Mari Jungstedt

An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi


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und mehrere Grabfelder. Vermutlich hatte es sich um eine wichtige Handelsstätte gehandelt, denn sie gruben sehr viele Gewichte und Silbermünzen aus.

      Plötzlich stieß Steven, der im Nachbarschacht hockte, einen Ruf aus. Alle stürzten zu ihm. Er war soeben dabei, ein Skelett freizulegen, und hatte in der Halsgrube des Skeletts vermutlich ein Stück von einer Ringbrosche entdeckt. Der Grabungsleiter Staffan Mellgren stieg vorsichtig in den Schacht und griff nach einer kleinen Bürste, die zwischen anderem Werkzeug in einem Eimer lag. Behutsam entfernte er die restliche Erde und konnte nach einigen Minuten die gesamte Brosche freilegen. Die anderen umringten den Schacht und schauten fasziniert zu. Die Begeisterung des Grabungsleiters war ansteckend.

      »Phantastisch!«, rief er. »Die ist ja vollständig erhalten, die Nadel ist noch intakt, und könnt ihr hier die Verzierungen sehen?«

      Mellgren ersetzte die Bürste durch einen noch kleineren Pinsel und befreite die Brosche mit leichten Strichen vom letzten Schmutz. Er zeigte mit dem Pinselstiel auf ihren oberen Teil.

      »Die hier hat das Hemd festgehalten – das dünne Kleidungsstück, das unmittelbar auf der Haut getragen wurde. Wenn wir Glück haben, dann finden wir auch eine größere Ringbrosche an der Schulter. Also lasst uns weitersuchen.«

      Er nickte Steven, der stolz und glücklich aussah, aufmunternd zu.

      »Sei aber vorsichtig und tritt nicht zu dicht an das Skelett heran. Es kann hier noch mehr Fundstücke geben.«

      Die anderen kehrten voller Tatkraft an ihre Arbeit zurück. Die Vorstellung, bald einen interessanten Fund zu machen, schenkte ihnen neue Energie. Martina grub weiter. Nach einer Weile musste sie ihren Eimer leeren. Sie ging zu einem der großen Siebe, die am Rand des Grabungsfeldes aufgestellt waren. Vorsichtig kippte sie den Inhalt des Eimers in das Sieb, das aus einem viereckigen Holzkasten mit einem feinmaschigen Drahtnetz bestand. Es ruhte auf einem Eisengestell, das es ermöglichte, den Kasten hin- und herzurollen. Sie packte die beiden Holzgriffe auf der einen Seite und schüttelte den Kasten energisch, um Erde und Sand zu entfernen. Es war eine schwere Arbeit, und nach einigen Minuten war sie in Schweiß gebadet. Als sie den ärgsten Dreck weggesiebt hatte, ging sie die Reste sorgfältig durch, um keinen Fund zu übersehen. Zuerst entdeckte sie einen Tierknochen, dann noch einen. Und einen kleinen Metallgegenstand, vermutlich einen Nagel.

      Nichts durfte weggeworfen werden, alles musste sorgfältig aufbewahrt und registriert werden, da nach ihnen niemand mehr graben konnte. Wenn ein Gelände einmal ausgegraben war, war es für alle Zukunft »zerstört«, und deshalb ruhte auf den Archäologen die große Verantwortung, alles zu bewahren, was vom Leben der Menschen an diesem Ort berichten konnte.

      Martina musste eine Pause von einigen Minuten einlegen. Sie hatte Durst und griff nach ihrem Rucksack, in dem die Wasserflasche lag. Sie setzte sich auf einen umgekippten Holzkasten, massierte sich die Schultern und beobachtete während dieser Verschnaufpause die anderen. Die arbeiteten konzentriert auf den Knien, in der Hocke oder auf dem Bauch, und durchsuchten eifrig die dunkle Erde.

      Sie spürte Marks Blicke, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Ihre Gefühle waren an jemand anderen gebunden, deshalb wollte sie ihn nicht ermutigen. Sie waren gute Freunde, und ihr war das genug.

      Jonas, ein sympathischer Schone mit einem Ring im Ohr und einem Seeräuberkopftuch, sah ihre Lockerungsübungen.

      »Tut das weh? Soll ich massieren?«

      »Ja, tu das, bitte«, sagte Martina in ungelenkem Schwedisch. Sie beherrschte die seltsame Sprache ihrer verstorbenen Mutter nicht gut, und auch wenn alle anderen in der Gruppe fließend Englisch sprachen, wollte sie ihr Schwedisch gern üben.

      Jonas war einer ihrer besten Freunde hier auf Gotland, und sie hatten viel Spaß miteinander. Sie freute sich über sein Angebot, auch wenn sie sich schon denken konnte, dass es nicht nur aus Fürsorglichkeit erfolgt war. Die Aufmerksamkeit, die ihr manche Männer in der Gruppe widmeten, war angenehm, aber eigentlich legte sie keinen Wert darauf.

      MITTWOCH 30. JUNI

      Er fuhr den roten Pick-up über den Kiesweg, dass der Staub nur so aufstob. Es war früh am Morgen, die ersten Sonnenstrahlen tasteten sich über den Horizont. Die ganze Stadt schlief, sogar die Kühe drängten sich in den Gehegen, an denen er vorbei fuhr, mit geschlossenen Augen aneinander. Nur die über die Felder huschenden Kaninchen waren aktiv. Er rauchte und hörte Radio. Er hatte sich schon lange nicht mehr so zufrieden gefühlt.

      Der schmale Kiesweg bot nur einem Auto Platz. Hier und dort wurde er etwas breiter und ermöglichte ein Ausweichen, die blauen Straßenschilder mit dem weißen »M« zeigten diese Stellen an. Nicht, dass die jemals benötigt worden wären. Hier begegneten sich niemals zwei Wagen. Ihr Hof lag am Ende des Weges, weiter kam man einfach nicht. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie je Besuch gehabt hätten. In seiner Kindheit hatte er darüber nicht nachgedacht, er hatte wohl geglaubt, alle lebten so wie sie. Das war die Welt, die er kannte und an der er sich orientierte.

      Wenn hinter der letzten Kurve sein Elternhaus auftauchte, stellte sich immer ein Hauch von seiner alten Panik ein; er spürte einen Druck auf der Brust, seine Muskeln spannten sich an, und das Atemholen fiel ihm schwer. Danach verschwanden die Symptome ziemlich rasch wieder. Dass sich das nie legte, verwunderte ihn. Sein Körper schien nach all diesen Jahren noch immer ganz unabhängig zu reagieren. So wie wenn er eine Erektion hatte, ohne zu wissen, warum.

      Der Hof bestand aus einem ursprünglich ziemlich protzigen Wohnhaus aus gelb gestrichenem Holz, doch nun blätterte die Farbe ab. Auf der einen Seite lag ein heruntergekommenes Wirtschaftsgebäude, auf der anderen ein kleinerer Heuschober. Die Reste des Misthaufens auf der Rückseite erinnerten an die Zeit, als sie noch Vieh gehalten hatten. Die Gehege aber standen jetzt leer, die letzten Tiere waren nach dem Tod seiner Eltern ein Jahr zuvor verkauft worden.

      Er hielt hinter dem Heuschober, eigentlich eine unnötige Vorsichtsmaßnahme, aber es war eben eine alte Gewohnheit. Er öffnete die Heckklappe, nahm den Sack heraus und überquerte mit raschen Schritten den Hofplatz. Die Tür des Schuppens ächzte, und stickige Luft empfing ihn. Dicke Spinngewebe hingen von der Decke, dazwischen Klebebänder, die von längst verschiedenen Fliegen schwarz gepunktet waren.

      Die alte Tiefkühltruhe stand an ihrem Platz. Die Kälte schlug ihm entgegen, als er den Deckel öffnete. Seinen Sack konnte er problemlos unterbringen. Er zog die Tür des Schuppens rasch hinter sich zu und wischte die Tiefkühltruhe dann von außen gewissenhaft mit einem feuchten Lappen und Seifenlauge ab. So sauber war sie wohl noch nie gewesen. Danach griff er das Kleiderbündel und den Lappen und stopfte alles in eine Plastiktüte.

      Auf der Rückseite des Schobers grub er ein tiefes Loch in den Boden und presste die Tüte hinein. Sorgsam füllte er das Loch dann wieder auf und bedeckte es mit Stroh und Zweigen. Danach war das Versteck einfach nicht mehr zu sehen.

      Blieb das Auto. Er holte den Wasserschlauch und beschäftigte sich mehr als eine Stunde mit der Reinigung des Wagens, von innen wie von außen. Am Ende nahm er das falsche Nummernschild ab und ersetzte es durch das ursprüngliche. Niemand hätte ihm mangelnde Gründlichkeit vorwerfen können.

      Dann ging er ins Haus und machte Frühstück.

      Über den noch immer taufeuchten Wiesen hob sich der Nebel, langsam schwebte er dahin und suchte sich den Weg zwischen Schilf und Gras. Er streichelte den Wasserlauf, wo ein Schwanenpaar sich sorgfältig das Gefieder putzte. Einige Seeschwalben flogen über die Bucht, und das Wasser schwappte friedlich gegen die ein Stück weiter draußen vertäuten Boote. Die grauen, morschen Fischerbuden weiter unten am Ufer waren nicht mehr in Betrieb.

      Es war ein ungewöhnlich schöner Morgen. So ein Sommermorgen, den man aus der Erinnerung hervorholen konnte, wenn der Winter Gotland in seinen düsteren Mantel hüllte.

      Die zwölfjährige Agnes war früher aufgewacht als sonst. Es war noch nicht einmal halb neun, als sie ihre kleine Schwester weckte, die sich in ihrem schlaftrunkenen Zustand leicht zu einem Bad vor dem Frühstück überreden ließ. Oma saß auf der Treppe, trank Kaffee und las die Zeitung. Sie winkte ihnen zu, als sie mit den Badetüchern auf den Gepäckträgern davonradelten. Der Kiesweg zog sich