Ernst Wiechert

Das einfache Leben


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nach all dem jun­gen Blut, das er ge­trun­ken habe.

      Zu­erst schwieg Tho­mas, auf eine merk­wür­di­ge Wei­se er­grif­fen von der Art die­ses Man­nes, der wie nach ei­ner lan­gen Krank­heit sprach, lei­se, ei­lig, als wis­se er nicht ge­nau, ob die Ge­s­pens­ter des Fie­bers noch um ihn stän­den oder ob er schon vol­ler Ver­trau­en zu den Wa­chen­den und Ge­sun­den von den Ge­sich­tern sei­ner Träu­me spre­chen dür­fe. Dann aber be­gann er zu er­klä­ren, wer er sei – im­mer noch der Steu­er­mann auf großen Damp­fern –, und wes­halb er hier sich um­se­he. Auch dass er ei­gent­lich vor­ge­habt habe, der großen Stra­ße bis zur Stadt zu fol­gen, und nur et­was nicht Be­wuss­tes ihn ver­an­lasst habe, zur Förs­te­rei zu fah­ren. Wahr­schein­lich, weil der Wald ihm so gut und ver­traut vor­ge­kom­men sei, oder auch nur, weil der Süd­wind ihn müde ge­macht habe.

      Der Alte nick­te dazu, auf eine si­che­re Wei­se, als wis­se er das bes­ser, und mein­te, sie wür­den eine gute Nach­bar­schaft hal­ten. Er sei des­sen ge­wiss, denn er zweifle nicht dar­an, dass hier das Ziel des Gas­tes er­reicht sei; doch woll­ten sie erst spä­ter dar­über spre­chen, jetzt aber ih­ren Stand ein­neh­men.

      Sie wa­ren un­ter­des an den Rand nied­ri­ger Scho­nun­gen ge­kom­men, gin­gen einen gras­be­wach­se­nen Weg hin­aus, bis sie über ei­nem klei­nen Bruch stan­den, in des­sen Was­ser­blän­ken der Abend­him­mel sich spie­gel­te, und blie­ben dann zwi­schen ein paar Wa­chol­der­bü­schen, der Förs­ter auf sei­nem Sitz­stock und Tho­mas auf ei­nem der brei­ten Baum­stümp­fe, die die Son­ne des Ta­ges ein­ge­so­gen hat­ten.

      Noch nie mein­te Tho­mas den Wald so groß und un­be­rührt ge­se­hen zu ha­ben, fast dass er zum Fürch­ten hät­te sein kön­nen, wäre nicht das hun­dert­fäl­ti­ge Lied der Dros­seln ge­we­sen und der frem­de Ton ho­her Zug­vö­gel, die mit dem Win­de über den Wald zo­gen. Auch gin­gen sei­ne Ge­dan­ken im­mer wie­der zu dem Wort von der Nach­bar­schaft zu­rück, und von Zeit zu Zeit be­trach­te­te er un­auf­dring­lich den et­was vor ihm Sit­zen­den, der zwar das Ge­wehr über den Kni­en hielt, aber des­sen Auge und Ohr weit von al­ler Jagd ent­fernt zu sein schie­nen, zu den Abend­wol­ken auf­ge­ho­ben, die schmal, lang und rot­ge­säumt in den nörd­li­chen Ho­ri­zont fuh­ren, ein schwei­gen­des Ge­schwa­der, das den Schau­platz ver­ließ.

      Als dann end­lich die Dros­seln ver­stumm­ten, eine nach der an­de­ren, und zu­letzt nur noch aus dem schwarz ge­wor­de­nen Hoch­wald auf der an­de­ren Sei­te ab und zu ein Flö­ten­ton in das Schwei­gen fiel, mein­te Tho­mas, sei­ner Ju­gend­jah­re sich er­in­nernd, dass es nun Zeit sei, alle Sin­ne auf die Jagd zu rich­ten und auf den Ruf der Sch­nep­fe zu war­ten, der bei al­ler Sanft­heit so er­re­gend in das Herz des Jä­gers fällt.

      Aber ge­ra­de da, als er lei­se auf­ste­hen woll­te, be­gann der Förs­ter zu spre­chen, und es war aus dem Klang sei­ner Stim­me un­schwer zu er­ra­ten, dass sei­ne Ge­dan­ken die gan­ze Zeit nicht bei der Jagd ge­we­sen wa­ren.

      Beim Ska­ger­rak sei er viel­leicht auch da­bei­ge­we­sen, frag­te er be­hut­sam. Und auf Tho­mas’ be­ja­hen­de Ant­wort, ob so­gar viel­leicht auf ei­nem der Pan­zer­kreu­zer? Der »Seyd­litz« etwa?

      Nicht ge­ra­de dort, aber auf ei­nem Schwes­ter­schiff, er­wi­der­te Tho­mas und be­gann zu ah­nen, wor­über er Rede und Ant­wort zu ste­hen ha­ben wer­de. Doch war nun ge­ra­de der Ruf der ers­ten Sch­nep­fe zu hö­ren, über die Scho­nun­gen sich nä­hernd, über den klei­nen Bruch, im­mer nä­her und deut­li­cher, bis das graue, lei­se schwan­ken­de Bild aus dem Hin­ter­grund des Abends sich lös­te, der im Su­chen sich hin und her wen­den­de Kopf mit dem lan­gen Schna­bel ge­ra­de über ih­nen, der sanf­te, wie tief aus der Keh­le drin­gen­de Ton … und nun al­les vor­über war, schon hin­ter ih­nen, im­mer lei­ser wur­de und ver­schwand.

      Tho­mas war auf­ge­sprun­gen und hat­te die Hand nach dem vor ihm Sit­zen­den aus­ge­streckt, doch ließ er sie be­schämt wie­der sin­ken, als er von der Sei­te das Ge­sicht sah, das ei­nem fer­nen Vor­gang zu­ge­wen­det schi­en, ei­nem Vor­gang, der weit hin­ter der Er­schei­nung des Vo­gels sei­ne Um­ris­se in den Abend­him­mel zu zeich­nen schi­en.

      »Sa­hen Sie … das Feu­er?« frag­te die lei­se Stim­me.

      »Ja.«

      »Aus dem vor­de­ren Turm?«

      »Ja, alle sa­hen es.«

      »Eine hohe Säu­le?«

      »Hö­her als die Mas­ten … aber nie­mand hat Schmerz ge­lit­ten dort, nie­mand. Es muss ge­we­sen sein wie un­ter ei­nem Blitz­schlag, vor­bei, ehe man ahnt, dass es trifft.«

      »So sa­gen sie, und so schrie­ben sie auch, aber kei­ner ist da­bei­ge­we­sen, den es nur ver­sengt hät­te, nur das Haar und die Au­gen­brau­en, und er hät­te es dann er­zäh­len kön­nen …«

      Nun leg­te Tho­mas doch lei­se die Hand auf die ge­beug­te Schul­ter vor ihm. »Man soll das nicht aus­den­ken«, sag­te er. »Wie soll­ten wir le­ben, tap­fer und or­dent­lich, wenn wir das tä­ten?«

      »Ja, ja … auch ich sage so, zu ihr, die dar­über wun­der­lich ge­wor­den ist … nur … er fürch­te­te sich so vor dem Feu­er, ver­ste­hen Sie? Da war so eine schreck­li­che Ge­schich­te in sei­ner Kind­heit … wir hat­ten den Back­ofen ge­heizt, zum Brot­ba­cken. Die Glut war schon her­aus­ge­nom­men und dann auch die Bro­te. Der Back­ofen stand al­lein im Gar­ten, ab­seits, wie auf al­len Förs­te­rei­en. Da kam er mit den Hun­den hin­ter der Kat­ze her, so im Spiel, und sie sprang hin­ein. Er lach­te und warf die Türe zu, er wuss­te nicht, dass es glü­hend heiß war. Und im sel­ben Au­gen­blick schoss ich am Gar­ten­zaun einen Hüh­ner­ha­bicht. Da ver­gaß er al­les, die Kat­ze, den Ofen, die Hun­de. Er leb­te im­mer im Au­gen­blick, ganz und gar … Erst nach zwei Ta­gen fiel es ihm ein. Wir hör­ten ihn schrei­en, so schreck­lich, dass ich es heu­te noch höre. Da hat­te er sie ge­fun­den … und nun er selbst, eben­so … das Was­ser ist kühl und tief, und ich den­ke, dass man dort schla­fen kann, auf dem Grun­de, wo die frem­den Pflan­zen we­hen … aber so, ver­kohlt und ver­brannt … Got­tes Eben­bild zer­stört und ge­schän­det …«

      Er hob nicht die Hand vor die Au­gen, er sah im­mer noch ge­ra­de­aus, dort­hin, wo der Abends­tern mit sanf­tem Strah­len über dem Wal­de stand.

      »Nein«, sag­te Tho­mas mit Ent­schie­den­heit, »dann hat man Ih­nen Fal­sches ge­sagt und ge­schrie­ben. Wir ha­ben es in den Ha­fen ge­bracht, das zer­schos­se­ne Schiff, und von mei­nen Ka­me­ra­den wa­ren ei­ni­ge da­bei, als sie die Tür­me öff­ne­ten … nichts war ge­schän­det, sie wa­ren … sie zer­fie­len in Staub und Asche, als man sie her­austrug … ich sage Ih­nen die Wahr­heit, und Sie müs­sen es mir glau­ben!«

      »Staub und Asche«, flüs­ter­te der alte Mann, »das ist bes­ser, viel bes­ser … das ist, wie Gott es vor­ge­schrie­ben hat in der Bi­bel … Staub und Asche, das ist gut, und ich brau­che nicht mehr zu ha­dern …«

      Er blieb noch sit­zen, bis der Wald­kauz laut­los über ih­nen kreis­te. Dann gin­gen sie den dunklen Weg zu­rück. »Gru­ber hieß er«, sag­te er, »Va­len­tin Gru­ber … aber Sie ha­ben ihn nicht ge­kannt? Nein, die Schif­fe wa­ren ja auch so groß … kei­ner von uns weiß, wes­halb er so aufs Meer woll­te, nie­mals gab es das in un­se­rer Fa­mi­lie … Der See hat es ihm an­ge­tan, dort am Hau­se, nicht der Wald, nur der See. Sie wer­den noch mer­ken, dass er einen Zau­ber über den Men­schen wirft … Va­len­tin hieß er, weil ich ka­tho­lisch