oben nehmen konnte.
»Oh Gott, das tut mir leid. Ich habe voll verpennt.« Mila ließ Caro herein und suchte ihre Sachen zusammen. Heute besuchte sie ihre Freundin zum ersten Mal zu Hause. Wie ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder wohl waren? Schnell stopfte sie alle wichtigen Sachen für die Feiertage in einen kleinen schwarzen Koffer – Nachtwäsche, Zahnbürste, Wechselwäsche, Socken und etlichen anderen Kram, den frau eben so brauchte.
»So! Ich bin fertig! Lass uns gehen!«
»Du weißt schon, dass es nur ein paar Tage sind? Oder wolltest du etwa bei mir einziehen?«, kicherte Caro, als sie den vollgestopften Koffer anschaute.
»Äh … war das ein Angebot?« Mila lachte laut und schob ihre Freundin samt Koffer aus der kleinen Studentenwohnung. Auf dem Weg zu Caros Elternhaus am Rand von Kopenhagen machten sie einen kurzen Abstecher zum Weihnachtsmarkt und tranken einen Glühwein. Mila war sehr glücklich darüber, an ihrem Geburtstag und an Weihnachten nicht allein sein zu müssen. Aber trotz aller Vorfreude auf die kommenden Tage war sie auch äußerst aufgeregt. Doch war das nicht ganz normal, wenn man zum ersten Mal in einem fremden Haus übernachtete? Allerdings war es dieses Mal irgendwie anders. Sie war fröhlich und aufgeregt, gleichzeitig spürte sie aber einen Kloß im Hals. Was erwartete sie?
***
Als sie die letzten Meter zu Fuß von der Bushaltestelle liefen, erkannte Mila bereits, dass dies eine noblere Gegend war. Die Häuser waren groß und hatten einen weitläufigen Vorgarten. Caros Eltern schienen ziemlich viel Geld zu haben. Kein Wunder, dass sie ihr erlaubt hatten, Mila über die Feiertage mit nach Hause zu nehmen. Ob einer mehr oder weniger am Weihnachtsessen teilnahm, tat sicher nichts zur Sache.
Caro schloss die massive, verschnörkelte Haustür auf und bat Mila herein. Der Boden des Eingangsflures war mit weißem Marmor besetzt, an der Decke hing ein großer Kronleuchter. Eigentlich sah es hier aus wie in der Eingangshalle einer großen Villa. Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ihre Augen funkelten wie die Kristalle des Kronleuchters, während sie die Treppe hinaufstieg und sich umsah, als wäre sie in einem Museum.
»Ja, hier wohne ich«, grinste Caro.
»Wow, das ist ja ein Palast!«, antwortete Mila, die selbst aus bürgerlichen Verhältnissen stammte. Caros Zimmer war modern und geschmackvoll eingerichtet: Weiße Bücherregale ragten an den Wänden empor und beherbergten viele tolle Romane unterschiedlichster Kategorien. Ein mit weißem Tüll behangenes Himmelbett stand in der Mitte des geräumigen Zimmers, das Fenster war eigentlich eine breite Glastür, die zu Caros privatem Balkon führte, auf dem sie sich im Sommer sonnen konnte.
»Du hast es echt schön hier!«, sagte Mila beeindruckt.
»Caro! Wir wollen zu Mittag essen!«, rief ihre Mutter aus der Küche.
»Wir kommen!«
»Oh mein Gott, Mittagessen?«, sagte Mila aufgeregt.
»Ja, das wird toll! Du wirst meine Familie kennenlernen. Ich hoffe sehr, dass du sie magst.«
»Solltest du nicht eher hoffen, dass sie mich mögen?«, kicherte Mila.
»Haha, ach was! Da hab ich keine Bedenken«, erwiderte Caro und ging als Erste die Treppe hinunter. Mila folgte ihr.
An den weißen Wänden im Treppenaufgang hingen Fotos der beiden Kinder sowie Malereien, die Mila beim Hinabsteigen der Stufen intensiver betrachtete, während Caro bereits in der Küche verschwunden war. Langsam schritt Mila die letzte Stufe hinunter, als sie mit jemandem zusammenstieß.
»Oh, Entschuldigung!«, sagte sie erschrocken und blickte nach oben – in wunderschöne, grün-braune Augen, die ihr einen Stromschlag vom Herzen bis in den Bauch verpassten.
Konnte es sein …?
Kapitel 2
Mila und der Mann starrten sich an. Beide hatten eine Art Déjà-vu und regten sich nicht.
Aus der Küche ertönten Geräusche von klirrendem Geschirr und Besteck. Der Timer piepte und die Ofentür wurde geöffnet, es duftete köstlich. Die beiden hatten sich immer noch keinen Millimeter bewegt. Es war, als wären sie sich bereits vertraut. Mila kannte ihn natürlich, doch sie wagte es kaum, seinen Namen auszusprechen.
»Jer-rik«, flüsterte sie.
»Das ist mein Vater, Mila!«, durchbrach Caro die Stille.
»Oh … äh … hallo. Freut mich sehr«, stotterte diese und zwang ein Lächeln auf ihr perplexes Gesicht.
»Guten Tag. Willkommen in Kopenhagen«, sagte der Schauspieler und schüttelte ihr die Hand. Auch ihm war dieser Moment unheimlich vorgekommen. Auch er hatte das Gefühl, als hätte er sie schon einmal gesehen. Diese großen braunen Augen kamen ihm so bekannt vor.
***
Alle saßen bei Tisch und aßen den Braten, den Caros Mutter Agatha zubereitet hatte. Es war eine sehr herzliche Runde, es wurde gegessen und geplaudert. Mila hatte einige Schwierigkeiten, dem Gespräch immer zu folgen, da ihr doch noch viele dänische Wörter in ihrem Wortschatz fehlten, doch was sie nicht verstand, wurde einfach auf Englisch wiederholt. Allerdings hatte Mila auch alle Hände voll zu tun, Jerrik Andersson nicht anzustarren. Hatten ihre Träume ihr etwa immer sagen wollen, dass sie Jerrik eines Tages treffen würde? Sie war total durcheinander und konnte es nicht fassen, dass er ihr gerade gegenübersaß. In der Realität sah er noch schöner aus als auf den Fotos und in den Filmen. Dabei war er so bodenständig geblieben – ein ganz normaler Mensch mit einer normalen Familie, die beisammensaß und zu Mittag aß. Mila fühlte sich verdammt wohl in seiner Nähe.
Alle halfen, den Tisch abzuräumen. Mila spürte eine merkwürdige Anspannung, wenn sie Jerrik näher kam oder sie sich aus Versehen berührten. Es lief ihr dann eiskalt den Rücken herunter. Vorsichtshalber mied sie jeglichen Augenkontakt. So gern hätte sie ihm gesagt, was sie alles geträumt hatte, ihn gefragt, ob er dieselben Träume hatte. Sie wollte ihn umarmen und küssen. Um diese Gedanken zu vertreiben, schüttelte sie leicht den Kopf. Schließlich befand sie sich hier im Hause ihrer neuen Freundin. Da konnte sie doch nicht daran denken, ihren Vater zu verführen. Was für ein bizarrer Gedanke war das denn? Mila schämte sich für ihre schmutzigen Gedanken.
***
Der Rest des Tages war ruhig verlaufen. Mila und Carolin waren am Nachmittag im Kino gewesen und hatten danach noch den Weihnachtsmarkt besucht, weil sie Caros neunzehnjährigem Bruder Lars versprochen hatten, ihm gebrannte Mandeln mitzubringen.
Jetzt lag Mila auf der Luftmatratze, die als Gästebett diente, starrte an die durch die Straßenlaternen spärlich beleuchtete Decke und ließ den Tag Revue passieren. Caro schlief bereits und schnarchte dabei leise. Mila kicherte innerlich, weil es sich so süß anhörte. »Wo hast du mich nur hingebracht, Caro?«, wisperte sie kaum hörbar.
Leise klopften die Regentropfen an das Fenster, der Wind jaulte und in der Ferne donnerte es. Diese Nacht war äußerst ungemütlich. Mila krabbelte aus dem Bett und zog sich hastig ihren Morgenmantel an. Auf nackten Füßen verließ sie das Zimmer und huschte zum Bad. Besetzt. Im unteren Stockwerk brannte noch Licht, also tapste sie auf Zehenspitzen die eiskalte Marmortreppe hinunter und ging zur Gästetoilette.
Da sie Durst hatte, machte sie danach noch einen Abstecher in die Küche. Es war ihr unangenehm, zu so später Stunde in einem fremden Haus umherzuwandern, doch Caro hatte ihr eingeschärft, sich wie zu Hause zu fühlen und sich zu nehmen, was immer sie brauchte. So öffnete sie behutsam den Kühlschrank und holte eine Flasche Wasser heraus. Wo waren noch gleich die Gläser? Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, den richtigen Schrank zu finden, öffnete plötzlich jemand hinter ihr einen der oberen Schränke und holte ein Glas heraus.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte Jerrik mit seiner wunderschönen tiefen Stimme, die Mila so vertraut vorkam.
»Ja, ich … ich habe Durst«, antwortete sie zittrig und drehte sich zu ihm um.
Stille.
Wieder sahen sie sich einfach nur an. Warum tat er das? Er war