Inger Gammelgaard Madsen

Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3


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zu tun, da sollen sie nicht reingezogen werden!«

      Er verstand, dass sie die Kinder beschützen wollte, aber sie waren wohl schon auf die eine oder andere Weise darin verwickelt, wenn sie in der Mordnacht mit ihrem Vater draußen gewesen waren, um Spuren im Schnee zu finden.

      »Außerdem sind sie nicht zu Hause, sie ...« Sie brach plötzlich ab, als zwei Teenager heftig diskutierend um die Hecke auf den Hof einbogen. Mit den breiten Nasen sahen sie beide ihrer Mutter ähnlich. Sie hatten Strickmützen tief in die Stirn gezogen und moderne Schulranzen auf. Das Mädchen legte ihren ab, was wegen der Fausthandschuhe mühsam war. Ihre Gesichter waren von der Kälte gerötet, sie sahen durchgefroren aus. Er vermutete, sie waren den ganzen Weg von der Bushaltestelle an der Straße gelaufen. Als sie das Auto auf dem Hof entdeckten, blieben sie stehen und schauten zu ihnen auf der Treppe herüber.

      »Na, aber jetzt sind sie ja hier!«, stellte Ella Geisler spöttisch fest. »Das ist ein Polizist, Kinder. Er würde gerne mit euch sprechen.« Sie ging hinein und ließ die Tür offen stehen. Roland ließ Dorthe und Sam zuerst reingehen, er folgte ihnen und zog im Windfang die Stiefel aus. Im Flur roch es weder nach Kuh noch nach Schwein wie bei den Nachbarn, aber stattdessen herrschte ein süßlicher Zwiebelgeruch.

      Dorthe und Sam schienen nicht so ganz zu wissen, wie sie sich dem unerwarteten Polizeibesuch gegenüber verhalten sollten. Sie wirkten, als hätten sie etwas Verbotenes getan. Aber hatten nicht alle irgendetwas auf dem Gewissen, wenn sie dem langen Arm des Gesetzes gegenüberstanden?

      »Lasst uns in eines eurer Zimmer gehen und keine Sorge, ich will euch nur ein paar Fragen stellen«, beruhigte sie Roland und folgte ihnen in ein Zimmer, das Dorthes sein musste.

      »Hier ist es am ordentlichsten«, meinte sie und warf ihrem Bruder einen hämischen Blick zu, während sie die Mütze vom Kopf zog. Blonde Locken kamen zum Vorschein und legten sich um die runden Wangen. Trotzig schaute sie ihn an. »Was wollen Sie uns denn fragen?«

      Flüchtig schaute er zu Ella Geisler, die sichtlich etwas gegen dieses Gespräch hatte, aber nichts tun konnte, um es zu verhindern. Resigniert sah sie ihn an, als er mit einem entschuldigenden Lächeln die Tür hinter sich schloss. Er setzte sich auf eine schwarze Schlafcouch und betrachtete den Raum. Er sah aus wie in Schöner Wohnen. Ganz anders als das Zimmer seiner Tochter, als sie in diesem Alter gewesen war. So musste man sich heutzutage wohl einrichten, um mithalten zu können, selbst wenn man auf dem Land wohnte oder vielleicht gerade dann. Die eine Wand war mit den bekannten knalligen Blumen von Marimekko beklebt, in Pink und Orange. Die Kissen auf der Schlafcouch passten dazu – von ein paar knallroten abgesehen. In der einen Ecke stand ein schwarzer Bürostuhl vor einem Tisch mit einem Notebook, das obendrein rosa war. An der Wand hing ein Flachbildfernseher. Keine Puppen, keine Teddys. Diese Zeit war längst vorbei. Die sogenannten Teens, die das Leben der Familien beherrschten. Arme Herr und Frau Geisler, die zwei von der Sorte hatten. Roland wandte sich dem Mädchen zu, das einen mürrischen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, der auch zum Teenageralter gehörte.

      »Womit arbeitet ihr hier auf dem Hof? Ich habe bemerkt, dass es keine Tiere gibt«, begann er.

      Das überrumpelte Dorthe, sie sah schnell zu Sam. Er antwortete. »Nur ’ne Menge Langweiliges, Weizen, Roggen, Gerste, zwischendurch Zwiebeln und Mais. Aber wir haben eine Katze.«

      Roland lächelte. »Ich würde natürlich auch gerne wissen, ob ihr letzte Nacht, als bei euren Nachbarn eingebrochen wurde, etwas gesehen oder gehört habt.«

      »Nee, ich hab nichts gehört.« Sam schielte zu Dorthe.

      »Nein, nicht bis da unten der Krach losging, als Signe gekommen ist und das ganze Haus geweckt hat«, übernahm Dorthe. Sie berichteten gleichzeitig von den Ereignissen in der Nacht, aber die Erklärung war die gleiche wie die ihrer Mutter, und so ließ nichts darauf schließen, dass einer von ihnen in irgendeinem Punkt log.

      »Ihr wart mit eurem Vater draußen und habt nach Spuren gesucht – wo habt ihr gesucht?«

      »Bis zur Straße runter, aber es war nichts zu sehen. Es hatte ja viel geschneit.«

      Roland nickte. »Ihr wart nicht im Wald?«

      »Im Zauberwald?« Sam riss erschrocken die Augen auf.

      »Ach, heißt der so? Warum das?« Roland versuchte, keine Miene zu verziehen, und schaute den Jungen ernst an.

      Dorthe setzte sich auf die Schreibtischkante und verschränkte die Arme. »Sie meinen das Wäldchen, stimmt’s? Nicht den Trige-Wald, oder?«

      »Nein, ich meine das Wäldchen, das Olga und Vagn Mortensen gehört. Es ist doch ganz in der Nähe, ihr habt doch bestimmt früher dort gespielt?«

      Dorthe starrte ihn an, als wäre er verrückt.

      »Ist es vielleicht gefährlich, da reinzugehen – in den Zauberwald?«, hakte er nach und es fiel ihm schwer, einen neckenden Tonfall zu verbergen.

      »Wir dürfen da nicht reingehen. Das ist wirklich gefährlich, das hat man uns immer gesagt. Da gibt’s einen See, und einmal ist ein Junge da drin ertrunken. Der ist unheimlich. Deswegen nennen wir ihn den Zauberwald, ich hab mal gesehen ...«

      »Halt die Klappe, Sam!«, unterbrach ihn Dorthe hart, und ihr Blick ließ ihn sofort gehorchen.

      »Was hast du gesehen, Sam?«

      »Gar nichts.«

      »Dann wart ihr letzte Nacht also nicht dort?«

      »Nein, warum wollen Sie das wissen?«

      Roland stand auf und ging näher an ein paar Fotos von einer Gruppe Teenagermädchen heran, in deren Mitte Dorthe stand. Sie spielte offenbar Handball. »Ich wollte nur wissen, wo ihr gewesen seid, dann müssen wir ja da nicht suchen. Aber in den Wald müssen wir also noch gucken. In welcher Mannschaft spielst du?« Er schaute wieder Dorthe an. Ihr grobes Gesicht wurde durch ein stolzes Lächeln milder.

      »Skovbakken. Ich hoffe, ich komme mal in die Nationalmann­-

      schaft.«

      Roland ließ unauffällig den Blick über die fülligen Formen des jungen Mädchens gleiten, aber nun gehörten Handballspieler ja natürlich auch nicht zu den ganz Schmächtigen.

      Sam murrte ein bisschen über die viele Aufmerksamkeit, die seine Schwester bekam, und ergriff das Wort.

      »Wenn ihr in diesem Wald suchen wollt, müsst ihr Vagn erwischen, weil man nur da reinkommen kann, wenn er dabei ist«, erklärte er bestimmt.

      »Wieso das?«

      »Er hat den Schlüssel.«

      »Schlüssel? Schlüssel für einen Wald?«

      »Das stimmt«, bestätigte Dorthe. »Um den Großteil des Waldes und den See herum ist ein Zaun. Das ist nach der Sache mit dem Jungen passiert, damit nicht noch jemand reinfällt. Am Zaun ist ein Vorhängeschloss und nur Vagn hat dafür Schlüssel.«

      »Warum ist der Wald umzäunt und nicht nur der See? Damit die Trolle nicht rauslaufen?«

      Jetzt lächelte Dorthe trotz allem tatsächlich ein wenig. Sie war offensichtlich diejenige von den beiden, die man nicht so leicht reinlegen konnte. Aber Sam antwortete.

      »Nein, das ist wegen dem Wild. Da drin sind Rothirsche, und Vagn will nicht, dass die auf die Straße laufen und überfahren werden. Manchmal wird gejagt und dann ist es auch gefährlich, in den Wald zu gehen. Ich glaub auch nicht, dass die sich da verstecken. Man kann nichts sehen, wenn es dunkel ist«, fügte er hinzu.

      Roland nickte. Er glaubte es auch nicht, schon gar nicht nach dem, was er gehört hatte. Wenn da kein Auto reinfahren konnte, dann war dieses Versteck ausgeschlossen. Er wollte gerade noch mehr fragen, als die Tür aufgerissen wurde. Ein Mann trat bedrohlich in das Mädchenzimmer. Er passte nicht in die knallige Blumenumgebung.

      »Ich will wissen, worüber Sie meine Kinder ausfragen«, sagte Finn Geisler leicht drohend. »Müssen nicht Erwachsene dabei sein, wenn Kinder verhört werden?«

      Er trug einen dicken Mantel und einen