Hugo Bettauer

Faustrecht


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masochistisch-sadistischen Büchern und ebensolche photographische Abbildungen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Die Bücher waren mir als verbotene Druckerzeugnisse zum größten Teil bekannt, es sind durchwegs in Romanform gekleidete Schilderungen von dem psychopathisch sattsam behandelten Verhältnis starker Frauen zu schwachen, unterwürfigen Männern. Ich brauche dir wohl über diese Irrwege im Liebesleben des Menschen nichts weiter mitzuteilen.“

      Fels nickte verständnisvoll.

      „Und nun nahm ich mir den Kammerdiener Josef, der aus Prag mitgekommen ist, und die beiden Mädchen vor, und dann hatte ich eine längere Unterredung mit einer Dame, die in einer Villa anstoßend an die ‚Villa Mabel‘ wohnt und mittels Opernglases allerlei indiskrete Schlafzimmerbeobachtungen gemacht hat. Das Resultat dessen, was ich auf diese Weise erfuhr, gibt mir folgendes Bild: Herr Langer ist ein idealer Pantoffelheld, stand vollständig unter dem Bann von Frau und Schwägerin und wurde von diesen beiden Weibern seelisch und körperlich mißhandelt, ja, auch körperlich, so seltsam es klingt! Das Schönste aber ist, daß der arme Kerl buchstäblich nur durch den Tod von den angenehmen Damen befreit werden konnte. Es bestehen nämlich ungeheuer komplizierte Vermögensverhältnisse zwischen den Eheleuten. Aus den Verträgen und Akten, die ich studiert habe — die Kopien lagen im Schreibtisch der Frau Langer — sowie aus den Mitteilungen, die mir Doktor Holzinger eben vor einer Stunde machte, erfuhr ich, daß Herr Langer keinerlei selbständige Vermögensverfügung hat. Für jede Ausstellung eines Schecks von mehr als zehntausend Kronen, für jede Vermögenstransaktion, jeden Umtausch von Werten benötigte er die Unterschrift seiner Frau, während diese seine Unterschrift durchaus nicht brauchte, sondern nach Belieben das ganze Vermögen hätte verschenken können. Es kommt aber noch besser: Laut Testament, dessen Kopie ich ebenfalls gelesen habe, wäre nach dem Tode der Frau Langer Herr August Langer in dasselbe Abhängigkeitsverhältnis zu Miß Mac Lean geraten! Dann wäre dieser abscheuliche Krüppel die absolute Herrin über das Vermögen geworden. Nur für den Fall, daß beide starben, gleichgültig, ob gleichzeitig oder zuerst Frau Langer und dann deren Schwester, konnte Herr Langer in den ungeschmälerten und unkontrollierten Besitz aller Vermögenswerte treten. Dies ist jetzt geschehen und eigentlich müßte man dem glücklichen Leidtragenden von ganzem Herzen gratulieren.“

      Vom Stammtisch der beiden Herren her wurden stürmische Unwillenskundgebungen über die lange Abwesenheit des Journalisten und des Polizeibeamten laut, die kleine Frau Direktor erklärte ein solches Benehmen für unerhört, während Alma Mia schon beinahe weinte. Fels und Bär beschlossen daher, ihre private Unterhaltung zu beendigen, nicht aber bevor Fels eine naheliegende Frage erörtert hatte:

      „Lieber Bär,“ sagte er, „das alles, was du da erfahren hast, ist sehr wundersam und muß doch dein kriminalistisches Gehirn intensiv beschäftigen!“

      „Sprich nur ganz ruhig deutsch,“ erwiderte Dr. Bär. „Natürlich könnte die Tatsache, daß Herr Langer den Tod der beiden Frauen als Erlösung empfunden haben muß, eine neue Fährte bilden. Aber nach meiner festen Überzeugung eine falsche Fährte. Denn wohl würden wir beide normal empfindende Menschen den Tod solcher Frauen als Glücksfall empfinden; ist dies aber auch bei August Langer der Fall? Ich glaube nicht! Dieser Mann braucht wahrscheinlich, um leben zu können, die Unterjochung unter weiblichen Willen, und was uns Qual bedeuten würde, ist ihm Wollust. Ganz abgesehen davon, wäre dieser Schwächling nie und nimmer imstande, die Initiative zu einem solchen Verbrechen zu ergreifen, die Mörder zu dingen, einen großzügigen Plan zu entwerfen. Dieser Mann stirbt lieber selbst, bevor er einen heroischen Entschluß faßt. Nicht einmal einen Selbstmord würde ich dem Schwächling zutrauen, geschweige einen Mord.“

      Während Oskar Fels nickte, wie ein Mensch, der mit dem, was ihm gesagt wurde, vollständig einverstanden ist, begaben sich die beiden Freunde nun zu ihrem Tisch, an dem sie durch „Schmeißen“ einiger Runden Kognak Buße leisten mußten.

      Achtes kapitel

      Oskar Fels saß am nächsten Vormittag reichlich unausgeschlafen in der Redaktion an seinem Schreibtisch, um noch für das Abendblatt einen weiteren großen Artikel über den Mord im Cottage zu schreiben. Der Herausgeber hatte kategorisch erklärt, daß er mindestens zwei Spalten im Abendblatt und vier im Morgenblatt haben wolle, und Fels konnte ihm dabei nicht ganz unrecht geben. Tatsächlich interessierte sich „ganz Wien“ nur mehr für den Mord und die Frage, ob die Polizei in der Person Holzingers einen Unschuldigen oder den Mörder festgenommen hatte. Der Artikel im Morgenblatt der „Weltpresse“ ließ die ganze öffentliche Meinung auf die Seite des Verhafteten treten und schon hagelte es von Zuschriften, Anregungen und Meinungsäußerungen. Auch mit der Person der ermordeten Frauen und des Herrn August Langer beschäftigten sich die Wiener intensiv und es schien Fels, daß die eigenartigen Familienverhältnisse in der „Villa Mabel“ schon Gegenstand der öffentlichen Diskussion waren. Eben hatte der Herausgeber dem Journalisten einen Brief überwiesen, den er von einem ebenfalls im Cottage wohnenden Bankdirektor bekommen hatte. Der Brief trug den Vermerk „Höchst vertraulich“ und enthielt eine Schilderung eines Soupers, das der Bankdirektor mit seiner Frau in der „Villa Mabel“ mitgemacht hatte. Es hieß in dem Schreiben:

      „Ich kannte Herrn Langer schon seit Jahren durch rege geschäftliche Verbindungen und hielt ihn immer für einen sehr klugen, gebildeten Menschen, der sich über die Fragen des Tages vorzüglich orientiert zeigte und seiner Meinung oft in lebhafter, gewöhnlich sehr flüssiger Weise, Ausdruck gab. Einmal, beim Derby, trafen wir ihn in Gesellschaft der beiden jetzt ermordeten Damen, und meiner Frau fiel es angenehm, mir eher unangenehm auf, wie beflissen höflich und zuvorkommend, nach meiner Meinung etwas lakaienhaft sich Herr Langer gegenüber Frau und Schwägerin benahm. Um nur ein Beispiel anzuführen: Ich hatte durch einen Trainer den Rat erhalten, im Derby auf ‚Mayflower‘ zu setzen, und teilte dies Langer mit. Bevor wir uns später zum Buchmacher begaben, entnahm Langer seiner Brieftasche fünf Hundertkronenscheine, worauf ihn seine Frau fragte, auf welches Pferd er setzen wolle. Auf ‚Mayflower‘, war seine Antwort, und er erklärte die Gründe hiezu. In scharfer, geradezu peinlicher Weise erklärte aber seine Frau: ‚Nein, du wirst auf ‚Wotan‘ setzen!‘ Als Langer nun mit einem scheuen, verlegenen Blick auf mich einen leisen Einwand erhob, schlug seine Schwägerin mit der Hand heftig auf die Logenbrüstung auf und zischte hervor: ‚Wir haben gesagt auf ‚Wotan‘, und damit basta!‘

      Ich war über diese Art und Weise, einem Manne zu befehlen, verblüfft und auch meine Frau blickte mich betreten an. Groß war aber meine Freude, als ‚Mayflower‘ gewann und ich das vierfache Geld einstrich, während Frau Langer ihrem Gatten boshaft sagte: ‚Das kommt davon, wenn ein Mensch seinen Willen nicht durchsetzen kann.‘ Ich empfand das als eine gerechte Bestrafung allzu großer Nachgiebigkeit.

      Einige Tage später lud uns Frau Langer zum Souper ein und wir nahmen an. Dabei ereignete sich etwas für mich schier Unfaßbares. Zunächst fiel mir unangenehm auf, wie schweigsam und verdrossen der Hausherr war, und meine Frau flüsterte mir schließlich, als wir uns von der Tafel erhoben hatten, zu: ‚Du, mir scheint, dieser Herr Langer wagt wirklich nicht, in Gegenwart seiner Frau den Mund aufzumachen.‘ Ich aber hatte einigemal deutlich wahrgenommen, daß jedesmal, wenn Langer eine Äußerung tun wollte, er zunächst einen ängstlichen Blick zu seiner Frau gleiten ließ, die ihn daraufhin so herrisch, befehlend und boshaft in die Augen schaute, daß er schwieg. Miß Mac Lean tat zwar recht bescheiden und reserviert, aber mitunter kreuzten ihre Blicke die ihres Schwagers in seltsamer Weise, über deren Bedeutung ich mir heute noch nicht im klaren bin. Wir begaben uns dann in den Salon und es entwickelte sich ein Gespräch über die tollen Streiche der englischen Suffragettes, die sich immer mehr zur Landplage auswuchsen. Frau Langer wie Miß Mac Lean traten aber in leidenschaftlicher Weise für die Frauenrechtlerinnen ein und Frau Langer verstieg sich zu der wenig geschmackvollen Bemerkung: ‚Wenn jede Frau mit der Peitsche in der Hand im eigenen Hause ihr Recht vertreten würde, dann wären wir längst Wählerinnen,‘ Es entstand auf dieses Wort hin eine verlegene Stille, die Herr Langer schließlich durch eine beschwichtigende, begütigende Bemerkung unterbrach. In diesem Augenblick umfaßte Frau Langer mit ihrer rechten Hand das linke Handgelenk des neben ihr stehenden Gatten und sagte mit unangenehm mokanter Stimme und Betonung: ‚Schau, schau, du bist also auch gegen die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes!‘ Herr Langer