Louise Boije af Gennäs

Nice Girls


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mehr Milch dazu. Einige Stückchen Schokolade rutschten hinterher, übriggeblieben bei einer Party, die sie vor einem Monat gegeben hatte.

      Alles dauerte höchstens eine Viertelstunde.

      Stella spürte, wie ihr an so was nicht gewöhnter Magen wie ein Sperrballon herausstand, als sei sie schwanger, schwanger mit Essen. Sie vermochte einfach nicht an den widerwärtigen Zustand zu denken, in dem sie sich befand. Niemals sollte ihr Körper all diese Kalorien behalten dürfen! Was hatte sie sich dabei gedacht, das Pyttipanna in sich hineinzuschaufeln!

      Verdammter Jonas, es war seine Schuld. Sie ging hinaus in die Toilette, nahm die Haare mit einem Gummiband im Nacken zusammen, steckte zwei Finger in den Hals und übergab sich.

      Erst kam eine knäckebrotartige Masse, gefolgt von der klebrigen, gelben Schmiere aus Mehl, Zucker und Butter. Danach kam das Pyttipanna, bröckchenweise. Ganz zuletzt kamen die halbgeschmolzenen Schokoladenstückchen. Offenbar waren sie am schwersten und landeten deshalb am weitesten unten im Magen.

      Stella wunderte sich über ihr wissenschaftliches Interesse an dem Vorgang, ihre Kälte, ihre ungeheure Ruhe, ihre Beobachtungen zur Konsistenz der Speisen. Sie registrierte alles, ihr Gehirn war messerscharf und konzentriert.

      Dennoch fühlte sie nichts.

      Alle Gefühle standen auf Null.

      Als nur noch saurer Magensaft in ihr zu sein schien, Stella sich selbst vor Anstrengung stöhnen hörte und der Schmerz sich in den Bauchmuskeln ausbreitete, richtete sie sich endlich auf und betrachtete sich im Badezimmerspiegel. Ihre Augen waren rot und wäßrig von der Tränenflüssigkeit und Anstrengung, die Mascara saß überall, nur nicht auf den Wimpern, aus dem Mund hingen Speichelfäden, und der Schlund schmerzte von der unsanften Behandlung durch die Nägel.

      Dennoch fühlte sie sich merkwürdig erleichtert.

      Frei.

      Befreit.

      Befreit von einer Last, wenigstens zeitweilig.

      Stella putzte sich sorgfältig die Zähne, wusch ihr Gesicht erst mit warmem, dann mit kaltem Wasser und bearbeitete danach die Hände mit der Nagelbürste, um den Geruch von den Fingern zu entfernen. Dann nahm sie eine heiße Dusche, bedeckte den ganzen Körper mit weicher, schäumender Seife, trocknete sich ab und zog das Nachthemd über, ein altes verschlissenes aus Flanell, das sie während der Gymnasiumszeit von ihrer Mutter bekommen hatte, doch heute wenig benutzte, weil Benjamin es so überhaupt nicht sexy fand. Dann schließlich zog sie ihren abgewetzten, frischgewaschenen Frotteemorgenrock über, den sie seit der Zeit besaß, als sie noch zu Hause gewohnt hatte.

      Draußen war es hell geworden.

      Stella saß am offenen Fenster mit ihrer Gitarre und klimperte leise vor sich hin. Die Morgenluft kühlte ihr heißes Gesicht, und die Finger spielten ganz von selbst: ›It’s my party‹. In einigen Stunden würde sie aufstehen, und dann gab es wieder Tee zum Frühstück, genau wie immer. Alles würde weitergehen, genau wie immer. Sogar das hier.

      12.

      Stella war die erste von ihnen, die zu arbeiten begonnen hatte und eigenes Geld verdiente. Einerseits war ihre Mutter nicht gerade vermögend, andererseits gefiel Stella die Unabhängigkeit, die ein eigenes Einkommen mit sich brachte. Während der Sommerferien, wenn Catta bei ausländischen Familien wohnte, um Sprachen zu lernen, Gunvor auf dem Lande war und Lizzie mit ihrer Familie an die Westküste fuhr, hatte Stella immer einen Job im Zentrum von Stockholm. Sie nahm, was sich bot: Aushilfe im Buchhandel, Zeitungen austragen, im Kiosk stehen, Verkauf von Bootsfahrten vor dem Grand Hotel, Eintrittskarten lochen in Gröna Lund. Mit der Zeit hatte sie eine ganze Menge Erfahrungen in den verschiedensten Jobs gesammelt, ganz abgesehen von all den unterschiedlichen Menschen, mit denen sie in Berührung kam.

      Dennoch waren es nicht Menschen, die Stella am meisten interessierten. Es waren Tiere.

      Einen Sommer hatte sie auf Skansen einige Wochen als Gehilfin eines der älteren Tierpfleger gearbeitet. Sie gingen von Gehege zu Gehege und fütterten die verschiedenen Pelztiere. In Stellas Erinnerung war diese Zeit auf Skansen ein einziges langes, wunderbares Gespräch mit einem netten Onkel, während sie auf den sonnenbeschienenen Wegen entlangspazierten.

      Es war fantastisch, die Tiere fressen zu sehen. Im Unterschied zum Menschen nahmen sie die Nahrung nicht zu sich, weil sie schmeckte, sie fraßen, um zu überleben. Sie verschlangen ihr Fressen mehr, als daß sie den Geschmack spürten, um sich dann in aller Ruhe zurückzuziehen und zu verdauen. Fressen war für die Tiere Energie, kein Machtmittel oder eine Sache des Genusses.

      Stella hatte schnell ihre Lieblinge gefunden. Die Äffchen mochte sie besonders, und diese ihrerseits liebten es, auf ihr herumzuklettern und sich in ihren roten Haaren festzukrallen. Die Bärenkinder waren verschmust und fordernd und stupsten unsanft, wenn man ihnen nicht die Aufmerksamkeit zukommen ließ, die sie zu verdienen meinten. Sogar die Robben waren zärtlichkeitsbedürftig: Sie drehten ihre Bäuche nach oben und wollten mit Stöckchen gekratzt werden, besonders wenn sie gerade gefressen hatten. Stella lief umher wie in einer neuen Welt. Hier gab es eine Einfachheit, eine bedingungslose Liebe, einen schamlosen Egoismus und ein geradliniges Verhalten zur Umwelt und zum Leben, denen sie in der Welt der Menschen noch nie begegnet war.

      Der Tierpfleger war nicht nur ein netter Onkel. Er war auch politisch engagiert und saß im Vorstand einer Interessengruppe für die Rechte der Tiere. Stella bekam Material, Broschüren, Bücher zu lesen. Zum erstenmal hörte sie von Tierversuchen in Laboratorien, Mißhandlung von Haustieren, von durch Aussterben bedrohten Arten überall auf der Welt ebenso wie von Arten, die es jetzt schon nicht mehr gab. All das zusammengenommen machte einen gewaltigen Eindruck auf sie.

      Mit siebzehn beschloß Stella, ihr Leben der Arbeit für den Tierschutz zu weihen.

      Dann war der Sommer zu Ende, und andere Dinge kamen dazwischen. Stella fuhr zu ihrem letzten Jahr nach Lundsberg, machte das Abitur, begab sich zusammen mit Freunden auf eine Interrailtour durch Südfrankreich und Nordspanien und begriff, wie wichtig es war, sich einen Job zu beschaffen. Zum Herbst bekam sie Arbeit bei NK und blieb ein Jahr lang dort, wo sie einiges über Konfektion erlernte. Dann hatte sie die Möglichkeit, mit einer Familie als Au-pair-Mädchen nach New York zu gehen und machte das ein weiteres Jahr. Nach Hause gekommen, fing sie in der Boutique einer Freundin ihrer Mutter an und ließ sich sogar überzeugen, nebenher ein paar Näh- und Zuschneidekurse zu belegen.

      Plötzlich schien ihr Weg klar und vorgezeichnet. Stella traf Leute von der Designschule Beckman und der Zuschneideakademie, sie half mit, Modenschauen und Modeaufnahmen zu arrangieren, und allmählich hatte sie so etwas wie einen Namen unter den jüngeren Modeinteressierten. Sie hörte in der Boutique auf und gründete eine eigene Firma. Zeitweise teilte sie sich die Räume mit anderen, dann wieder stand sie ein paar Wochen hier und da hinter dem Ladentisch oder sprang bei der Moderedaktion irgendeiner Zeitschrift ein.

      Dann plötzlich war da jemand, der einen Vertrag über ein Geschäft am Odenplan kündigen wollte. War Stella interessiert?

      Sie griff sofort zu. Endlich würde sie ihren eigenen Laden besitzen! Das einzige Problem war das Geld. Stella beschloß, es auf die denkbar einfachste Art zu lösen: indem sie ihren Vater fragte. Gefühle waren nie seine starke Seite gewesen, aber er verstand sich desto besser auf Investitionen und eigene Unternehmen. Zum erstenmal seit der Scheidung wandte sie sich an ihn und bat ihn um finanzielle Unterstützung. Er half ihr sofort mit einem Startkapital, das für den Anfang reichte, und dann lief das Ganze von selbst.

      Stella hatte ihren Laden jetzt schon vier Jahre. Sie machte noch immer alles, vom Stylistinnenjob bei Wochenblättern bis zu ausgefallenen Modenschauen, um Geld zu verdienen, doch am meisten Spaß hatte sie am Geschäft. Wenn sich die Gelegenheit ergab, oft weil eine Zeitschrift oder ein Designer ihr Ticket bezahlte, verschwand sie nach New York oder London, kaufte Secondhandkleidung ein und kam nach Hause, beladen mit Klamotten und neuen Ideen.

      Sie wurde nicht reich davon. Aber es machte Spaß.

      Manchmal, vor allem wenn sie Leute mit reizenden Haustieren traf, aber auch wenn sie im Fernsehen Filme über vom Aussterben bedrohte