Nataly von Eschstruth

Ende gut, alles gut


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      Wieder ein jauchzendes Entzücken der Kinder.

      Frau Minna aber bebte vor Erregung an allen Gliedern und wischte mit den blauroten, aufgesprungenen Händen die Tränen aus den Augen.

      Sie hatte sich so lange tapfer gehalten. In aller Angst und Not war sie fest und zuversichtlich geblieben; jetzt, wo zum erstenmal wieder nach langer Zeit ein Sonnenstrahl der Hoffnung durch die dunklen Wolken brach, sank sie für einen Augenblick schwach in sich zusammen, als sei die Freude eine noch ungewohnte grössere Last, wie alle andern Bürden zuvor.

      Zweites Kapitel.

      „Auf dem Papenburger Moor ist noch alles so ziemlich unverändert“, begann Herr Ebstorf beinah feierlich und blies den blauen Tabaksrauch voll sichtlich grössten Behagens in die kalte Stubenluft. „In der Einsamkeit der Heidemoore geht die Zeit fast spurlos vorüber, und das ist etwas ausserordentlich Schönes.

      Wenn man aus dem ruhelosen Getriebe der Grossstadt kommt, wo beinah täglich ein Wechsel und Wandel an Menschen und Gegenständen offenbar wird, so mutet es einen da draussen an wie ein Stück Unvergänglichkeit, wie etwas Dauerndes, Ewiges, mit welchem man gern anfängt. Hier in der grossen Welt wird gebaut, um wieder eingerissen zu werden, wird das eben erst Neue über Nacht alt und muss Modernerem weichen.

      Das zeigen schon die Menschen in ihrem Äussern an. —

      Grossmutter ... Mutter ... Enkelin ... stellt sie einmal nebeneinander, ob sie noch einen Zug von Ähnlichkeit miteinander haben? Nein, fremd und völlig anders anzuschauen sieht es aus, als gehörten diese, sich aus einem Fleisch und Blut als die Nächsten Angehörenden, gar nicht zusammen.

      Die Haarfrisur, die Machart der Kleider, das so gänzlich veränderte Wesen und Gebaren, alles weicht himmelweit voneinander ab, und die Alten fühlen sich als Fremdlinge unter den Jungen, und die Jungen unverstanden unter den Alten.

      Die Ereignisse überstürzen sich, — man hat keine Zeit mehr, Erinnerungen zu pflegen, und kommt man nach Jahren selbst in einen kleineren Heimatsort zurück, so heisst es auch da: Und seine Stätte kennet ihn nicht mehr!

      Das stimmt wehmütig und macht vor der Zeit müde.

      Ich bin nie mehr nach Merseburg gefahren, wo mein Vaterhaus steht.

      Steht? Nein, es stand.

      Völlig umgebaut, alle liebe, traute Eigenart verwischt — der schöne, grosse Garten, mit welchem meine liebsten Kinderjahre verwachsen sind, war verschwunden, und statt der herrlichen Obstbäume, Blumen- und Gemüsebeete starrten mich kalte Steinmauern neu gebauter Häuser wie Feinde an. — Die alten Menschen, Freunde und Bekannte weggefegt vom Lebenssturm, hierhin und dorthin in die Welt zerstreut; nur ein paar einzelne bekannte Gesichter schauten mich wie Marksteine am Wege an — und ihre Altersfalten schienen mir unheimliche Zahlen zu sein, welche ein flüchtiges Menschenleben abrechnen.

      ‚Wer bist du?‘

      ‚Was willst du hier?‘

      ‚Nichts! — Nur mich überzeugen, dass ich kein Vaterhaus, keine Heimat mehr habe.‘

      Wie anders war das im Papenmoore!

      Just an einem Sonntag traf ich ein. Genau so, wie vor langen, langen Jahren die Väter, Gross- und Urgrossväter mit den stattlichen Frauen zur Kirche geschritten, so begegneten sie mir auch heuer.

      Der schwarze, lange Rock, die feierliche Weste, den steifen Hut, welcher nach oben etwas breiter wird, und den langen Krückstock in der Hand, zogen sie die sonnigen Wiesenpfade daher. Die Frauen, unverändert anzuschauen wie die Ahnen, im dunklen, samtgesäumten Kleid, welches breit in die Höhe geschlagen wird, dass der feuerrote Unterrock stolz darunter hervorleuchtet, die Puffärmel und das zipfliche tiefblaue Kopftuch, mit flottem Schritt an ihrer Seite, just so, wie ich sie anno 1911 geschaut und ganz genau ebenso, wie der weisshaarige Pfarrer jene seit einem halben Jahrhundert getauft, getraut und eingesargt hatte!

      Da kam es mir vor, als wäre ich nie in der Fremde gewesen, als wäre ich Tag um Tag geblieben da, wo mir alles so wohlbekannt entgegengrüsste, in der Heimat!“

      „Wie ist das so schön!“ nickte Frau Minna; „so ein Empfinden kann ich dir nur allzu gut nachfühlen, Arnold! — Man klagt so oft, dass die moderne Jugend so wenig Heimatsgefühl kennt, weil nur wenige noch sesshaft sind, — die eigene Scholle fehlt, auf welcher sie mit der Heimat verwachsen!“

      „Nicht wahr, Minchen! Seit man dies mit Schmerzen erkannt hat, streben viele Tausende nach einem eigenen Stückchen Vaterland, eine Sehnsucht, welche die Siedelungsgesellschaften ja nach Kräften stillen.“

      „Und wie war es bei Uthlede?“

      „Just so, Frauchen, wie in einem Haus, wo zu glücklicher Stunde die Uhr stehengeblieben. Mir schien’s, ich hatte nur geschlafen, und trat aus dem Knechtshaus just wie ehemals auf den Hof heraus, um wohlig die Arme zu dehnen!

      Da stand der Hans Uthlede und schaute mir entgegen.

      War er älter geworden? — Selbstverständlich, aber man sah’s nur nicht.

      Das sonngebräunte Gesicht, glattrasiert, mit den runden, roten Wangen unter dem weissen Haar, die kurze Stummelpfeife im Mundwinkel hängend — Rock und Hosen — alles unverändert wie damals.

      Er zwinkerte mir noch ebenso verschmitzt mit den Augen entgegen wie Anno 1911, und der Phylax, der struppige Pinscher, kläffte aus der Haustüre heraus, als hätte ich eben erst, wie dazumal mit der Soldatenmütze nach ihm geklappt.

      Nicht mehr ganz so scharf wie ehemals schien er mir, — als ich’s aber sagte, lachte der Bauer vergnüglich auf und schüttelte den Kopf. ‚Kürl!‘ sagte er, ‚wat snakst da! Dat is doch nich der sülm Töl von dermolen! Dei olle Phylax is man daud, — äwerst de Lütt hier is sein Sohn, sieht akkarad so ut, as de Oll’, und heet ok Phylaxel!‘

      Das ist’s eben! Der Sohn vom alten Phylax! In die Lücke, welche durch den Tod des treuen alten Tieres entstand, rückte sofort Ersatz ein, — und niemand sah und merkte es sonderlich, denn die Generationen glichen sich zum Verwechseln!

      Ebenso das Vieh in den Ställen.

      Da standen die Kühe und Pferde noch genau so in Reih und Glied wie vor Jahren. Ob’s dieselben waren?

      Ich fragte gar nicht! Ich sah sie, — sie waren da, das genügte.

      Auf dem Hof standen die Ackerwagen, die Drillmaschine, lagen die Eggen neben dem alten Ziehbrunnen, die Schiebkarre lag noch ebenso umgestülpt mit dem Rad nach oben, wie sie mich ehemals schon geärgert hatte, und in der Schweineboxe tummelten sich im Sonnenschein die drallen Ferkel neben zwei prächtigen Sauen ... auch die späten Enkelinnen der damaligen, — aber sie glichen einander aufs Haar, und diese Täuschung löste die behaglichsten Gefühle bei mir aus.

      Die Hühner gackerten in buntem Schwarm vor der offenen Scheunentür und suchten, ebenso wie vor Jahren, die verstreuten Körner; schillrige Tauben flatterten um den Giebel und girrten mir zu, als wollten sie erstaunt fragen: ‚Is all wedder Manövertid?‘

      Nur ein paar Pfautäubchen waren neu dazwischen, und grade diese kleine Ausnahme zeigte, wie unverändert sonst das Alte war.

      Und doch nicht alles.

      Die damals neu gepflanzten Obstbäume waren hoch und vollkronig emporgewachsen; weil aber die überständigen zwischen ihnen herausgeschlagen waren, so hatte sich das Bild nicht sonderlich verändert.

      ‚Heda! Wilm! Bist du das?‘ rief ich einem stämmigen Bursch zu, dessen Flachshaar mir so bekannt vorkam.

      Er grüsste und trat näher.

      Noch ebenso wortkarg und verlegen wie damals als Hütejunge.

      Ja, er war’s! Nun kannte ich das Gesicht gleich wieder.

      ‚Bist immer noch hier, Willem? Ist’s dir auch gut gegangen?‘

      Er glotzte mich mit starrem Staunen an. Als ob es ihm hätte schlecht gehen können! Hier auf