Brigitte Schubert

Geschichten aus dem Schwemmsandland


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große Trolle werden in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen. Ich möchte, nachdem wir nun gerettet sind und weiter im Schwemmsandland bleiben dürfen, auch in die Gemeinschaft der erwachsenen Trolle aufgenommen werden.“

      Als der Brücken-Troll das hörte, legte er seine Stirn in Falten. „Nun gut mein Junge, wir können in unserem schönen Schwemmsandland bleiben, weil die Menschen wieder an uns glauben. Das ist sehr schön. Aber weißt du, jeder der erwachsen sein möchte, muss eine Prüfung ablegen. Ich glaube nicht, dass du sie schon jetzt in deinen jungen Jahren bestehen würdest. Frage mich morgen noch einmal danach, bis dahin werde ich mich mit den ältesten Trollen beraten haben.“

      „Einverstanden.“ Finn strahlte vor Freude über das ganze Gesicht. Er war sich sehr sicher, eine Aufgabe zu bekommen.

      Ein erwachsener Troll kann schwierige Zaubersprüche erlernen, herbstbunte Blätter in goldene Taler verwandeln oder mit den Tieren sprechen. Was für eine Prüfung würde er dafür bestehen müssen? In seinem Kopf kreiselten die Gedanken. Seine Fantasie bekam Flügel, entwischte ihm hinaus in die weite Welt und blieb irgendwann unter der alten Weide, im grünen Teppich am Grasbüschel Nummer Sieben hängen. Dort würde auch das kleine Menschenmädchen auf ihn warten.

      Am nächsten Tag sprang Finn schon beim Morgenrot aus seinem Bett und eilte zum Brücken-Troll, der an seinem Lieblingsplatz unter dem Brückenbogen saß, dort, wo das Kräuterfräulein mit ihrem Korb immer die goldgelben Löwenzahnblüten sammelte.

      Der Brücken-Troll hatte tatsächlich eine Aufgabe für den jungen Heißsporn.

      „Ich habe eine gute Nachricht für dich. Du bekommst eine Prüfungsaufgabe. Der Weidenbaum-Troll mag dein heiteres, übermütiges Gemüt und hat eine Aufgabe ausgewählt, der alle zustimmten. Sie mag sehr einfach klingen, aber sie wird dir alles abverlangen, um würdig in den Kreis der erwachsenen Trolle aufgenommen zu werden.“

      „Was muss ich tun?“, fragte Finn ganz hitzköpfig und ungeduldig.

      „Willst du die Prüfungsaufgabe wissen und bist du wirklich bereit dafür?“

      Der junge Troll konnte es kaum erwarten und sprach: „Ja! Ja, ich will die Aufgabe wissen und ich bin bereit, sie zu erfüllen. Ich werde es schaffen!“

      „Nun, mein kleiner Finn“, sprach der Brücken-Troll, „es ist Sommer, die schönste, fröhlichste und bunteste Zeit des Jahres. Alle Pflanzen stehen in voller Blüte, die Bäume tragen reife Früchte und die Lebewesen, egal ob Tier oder Mensch, sind munter und quirlig. Schau dich um und finde das Kraut der Bescheidenheit. Bring uns eine Blüte bis zum goldenen Oktober, denn dann kannst du es nicht mehr finden, weil die stürmischen Herbstwinde seine zarten Blütenköpfe zerzausen. Überlege es dir noch einmal, denn wenn du die Aufgabe nicht erfüllst, wirst du für immer und ewig ein junger Troll bleiben. Und denke daran, nur eine Blüte! Und ich gebe dir auch noch einen gut gemeinten Tipp. Wandere die Parthe entlang.“

      „Ja, ich will!“, sprach Finn und dachte, nichts leichter als das. Streifte er doch sehr gerne auf den Wiesen und in den Auen des Schwemmsandlandes umher. Eine Blüte vom Kraut der Bescheidenheit würde er mit Leichtigkeit finden, nicht ahnend, was er dabei für gefährliche Abenteuer würde bestehen müssen.

      Ob ihm das Menschenmädchen, dessen Namen er immer noch nicht wusste, dabei helfen konnte?

      *

      Am Anfang

      Finn machte sich also auf den Weg in Richtung Parthe. Aber wo die Wanderung beginnen? Am besten wäre, von der Parthenquelle bis zur Mündung in die Weiße Elster zu laufen, immer mit dem Wasserstrom, entlang der Uferböschung durch Wälder und Wiesen streifend.

      Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Finn hatte den Weg über ein Feld mit goldgelben Getreideähren eingeschlagen, das sich weit vor ihm ausdehnte. Am anderen Rande des Ährenfeldes führte der Pfad auf eine geräumige Fläche hinaus. Und Finn stand vor den Toren eines großen Bauernhofes.

      Es war Mittag und die Sonne brannte gnadenlos vom wenig bewölkten Himmel herab. Er hatte vergessen, seine Trinkflasche in den Rucksack zu packen und nun blieb ihm nichts weiter übrig, als den Hof zu betreten und um ein Glas Limonade zu bitten.

      Sperlinge meldeten ihn fröhlich an. Die Schwalben unterm Dachfirst hatten keinen Blick für ihn, sie fütterten ihre nimmersatten Jungschnäbel. Auch Finns Magen begann zu knurren. Irgendjemand schien Kuchen und Brot zu backen. Ein lieblicher Duft stieg in den Himmel hinauf.

      Der junge Troll trat in das Haus und gelangte über einen breiten, weiß getünchten Flur in eine geräumige Küche. Die Bauersfrau stand am Herd und schälte Äpfel.

      „Guten Tag. Mein Weg ist noch weit und in der Sonnenglut versagen meine Beine ihren Dienst. Darf ich eine kleine Rast machen und ein großes Glas Limonade bekommen?“

      „Hier ist keine Gaststätte“, antwortete die Frau barsch und schälte ihre Äpfel weiter. „Der Kuchen muss auch noch fertig werden.“

      Finn drehte sich augenblicklich auf seinem Schuhabsatz herum und wollte wieder von dannen ziehen, da sprach die Frau: „Nun gut, es war nicht so gemeint. Setz dich.“

      Erleichtert ließ er sich auf den hölzernen Stuhl am großen Tisch fallen. „Kann ich beim Äpfelschälen helfen?“

      „Lass nur gut sein. Stärke dich erst einmal mit frischem Brot und Wasser. Und dann erzähl mir, was dich in unsere Gegend verschlagen hat.“ Nebenbei stellte sie noch ein Näpfchen mit Salz, einen Schmalztopf und frische Brühgurken vor seine Nase.

      Finn ließ es sich munden und erzählte von seinem Vorhaben.

      „Du suchst das Kraut der Bescheidenheit? Davon habe ich auch schon gehört. Damals war ich in deinem Alter, gefunden habe ich es nie. Früher, übrigens, bekam ich von meinem Vater eine Backpfeife, wenn ich mehr wollte, als ich gebrauchen konnte.“

      Ihm blieb der Bissen im Halse stecken und seine Ohren begannen hitzig und rot zu werden. Hatte er doch recht ordentlich bei der Mahlzeit zugelangt, als ob er wochenlang nichts zu essen bekommen hätte. Mit der Hälfte der Ration wäre er auch satt geworden. Oh, kleiner Finn, du musst noch viel lernen ...

      „Der Weg, den du eingeschlagen hast, ist richtig, gehe ihn nur guten Mutes. Am Ende wird es sich gelohnt haben. Gleich hinterm Haus führt er weiter und bis zum Nachmittag hast du die Parthenquelle erreicht.“

      Sogleich sprang er auf, bedankte sich brav für die gute Bewirtung und eilte zur Tür hinaus. Was mag das nur für ein Kraut sein, das er finden soll?

      *

      An der Parthenquelle

      Am Ziel angekommen, dem Beginn der Wanderung, ließ sich Finn erschöpft in das weiche Moos fallen. Erst einige Zeit später entdeckte er neben sich ein freundlich dreinblickendes Mütterlein, das in fließendes Gewässer gehüllt war und Augen wie dunkle Seen hatte. Als sie zu sprechen begann, war es, als hörte Finn einen sachten Sommerregen auf das Blätterdach des Waldes niedergehen.

      „Ich bin Hannah, die Wächterin der Parthe und deren Wiesen und Auen im Schwemmsandland. Du hast mich gefunden und ganz bestimmt einen Wunsch, den ich dir erfüllen kann.“

      Ihm fielen zwischen ihren Haarsträhnen kleine grüne Wasserlinsen auf und am Rocksaum waren bläulich schimmernde Fische aufgestickt. „Kannst du mir helfen? Ich suche das Kraut der Bescheidenheit.“ Schnell schickte er noch ein „Bitte“ hinterher.

      „Suchen musst du es selber, aber ich werde dich auf deinem Weg begleiten, mal sichtbar, mal unsichtbar“, versicherte Hannah. „Damit sich dein Blick weitet für die Schönheiten der Natur, nimm einen Schluck von meinem Himbeersirup und vermische ihn mit Sprudelwasser aus der Quelle. Es wird dir frische Kraft geben.“

      Finn tat, wie ihm geheißen, musste sich allerdings für seine Tat sehr überwinden. Als