Nataly von Eschstruth

Jedem das Seine - Band I


Скачать книгу

      

      Nataly von Eschstruth

      Jedem das Seine

      I

      Mit Illustrationen von Fritz Bergen

      Saga

      I.

      Tannenduft zog durch das Zimmer.

      Süss und traut wob der Weihnachtszauber seine glitzernden Schleier. Um den grünen Baum, welcher geheimnisvoll seine Nadelzweige über den kleinen Tisch breitete, spann er die Silber- und Goldfäden des Engelhaars, blitzte auf in den bunten Kugeln und weckte kleine blutrote Funken an den Kupfersternen, welche still und feierlich an den schwanken Ästchen herniederhingen.

      Die Wachslichte verbreiteten den unbeschreiblichen Duft, welcher sich wie ein Traum über jedes Christzimmer legt, der Geruch frischgebackenen Kuchens mischt sich darein, ein paar Hyazinthen blühen in hohen Gläsern auf dem Fensterbrett, und der Asklepiasstock spinnt seine Zweige mit den süss duftenden Blumen um das breite Holzgitter, welches beinah’ die Scheibe vollständig verdeckt.

      Es dämmert bereits.

      Weiche, grausammetige Schatten legen sich tiefer in alle Ecken, da, wo der grüne Kachelofen behagliche Wärme ausströmt und wo das altmodische lila Plüschsofa und die steiflehnigen Sessel um den Mahagonitisch herumstehen.

      Rechts neben dem Klavier, welches die abgeschabten Reliefbilder von Mozart und Sebastian Bach trägt, steht der Christbaum, und vor ihm steht der schmale Tisch, mit schneeweisser Damastserviette bedeckt, welcher die Geschenke trägt.

      Viele und kostbare sind es deren nicht.

      Auf der einen Seite liegt der Stoff zu einem dunklen Winterkleid, eine kleine, sehr bescheidene Pelzboa und ein paar warme Buckskinhandschuhe, daneben eine billige Ausgabe klassischer Musikstücke, — auf der andern Seite ruht einsam ein etwas geschmacklos bunter Herrenschlips, ein Karton mit Taschentüchern und ein Uhrhaken. — Aber ein Platz ist frei geblieben, als habe zur Bescherung auch dort noch ein Geschenk gelegen!

      Und welch eines!

      Das törichte, unglaublich unnütze Kinderbuch, die Märchen aus Tausend und einer Nacht, welche der grosse Schlingel Mortimer, der Herr Tertianer, sich noch als erstes und liebstes Geschenk auf den Wunschzettel geschrieben! Die illustrierten Märchen von Tausend und einer Nacht! —

      Sollte man es glauben?

      Tante Gustel ist auch sehr ausser sich über solch unsinniges Verlangen gewesen und hat kopfschüttelnd geseufzt: „eins von den teuern Schulbüchern oder ein gutes Geschichtswerk sei doch tausendmal praktischer und nützlicher und der grosse Junge solle etwas Gescheiteres tun, als überspannte Märchen lesen,“ — aber Mortimers sonst so lustige Augen hatten sie gar zu flehend angesehn, und Tag für Tag hatte er versichert: „Nur dies eine Märchenbuch wünsche ich mir noch, Tantchen; dann soll es mit allen Spielsachen vorbei sein, und die nächsten Weihnachten will ich nur noch nützliche Sachen haben!“

      Da hatte die Tante schon etwas nachgiebiger geseufzt, und als ihr abends bei dem Zubettegehn ihre Tochter Gretel gutmütig zugeredet und vorgeschlagen hatte: „Wir wollen Onkel Karl bitten, dass er sich mal in der Residenz in Antiquariatläden umsieht, ob er das Buch für billigen Preis dort haben kann!“, da nickte sie einverstanden und meinte: „Das ist ein kluger Gedanke, Mäuschen, — ich werde morgen sogleich schreiben.“ — Onkel Karl hatte schon nach kurzer Zeit ein sehr wohlerhaltenes Exemplar voll der schönsten, buntesten und phantastischsten Bilder geschickt, in welches er mit seiner grossen eckigen Schrift sogar die Widmung geschrieben hatte: „Meinem lieben Neffen Mortimer, Freiherrn von der Marken-Beilstein, von seinem alten Onkel Karl.“

      Du liebe Zeit, wie hätte man denken können, dass der grosse Junge solch eine Freude an dem albernen Märchenbuch haben könnte!

      Seine Augen strahlten vor Entzücken, als er es unter dem Baum liegen sah, und Tante Gustel war beinah beleidigt, dass ihre so schöne, grossartig ausgedachte Überraschung, das Hauptgeschenk des Abends, beinahe gar nicht beachtet wurde — nur um des leidigen Buches willen!

      Und welch ein Geschenk hatte sie dem lieben Jungen gemacht! —

      Das ehrwürdige, alte schöne Zylinderbureau seines Grossvaters, welches sie als einzige Tochter ehemals mit der elterlichen Einrichtung geerbt, hatte sie heimlich in die kleine Mansardenstube des Gymnasiasten schaffen lassen, damit er alle Bücher und Hefte nunmehr ordentlich zusammenhaben und so recht gemütlich und bequem sitzen und studieren konnte!

      Ja, gefreut hatte er sich ja riesig und hatte das zarte Tantchen und das noch viel zerbrechlichere, elende Cousinchen beinah’ totgedrückt zwischen seinen herkulisch starken Armen, — aber dann hatte er nur noch Sinn und Gedanken für das Märchenbuch, sass unter dem Christbaum und las und blätterte .. und starrte mit dunkelrotem Kopf die Bilder an. — Er bewies es leider allzudeutlich, dass er ein Marken war, ein echter Spross jenes uralten Geschlechts, dessen Söhne sich stets durch phantastischen Sinn, durch eine ans Krankhafte grenzende Vorliebe für alles Fremdartige, Abenteuerliche und Aussergewöhnliche ausgezeichnet hatten! —

      Ehemals hatte dieser unruhige Sinn, diese Wanderlust und unstillbare Sehnsucht nach Frau Aventiure die Ritter und Edelherren hinaus in die Kreuzzüge, in Irrfahrt und Kriegsgetümmel getrieben; später hatten sie sich mit Wandern und Reisen begnügt, — ja, der Grossvater hatte es durchgesetzt, Diplomat zu werden, um als Gesandter am besten Gelegenheit zu haben, fremde Länder und Völker kennen zu lernen!

      Damals waren die Freiherrn von der Marken-Beilstein noch reiche Grundbesitzer und konnten solchen Passionen huldigen, aber schon Mortimers Vater erschöpfte seine Mittel vollständig, als er auf die unsinnige Idee kam, Afrikareisender zu werden und ohne an Frau und Kind zu denken, sein Hab und Gut bei den Forschungsreisen zuzusetzen, von deren letzter er leider nie wieder heimkehrte, da ein tückisches Fieber ihn in der Blüte seiner Jahre dahinraffte.

      Die Mutter starb bald danach an einer Lungenentzündung, und Tante Gustel, die einzige Schwester des Afrikareisenden, nahm den kleinen Mortimer zu sich, ihn so gut es ging mit ihren sehr bescheidenen Mitteln zu erziehen.

      Sie hoffte, dass ihr Bruder Karl ihr diese schwere Pflicht erleichtern und sie durch Geldmittel unterstützen würde. Aber wie eine Krankheit, welche früher oder später doch zum Ausbruch kommt, hatte auch diesen plötzlich die Reiselust erfasst.

      Er nahm als Major den Abschied und führte ein ruheloses Wanderleben, bis auch sein Vermögen zusammengeschmolzen war und er sich nunmehr darauf beschränken musste, von den Erinnerungen an fremde Länder und Wunderwelten zu zehren.

      Es lag bei den Markens im Blut! Dagegen war nicht anzukämpfen, und es deuchte Tante Gustel ein rechtes Glück, dass Mortimer schon von vornherein jede Möglichkeit genommen war, dem Reisefieber zum Opfer fallen zu können. Die Zukunft des heranwachsenden Knaben war trotz seiner knappen Mittel sichergestellt, denn die Familienstiftung gewährte ihm eine anständige Zulage, falls er sich entschloss, Offizier zu werden.

      Dies war selbstverständlich.

      Tante Gustels Augen leuchteten voll beinah mütterlichen Stolzes, wenn sie die schöne, kraftvoll schlanke Gestalt des Pflegesohnes mit langem Blick umfassten. Ritterlich und schmuck sah er aus, mit dem frischen, stets heiteren, beinah’ übermütig lachenden Gesicht, aus welchem die Blauaugen blitzten und in dessen Stirn die blonden Haarwellen fielen.

      Aber das Märchenbuch! —

      Ein Tertianer, welcher noch solch alberne Märchen anstatt eines schönen Heldenbuches liest! —

      Tante Gustel schüttelte beinah ärgerlich in der Küche, wo sie eigenhändig den Kaffee aufgoss, den Kopf und sagte: „Geh’ mal in die Christstube, Gretchen, und sieh, ob der Junge etwa noch bei diesem Dämmerlicht liest! — Verbiet’ es ihm, er wird sich die Augen verderben!“ Und Gretchen ging, gehorsam und ohne jedwede Entgegnung folgend, wie stets.

      Leise, in ihrer stets rücksichtsvollen Art öffnete sie die Türe.

      Richtig, da sass der grosse blonde Junge am Fenster, so tief über das offene Buch geneigt, dass seine Stirn sich gegen die blühenden Hyazinthen neigte.

      Er