Elisabeth Steinkellner

Esther und Salomon


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dich auch.

      Es ist nicht so,

      dass ich in der Schule gemieden würde.

      Es ist nur so,

      dass nie jemand meine Gesellschaft sucht.

      Wahrscheinlich

      liegt es gar nicht daran,

      dass sie mich nicht mögen.

      Wahrscheinlich

      finden sie mich einfach seltsam,

      weil ich meine alte Sofortbild-Kamera liebe

      und ernsthaft interessiert bin

      am Unterrichtsstoff.

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      Ich wünschte,

      ich könnte mit Valerie

      zur Schule gehen.

      Acht Stunden pro Tag

      an zweihundert Tagen im Jahr,

      für weitere vier Jahre

      verbringe ich an einem Ort,

      an dem ich einsam bin.

      Das ist ziemlich viel

      an Lebenszeit.

      »Hallo.«

      Ich schaue auf,

      sehe ihn

      und kapiere sofort.

      »Bist du Flippas Schwester?«

      Ich nicke,

      viel länger,

      als ein normaler Mensch nickt,

      und spüre dieses winzige

      Rumpeln der Welt,

      das etwas völlig Neues

      ins Rollen bringt.

      »Salomon.«

      »Esther.«

      Mehr

      fällt uns anfangs

      nicht ein.

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      »Vor zwanzig Jahren

      sind dein Vater und ich

      zusammen durch die Welt getrampt«,

      sagt Mama,

      »und jetzt sitzen wir hier,

      in diesem Hotel,

      und spielen reich und schön.

      Wie konnte sowas

      nur passieren?«

      Sie fragt nicht mich,

      sondern die Kirsche,

      die in ihrer Bowle schwimmt

      und vom Alkohol so angesoffen ist,

      dass sie auch keine Antwort weiß.

      Die Frau,

      die täglich unser Zimmer reinigt,

      hat freundliche Augen und kurzes Haar.

      Sie lächelt mir zu und ruft einen Gruß,

      wenn wir uns

      in den langen Korridoren

      des Hotels begegnen.

      Ihre Fröhlichkeit wirkt echt,

      nicht so,

      als wäre sie nur Teil ihres Jobs.

      Ich frage mich,

      wie sie es schafft,

      die Leute, deren Zimmer sie saubermacht,

      nicht zu beneiden.

      Sie nicht zu hassen dafür,

      dass sie für einen zweiwöchigen Aufenthalt

      in diesem Hotel

      viel mehr Geld ausgeben,

      als sie selbst in zwei Monaten

      verdient.

      Ob sie Kinder hat?

      Ich wünschte,

      ich wäre ebenso frei von Neid.

      Neid auf die Kinder,

      die eine Mutter haben,

      die so fröhlich ist.

      Am Morgen übergibt sich Flippa

      mehrmals hintereinander,

      vielleicht ein Sonnenstich.

      Mama verordnet ihr

      einen ruhigen Tag auf dem Zimmer,

      Flippa tobt und protestiert,

      doch Mama bleibt unerbittlich

      und zieht die Vorhänge zu.

      Flippa schlingt ihre Arme um mich,

      so fest, dass ich kaum Luft kriege,

      und fleht mich an,

      bei ihr zu sein.

      Ich hätte gerne ein bisschen Zeit

      für mich alleine,

      um durch die Stadt zu bummeln,

      zum Leuchtturm zu laufen,

      vielleicht zum Strand zu gehen.

      »Bittebittebitte«, bettelt Flippa.

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      »Was wünschst du dir

      am allermeisten?«

      Wir liegen auf Flippas Bett

      und schauen hinauf zur Decke,

      eine Packung Kekse und das Krokodil

      zwischen uns.

      Sie muss keine Sekunde überlegen:

      »Einen Delphin zum Freund,

      ein Baumhaus,

      mit dem man fliegen kann,

      und dass Mama und Papa

      sich wieder verstehen.«

      Ich muss keine Sekunde überlegen,

      um zu wissen:

      Nichts davon

      kann ich ihr je erfüllen.

      »Schichtwechsel!«,

      rufe ich,

      als Mama das Zimmer betritt.

      Ich küsse Flippa auf die Wange

      und bin draußen,

      bevor jemand

      Einspruch erheben kann.

      Links geht es in Richtung Stadt,

      rechts zum Leuchtturm

      und zum Strand geradeaus.

      Mein Kopf spult

      einen von Flippas Auszählreimen ab:

       Ene, mene, muh

      und raus bist du.

      Links,

      entscheidet der Reim.

      Raus bist du noch lange nicht,

      musst erst sagen, wie alt du bist

      Rechts,

      entscheidet