Paul Oskar Höcker

Das flammende Kätchen


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      Paul Oskar Höcker

      Das flammende Kätchen

      Roman

      Saga

      Katarina hatte siebzig Mark Monatsgehalt und Familienanschluss, d. h. sie speiste am Tisch der Herrschaft mit und teilte das hübsche Biedermeierzimmer, das die Tochter des Hauses bis zu ihrer Hochzeit bewohnt hatte, mit der Engländerin. Aber ein Plätzchen, wo sie sich einmal ausweinen konnte, hatte sie nicht.

      Kein Mensch ahnte übrigens, dass sie so eines brauchte. Mit ihrer Frische und Behendigkeit, mit ihren immer freundlichen Augen, den hellbraunen, ein wenig ins Grünliche spielenden, mit ihrem drolligen Sommersprossengesicht, das die beiden grossen, rostroten Schnecken einrahmten, mit ihrer warmen Altstimme, die so dankbar und herzlich lachen konnte, war sie ihnen allen seit dem ersten Tage der Sonnenschein im Hause. Und hatte sie nicht die hübscheste Beschäftigung, die man sich für eine aufs Geldverdienen angewiesene junge Dame denken konnte? Sie hielt dem Geheimrat, der in seinen Mussestunden Orchideenzüchter war, die beiden Warmhäuser seiner Grunewaldvilla in Ordnung. Für den Hausgarten, das Gemüsegärtchen und das Spalierobst war der alte Franz da. Aber natürlich nahm Katarina dem etwas klapprig gewordenen Faktotum die meiste Arbeit ab, denn sie war eben jung und flink, sie hatte Feenhände, rasch war sie hier und schnitt Rosen oder putzte ein Erdbeerbeet aus, rasch war sie dort und band Spalierobstzweige mit Bast an oder sprengte den Rasen oder rigolte ein Beet oder harkte die Kieswege. Und dass sie die Vasen in der ganzen Villa besorgte, war ebenso selbstverständlich. Sie hatte Geschmack, sie liebte die Blumen und sie war nun doch einmal Sachverständige: ihr Vater hatte eine Gärtnerei am Rhein gehabt, und sie war als Schülerin der Gartenbauschule in Marienfelde hergekommen. Man konnte sich das Haus heute kaum mehr ohne Fräulein Lutz denken. Auch der Geheimrätin war sie in diesen fünf Monaten in hundert Dingen, die mit der Orchideenzucht nicht die mindeste Berührung hatten, unentbehrlich geworden — obwohl die Stütze und das erste Hausmädchen recht ungnädig werden konnten, wenn sie’s etwa merken liess. Fräulein Lutz zog Wein ab, brachte die elektrische Klingel in Ordnung, behandelte den russischen Seidenspitz, wenn er krank war, sie kannte hundert Spezialrezepte, hundert Adressen. Die besondere Stellung der jungen Rheinländerin war also schwer zu bezeichnen. Kam Besuch, so wurden Miss Lawrence und Fräulein Lutz von der Geheimrätin wohlwollend mit den Worten charakterisiert: „Unsere Miss — und meines Mannes kleine Gartendoktorin.“ Es kam auch vor, dass die liebenswürdige alte Dame dabei Katarina leicht in die Wange kniff. Es herrschte ein guter Ton im Hause. Sogar Otto, der Referendar, der in der jungen Orchideenkundigen zuerst einen gar zu bequemen Huldigungsgegenstand erblicken wollte, behandelte sie respektvoll-kameradschaftlich, nachdem sie ihm einmal gründlich den Kopf gewaschen hatte.

      Wenn alle zu Bett gegangen waren, trug Katarina noch sämtliche Blumenvasen in den Wintergarten, regelte dort die Warmwasserleitung, füllte die Vasen mit frischem Wasser, schnitt die Blumen an und duschte sie ab. Fünf oder sechs Stunden später weckte sie schon drüben in der Kutscherwohnung den alten Franz, der die Heizung der Warmhäuser zu besorgen hatte. Und von da an war ihr ganzer Tag besetzt, Stunde für Stunde, sie kam nicht zur Besinnung, — ja, sie kam heute nicht einmal dazu, in Ruhe und Sammlung den Brief zu lesen, der den Poststempel Wiesbaden trug und der über ihr ganzes Schicksal entscheiden sollte.

      Wiesbaden war ihre Heimat. Hinter Sonnenberg, auf Rambach zu, lagen die Gartengrundstücke ihres verstorbenen Vaters — dicht neben denen der Familie Troilo. Mit Viktor Troilo war sie seit anderthalb Jahren verlobt — versprochen schon seit ihrer gemeinsamen Kindheit. Und der Brief stammte von Viktors Stiefmama. Viktor sollte nun endlich am 1. April bei den badischen Leibdragonern sein Freiwilligenjahr abdienen. Als er das Polytechnikum in Karlsruhe besuchte, hatte er dort gute Beziehungen angeknüpft, die ihm die Aussicht eröffneten, beim Regiment Reserveoffizier zu werden. Natürlich ging es da nicht länger an, dass seine Braut sich in Berlin in Stellung befand. Solange Viktor im Hause war, hatte ihr Fernbleiben einen gewissen Sinn gehabt. Jetzt aber fiel der Grund weg. Also ...

      In der Nacht stellte Katarina den Bettschirm so, dass das Schreibtischlicht die Miss nicht treffen konnte, und schrieb einen langen, langen Brief an Viktor. Geradezu Angst befiel sie bei der Vorstellung, sie sollte wieder mit seiner Stiefmutter unter einem Dache leben. Sie war damals doch nicht seinetwegen aus dem Haus gegangen, das wusste er ja. Sie hatte sich mit dieser Frau niemals vertragen können, und das halbe Jahr nach ihres Vaters Tod, solange sie im Hause Troilo Gastfreundschaft genoss, war das furchtbarste ihres Lebens gewesen. Auf Schritt und Tritt hatte Frau Dora sie’s fühlen lassen, dass sie für ihren Sohn, den einzigen Erben ihres grossen Vermögens, auch nicht annähernd die von ihr gewünschte Partie darstellte. Eine Engelsgeduld hatte dazu gehört, all die Demütigungen still und widerspruchslos über sich ergehen zu lassen. Und innerlich trennte sie eine Welt von dieser Frau. Darum hatte sie den ersten triftigen Vorwand wahrgenommen, um sich ihrer Gastfreundschaft und damit ihrer zänkischen Bevormundung zu entziehen. Jetzt wieder zurückzukehren zu ihr, noch dazu allein, während Viktor sein Jahr abdiente, so dass sie schutzlos ihrer unnoblen Art preisgegeben war, nein, nein, nein, das konnte er nicht von ihr verlangen. Hundertmal lieber arbeitete sie doch bei fremden Menschen. Hier beim Geheimrat lernte sie auch noch eine ganze Menge Dinge hinzu, die sie später im Gärtnereibetrieb gut verwenden konnte, die Zeit war also nicht verloren, dort aber war sie völlig vergeudet, denn was füllte Frau Doras Leben aus? ...

      Sie schrieb und schrieb, musste aber immer wieder absetzen, um in ihr Taschentüchlein zu schnauben.

      Davon erwachte Miss Lawrence. Verwundert erhob sie sich im Bett, kerzengrade. Wie ein Gespenst erschien sie über dem Bettschirm. „Oh, Miss Kate! What are you doing here in the middle of the night?“

      Wie auf einer bösen Tat ertappt entschuldigte sich Katarina wegen der nächtlichen Störung, klappte die Schreibmappe zu und drehte das Licht aus.

      Aber die Miss, dankbar für jeden Gesprächsstoff, berichtete andern Tages der Geheimrätin über das Ereignis, und in den verschiedenen Teilen des Hauses Erck ward es darauf erörtert: Fräulein Lutz hatte nachts geweint!

      Die Stütze und das erste Hausmädchen verwahrten sich sofort ganz entschieden dagegen, ihr auch nur den geringsten Anlass gegeben zu haben. Der Geheimrat fragte seinen Sohn Otto, ob ihm vielleicht das Gewissen schlage. Und die ängstliche Geheimrätin, die den Gedanken, Fräulein Lutz könnte kündigen, wie eine Schicksalsdrohung empfand, kam abends, als Katarina im Wintergarten zusammenräumte, noch einmal aus dem oberen Stockwerk herunter, eigens um ihr auf den Zahn zu fühlen.

      „Sie sahen mir heute ein bisschen angegriffen aus, liebes Kind. Ich nehme lieber wöchentlich einmal eine Aushilfe, als dass es Ihnen zu viel wird.“

      „Nein, gnädige Frau, es wird mir nicht zu viel.“

      „Hübsch, wie die Clivie aufgeblüht ist, nicht? — Ja, noch eins, Fräulein Lutz: wenn die Leute etwa nicht nett zu Ihnen sein sollten, dann sagen Sie mir’s ruhig. Man wechselt ja nicht gern, es ist ein Kreuz mit den Leuten, aber es liegt mir so viel daran, dass Sie sich hier wohl fühlen und dass wir Sie behalten. — Wollen Sie Zulage, Fräulein Lutz?“

      Katarina war ganz rot geworden. „Nein, gnädige Frau, ich bin wirklich zufrieden.“ Sie holte Atem. „Und ich wünschte nur, Sie wären’s auch mit mir.“

      Nun lächelte die Geheimrätin und tätschelte ihr die Wange. „Gewiss. Das merken Sie doch. Nicht? Uebrigens — vielleicht haben Sie einmal Lust, abends ins Theater zu gehen. Oder in ein Konzert. Sie brauchen mir’s dann nur zu sagen. Junges Mädchen will doch was sehen von der Welt, sagt mein Mann. Sollen Sie auch. Wie ist denn Miss Lawrence eigentlich?“

      „Oh, sehr nett, gnädige Frau, wir vertragen uns gut.“ Katarina konnte sich den Grund des eingehenden Verhörs nicht recht erklären. Verlegen, fast verstört blickte sie zu Boden.

      Ratlos musterte die Geheimrätin das junge Ding. Komisch, es war ihr nicht beizukommen. Wenn ihr hier im Hause etwas fehlte, dann sollte sie doch den Mund aufmachen. Man tat ihr ja jeden Willen. Verstimmt sagte sie oben im Schlafzimmer zu ihrem Mann: „Ein rechter Bock ist Dein kleiner Schützling.“

      Die ganze Woche hindurch beobachtete sie Fräulein Lutz argwöhnisch. Der kleine Gartendoktor führte nämlich plötzlich einen lebhaften Briefwechsel. War’s vielleicht doch auf einen Stellenwechsel abgesehen? „Ich hab’ ihr