war.
Beide blieben stehen und sahen Thomas an, der junge Mann zerstreut und noch mit seiner Beweisführung beschäftigt, das Mädchen aufmerksam und ohne Verlegenheit.
Thomas wollte mit einer leichten Verneigung zur Seite treten, doch blieb er stehen, nahm den Hut ab und sagte zu beiden gewendet, er sei Thomas Orla, der neue Fischer.
Während der junge Mann sich überrascht verbeugte und einen unverständlichen Namen murmelte, neigte das Kind auf eine altertümliche Weise den Kopf, ohne die Augen von seinem Gesicht zu lassen, und fragte: »Wie heißt du?«
Thomas wiederholte seinen Namen.
»Ist das ein Name aus einem Märchenbuch?«
Nein, das sei sein wirklicher Name.
Das Kind ließ die linke Hand nachdenklich über die schwarze Holzperlenkette gleiten, die es um den Hals trug. »Ich heiße Marianne von Platen«, sagte es. »Alle Mädchen heißen so bei uns. Und das ist mein Lehrer, Herr Bergengrün … aber ›Orla‹ habe ich noch niemals gehört … wirst du mit Christoph zusammen fischen?«
Nein, Christoph gehe fort. Er werde allein auf der Insel leben.
Christoph sei ein armer Mann, sagte das Kind. Er habe immer böse zu ihr sein wollen und sei immer freundlich gewesen.
Ob es nicht besser sei als umgekehrt, fragte Thomas.
Das wohl, aber am besten sei es doch, freundlich sein zu wollen und es auch zu sein, nicht wahr?
Da habe sie sicherlich recht.
»Herr Bergengrün«, fuhr Marianne fort, »sagt immer, alle Menschen sind anders, als sie aussehen. Aber ich glaube das nicht. Herr Bergengrün sieht immer aus wie ein aufgeschreckter Wichtelmann, und so ist er auch, nicht wahr, Herr Bergengrün?« Ein leises Lächeln bewegte ihren Mund, und sie legte ihre rechte Hand mit einer zärtlichen Bewegung auf den Arm des verlegenen Kandidaten.
»Das sind so unsere Scherze«, sagte er entschuldigend, »doch würde es uns wohl tun, wenn wir dann und wann auf die Insel kommen könnten. Mit Christoph hatte es seine Sonderheiten …«
Mit dir auch, mein Guter, dachte Thomas und sagte, dass es ihn freuen werde, sie bei sich zu sehen.
»Und wirst du dort wirklich fischen?« fragte das Kind.
»Ja, ich habe Christoph gesagt, dass ich den Fisch mit der goldenen Krone fangen werde.«
»Gibt es den?«
»Die Märchen sagen es.«
»Und dann?«
»Dann will ich ihn dir schenken.«
Sie atmete einmal tief auf, und Thomas sah, wie die Perlenschnur über der zarten Kehle sich einmal bewegte.
Dann verneigte er sich ernsthaft wie vorher und stieg die Treppe hinunter.
Im Walde erst, als er seine Pfeife stopfte, kam ihm zum Bewusstsein, dass es nun geschehen war, ja dass er darüber hinaus gelobt hatte, vor dem Feinde zu fallen, wenn es nötig sei, und eine goldenene Krone zu verschenken, wenn er sie gewänne.
Er saß auf einem Baumstumpf in der Sonne und begann zu rechnen. Er war immer ordentlich in diesen Dingen gewesen und wusste, was einem Mann an Brot, an Fleisch, an Tabak und Kleidung zukam. Er wusste auch, was er hier nicht brauchen würde und wo die Grenze zwischen gewollter Einfachheit und erzwungener Ärmlichkeit lag. Es zeigte sich, dass seine Pension den Seinigen ohne Abzug bleiben konnte und dass ihm jeden Monat eine geringe Summe übrigbleiben würde, um ein paar Bücher zu kaufen oder einen Garten anzulegen. Dass also selbst in dem grauen Hause Schönheit oder Freude einkehren dürften, wenn ihn danach verlangte. Ja, dass er sogar Gäste mit Anstand würde aufnehmen können, das ernsthafte Fräulein, das wahrscheinlich aus einem Goldrahmen in der Halle heruntergestiegen war, und den biblischen Begleiter, der so feierlich sprach, als wäre er schon mit den Erzvätern durch die Wüste gezogen.
Er sah nun alles so weit, als hätten sich Jahre davorgeschoben: das Haus mit den Kiefern im Vorgarten, die donnernden Züge der Untergrundbahn, den Strom mit den Schiffslampen, vertraute und fremde Gesichter. Er bedachte, wie leicht es war, sich von allem zu lösen, außer von dem Kinde, und erschrak darüber. Ein brüchiges Gewebe, das unter den Händen zerfiel. Es konnte nicht nur so sein, dass er von allem Abschied genommen hatte, als sie ausfuhren damals, in den ersten Nächten des großen Krieges, dass sie die Fäden aufgelöst hatten, die sie mit der Zeit verbanden. Denn sie wollten doch wiederkehren, das hatten sie doch alle gehofft. Aber es war wohl so, dass sie nun mit anderen Augen wiederkehrten, er wenigstens, und die alte Welt ihnen seltsam verändert war, Menschen, Meinungen, selbst das Geliebteste der Erde. Das alte Glück war kein Glück mehr, ein welker Strauß stand da, und man ging um ihn herum, sah, dass es nicht an Wasser fehlte, nicht an Sonne, und doch blieb er welk. Dies war es: der welke Strauß! Man warf ihn nicht fort, wo die frischen Blumen wuchsen, ganz andere und noch unbekannte, und den anderen schien er auch nicht welk, sondern glühend und leuchtend wie zuvor. Sie sahen den Wurm nicht, aber er sah ihn. Etwas musste falsch gewesen sein, von Anfang an, aber er konnte es nicht erklären. Er hatte gefühlt, dass er den Boden verlor, und nichts war da, an das er sich klammern konnte.
Nun also würde er fortgehen, und nur als von einem Narren würde von ihm geredet werden. Sein Vater würde es wissen, aber sein Vater war tot. Man musste es nun allein wissen. Sich abends mit frohem Herzen niederlegen können, das war vielleicht das ganze Geheimnis. Froh, wenn man an den gewesenen Tag, und froh, wenn man an den kommenden Tag dachte. Keine Erlebnisse, keine Heldenrolle, kein Glanz um die Stirn. Die Netze auslegen und wieder einziehen, Haus und Insel sauberhalten, ein paar Seiten lesen und abends am Wasser sitzen und in die Sterne sehen. Den Vertrag erfüllen, den man unterschrieben hatte.
Wann war er froh gewesen zur Nacht? Er legte Jahr auf Jahr beiseite und kam wieder bis zu seiner Kinderzeit. Der Vater, der gute Nacht sagte, das offene Fenster, durch das die leisen Geräusche des Gutshofes kamen, der Zigarrenrauch aus dem Nebenzimmer, wo der Vater noch über den Rechnungsbüchern saß oder in einem Band Fontane las. Die Bilder, die sich immer mehr verwirrten … der Weizenschlag mit der brennenden Sonne … der Waldsee mit den alten Hechten … das Pferd, das er ritt, immer mit etwas klopfendem Herzen … die Uhr auf dem Hof, die ihre Schläge über die nebligen Felder schickte, und der letzte Schlag tönte lange nach, Welle auf Welle, immer mehr ersterbend … frohen Herzens, so war er eingeschlafen und wieder aufgewacht.
Aber dann nicht mehr. Nicht als Kadett und nicht als Leutnant. Dienst und Pflicht immer wie eine Rüstung auf der Brust, und manchmal schmerzte die Rüstung … die Segel, der Mastkorb und dann die Geschütze, die Navigation,