Sein Kopf war unter Wasser, nur der Bauch ragte heraus.

      »Ruf die …«

      Er stockte, als im Schlafzimmer das Telefon klingelte, und stürzte zum Apparat.

      »Monsieur Gilles?«

      Es war die Telefonistin.

      »Ich habe Doktor Frère erreicht, bei einem Patienten in der Rue François-Ier. In ein paar Minuten ist er hier.«

      Der junge Mann vom Empfang fragte:

      »Wen soll ich rufen?«

      Natürlich die Polizei. Bei einem derartigen Vorfall ist das unumgänglich. Monsieur Gilles kannte den Kommissar des Viertels, aber die beiden Männer mochten sich nicht sonderlich. Außerdem fehlte es den hiesigen Beamten am nötigen Fingerspitzengefühl für eine Ermittlung in einem Hotel wie dem George-V.

      »Ruf die Kriminalpolizei an.«

      »Wen?«

      »Den Direktor.«

      Obwohl sie einander schon öfter bei Diners begegnet waren, hatten sie nie länger miteinander geredet. Aber es genügte, dass sie sich kannten.

      »Hallo? Ist dort der Direktor der Kriminalpolizei? … Entschuldigen Sie bitte die Störung, Monsieur Benoit … Hier Gilles, der Direktor vom George-V … Hallo! Eben ist hier … Ich meine, ich habe eben entdeckt …«

      Er wusste nicht, wie er es sagen sollte.

      »Es handelt sich leider um eine bedeutende, international bekannte Persönlichkeit. Colonel Ward … Ja, David Ward. Ein Angestellter hat ihn tot in der Badewanne gefunden … Nein, mehr weiß ich nicht. Ich wollte Sie gleich anrufen. Der Arzt wird jeden Augenblick hier sein. Ich gehe davon aus, dass Sie …«

      … die Sache diskret behandeln, selbstverständlich. Er wollte auf keinen Fall, dass das Hotel von Journalisten und Fotografen belagert wurde.

      »Nein. Natürlich nicht. Ich verspreche Ihnen, es wird nichts angerührt. Ich werde selbst in der Suite warten. Ah, da kommt gerade Doktor Frère. Wollen Sie ihn sprechen?«

      Der Arzt, der noch nicht wusste, warum er gerufen worden war, nahm den Hörer entgegen.

      »Doktor