dich auch.
Es ist nicht so,
dass ich in der Schule gemieden würde.
Es ist nur so,
dass nie jemand meine Gesellschaft sucht.
Wahrscheinlich
liegt es gar nicht daran,
dass sie mich nicht mögen.
Wahrscheinlich
finden sie mich einfach seltsam,
weil ich meine alte Sofortbild-Kamera liebe
und ernsthaft interessiert bin
am Unterrichtsstoff.
Ich wünschte,
ich könnte mit Valerie
zur Schule gehen.
Acht Stunden pro Tag
an zweihundert Tagen im Jahr,
für weitere vier Jahre
verbringe ich an einem Ort,
an dem ich einsam bin.
Das ist ziemlich viel
an Lebenszeit.
»Hallo.«
Ich schaue auf,
sehe ihn
und kapiere sofort.
»Bist du Flippas Schwester?«
Ich nicke,
viel länger,
als ein normaler Mensch nickt,
und spüre dieses winzige
Rumpeln der Welt,
das etwas völlig Neues
ins Rollen bringt.
»Salomon.«
»Esther.«
Mehr
fällt uns anfangs
nicht ein.
»Vor zwanzig Jahren
sind dein Vater und ich
zusammen durch die Welt getrampt«,
sagt Mama,
»und jetzt sitzen wir hier,
in diesem Hotel,
und spielen reich und schön.
Wie konnte sowas
nur passieren?«
Sie fragt nicht mich,
sondern die Kirsche,
die in ihrer Bowle schwimmt
und vom Alkohol so angesoffen ist,
dass sie auch keine Antwort weiß.
Die Frau,
die täglich unser Zimmer reinigt,
hat freundliche Augen und kurzes Haar.
Sie lächelt mir zu und ruft einen Gruß,
wenn wir uns
in den langen Korridoren
des Hotels begegnen.
Ihre Fröhlichkeit wirkt echt,
nicht so,
als wäre sie nur Teil ihres Jobs.
Ich frage mich,
wie sie es schafft,
die Leute, deren Zimmer sie saubermacht,
nicht zu beneiden.
Sie nicht zu hassen dafür,
dass sie für einen zweiwöchigen Aufenthalt
in diesem Hotel
viel mehr Geld ausgeben,
als sie selbst in zwei Monaten
verdient.
Ob sie Kinder hat?
Ich wünschte,
ich wäre ebenso frei von Neid.
Neid auf die Kinder,
die eine Mutter haben,
die so fröhlich ist.
Am Morgen übergibt sich Flippa
mehrmals hintereinander,
vielleicht ein Sonnenstich.
Mama verordnet ihr
einen ruhigen Tag auf dem Zimmer,
Flippa tobt und protestiert,
doch Mama bleibt unerbittlich
und zieht die Vorhänge zu.
Flippa schlingt ihre Arme um mich,
so fest, dass ich kaum Luft kriege,
und fleht mich an,
bei ihr zu sein.
Ich hätte gerne ein bisschen Zeit
für mich alleine,
um durch die Stadt zu bummeln,
zum Leuchtturm zu laufen,
vielleicht zum Strand zu gehen.
»Bittebittebitte«, bettelt Flippa.
»Was wünschst du dir
am allermeisten?«
Wir liegen auf Flippas Bett
und schauen hinauf zur Decke,
eine Packung Kekse und das Krokodil
zwischen uns.
Sie muss keine Sekunde überlegen:
»Einen Delphin zum Freund,
ein Baumhaus,
mit dem man fliegen kann,
und dass Mama und Papa
sich wieder verstehen.«
Ich muss keine Sekunde überlegen,
um zu wissen:
Nichts davon
kann ich ihr je erfüllen.
»Schichtwechsel!«,
rufe ich,
als Mama das Zimmer betritt.
Ich küsse Flippa auf die Wange
und bin draußen,
bevor jemand
Einspruch erheben kann.
Links geht es in Richtung Stadt,
rechts zum Leuchtturm
und zum Strand geradeaus.
Mein Kopf spult
einen von Flippas Auszählreimen ab:
Ene, mene, muh
und raus bist du.
Links,
entscheidet der Reim.
Raus bist du noch lange nicht,
musst erst sagen, wie alt du bist …
Rechts,
entscheidet