Robert Louis Stevenson

Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson


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nieder und stand auf; er taumelte ein wenig.

      Ich glaube, durch seine Bewegung kam ich wieder zur Besinnung. Denn kaum hatte er das getan, kletterte ich den Hügel hinauf und schrie: »Der Mörder! Der Mörder!«

      Es war inzwischen so wenig Zeit vergangen, daß – als ich auf die Höhe des ersten Abhangs gekommen war, so daß ich einen Teil des Berges frei übersehen konnte – ich den Mörder noch gar nicht weit von uns erblickte. Es war ein großer Mann in einem schwarzen Mantel mit Metallknöpfen, der eine lange Vogelflinte trug.

      »Hier!« schrie ich, »ich sehe ihn!«

      Daraufhin warf der Mörder schnell einen Blick über seine Schulter zurück und fing zu laufen an. Im nächsten Augenblick war er zwischen den Birken verschwunden. Dann kam er weiter oben wieder hervor, und ich sah ihn, wie einen Affen hinaufklettern, denn dieser Teil war wieder sehr steil, dann verschwand er hinter einem Bergrücken und ich sah ihn nicht mehr.

      Ich selbst war die ganze Zeit weitergelaufen und inzwischen hübsch hoch gekommen, als mir eine Stimme zurief, stehen zu bleiben.

      Ich war am Rande des oberen Waldes und sah daher, als ich zurück blickte, den ganzen unteren Teil des Hügels vor mir.

      Der Rechtsgelehrte und der Gerichtsvollzieher standen gerade oberhalb der Straße und winkten und riefen mir zu, doch herunterzukommen und links tauchten die Rotröcke, Muskete in der Hand, einzeln aus dem unteren Wald hervor.

      »Warum soll ich zurückkommen?« rief ich. »Kommt ihr herauf!«

      »Zehn Pfund, wenn ihr den Burschen fangt!« rief der Rechtsgelehrte. »Er ist mitschuldig. Er hielt hier Wache, um uns im Gespräch aufzuhalten.«

      Bei diesen Worten (die ich ganz deutlich hören konnte, obwohl er sie den Soldaten, nicht mir zurief), fühlte ich, wie mir das Herz im Halse schlug, mit einer mir ganz neuen Empfindung von Entsetzen. Wahrlich es ist eine andere Sache in Lebensgefahr zu stehen, oder Leben und guten Ruf zugleich zu verlieren. Außerdem war die Sache so plötzlich gekommen, wie ein Blitzschlag aus klarem Himmel, so daß ich ganz bestürzt und hilflos war.

      Einige der Soldaten fingen nun an zu laufen, andere hoben ihre Flinten und zielten. Und ich stand immer noch regungslos still.

      »Duck dich hier unter die Bäume!« sagte eine Stimme dicht neben mir.

       Ich wußte wirklich kaum, was ich tat, aber ich gehorchte. Im selben Augenblick hörte ich Schüsse krachen und die Kugeln durch die Birken zischen.

      Gleich hinter den schützenden Bäumen fand ich Alan Breck, der eine Angelrute trug. Er begrüßte mich nicht, wir hatten wahrhaftig keine Zeit für Höflichkeiten. »Komm!« sagte er nur und rannte längs des Berges in der Richtung nach Balachulisch davon; ich wie ein Schaf hinterdrein.

      Bald rannten wir zwischen Birken, bald bückten wir uns hinter große Vorsprünge der Berglehne, bald krochen wir auf allen vieren, zwischen Heidegestrüpp. Das Tempo war mörderisch. Mein Herz schien an meinen Rippen bersten zu wollen. Ich hatte weder Zeit zum Denken, noch Atem zum sprechen. Ich erinnere mich nur voll Verwunderung bemerkt zu haben, daß sich Alan hin und wieder zu seiner vollen Höhe aufrichtete und zurückblickte. Und jedesmal antwortete weit hinten das Jauchzen und Rufen der Soldaten.

      Eine Viertelstunde später hielt Alan still, warf sich flach in die Heide und wendete sich an mich.

      »Jetzt,« sagte er, »wird's ernst. Tue, was ich tue, wenn dir dein Leben lieb ist.«

      Und mit der größten Eile, aber jetzt mit unendlich größerer Vorsicht gingen wir wieder zurück längs der Berglehne, denselben Weg, den wir gekommen waren, nur vielleicht etwas höher, bis sich Alan endlich im oberen Teil des Waldes von Lettermore, wo ich ihn zuerst gefunden hatte, zu Boden warf. Er lag mit dem Gesicht in den Farnen und keuchte wie ein Hund.

      Mir selbst tat alles so weh – mir brummte der Kopf, ich hatte Seitenstechen, die Zunge hing mir vor Hitze und Trockenheit aus dem Mund – daß ich wie tot neben ihm lag.

      Kapitel XVIII

       Ich spreche mit Alan im Wald von Lettermore

       Inhaltsverzeichnis

      Alan war der erste, der sich wieder erholte. Er stand auf, ging bis an den Waldesrand, guckte ein wenig hinaus, kam dann zurück und setzte sich wieder.

      »Na, David,« sagte er, »daß war ein heißes Rennen.«

      Ich sagte nichts und hob nicht einmal den Kopf. Ich war Zeuge eines Mordes gewesen und hatte mitangesehen, wie ein großer, starker, frischer Mensch in einem Augenblick ums Leben gebracht worden war. Der Jammer dieses Anblickes war noch frisch in mir, und doch war das nur ein Teil dessen, was mich betroffen hatte. Der Mann, der hier ermordet worden war, war der Mann, den Alan haßte. Und hier im Walde lag Alan im Hinterhalt und lief vor Soldaten davon. Und ob es nun seine Hand gewesen sein mochte, die den Schuß abgefeuert hatte oder sein Kopf, der es befohlen – das galt mir gleich. So wie ich es sah, war der einzige Freund, den ich in diesem wilden Lande hatte, des Mordes schuldig. Ich verabscheute ihn. Ich konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Ich wäre lieber allein im Regen auf meiner kalten Insel gelegen, als in diesem warmen Wald neben einem Mörder.

      »Bist du noch erschöpft?« fragte er wieder.

      »Nein,« sagte ich, noch immer das Gesicht in den Farnen »nein, ich bin jetzt nicht mehr erschöpft und kann sprechen. Wir müssen uns trennen, Alan, du und ich. Ich liebte dich sehr, Alan, aber deine Wege sind nicht die meinen, und es sind auch nicht Gottes Wege. Kurz und gut, wir müssen uns trennen.«

      »Ich will mich nicht von dir trennen, David, ohne irgend einen Grund dafür zu wissen,« sagte Alan sehr ernst. »Wenn du etwas weißt, was gegen meinen guten Ruf ist, so ist das wenigste, was du unserer alten Freundschaft schuldig bist, daß du es mir sagst; und wenn du nur einfach meiner Gesellschaft überdrüssig geworden bist, dann wird es mir zukommen, darüber zu urteilen, ob ich mich beleidigt fühle oder nicht.«

      »Alan,« sagte ich, »was hat das alles für einen Sinn? Du weißt ganz genau, daß jener Campbell dort in seinem Blute auf der Straße liegt.«

      Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Hast du je die Geschichte vom Mann und den guten Geistern gehört?«

      »Nein,« sagte ich, »und ich will sie auch nicht hören.«

      »Mit Eurer Erlaubnis, Herr Balfour, werde ich sie Euch doch erzählen,« sagte Alan. »Der Mann, müßt Ihr wissen, war auf einen Felsen im Meere verschlagen worden, zu dem die guten Geister zu kommen pflegten, um dort auf ihrem Weg nach Irland zu rasten. Der Name dieses Felsens ist Skerryvore, und er liegt nicht weit von der Stelle, wo wir Schiffbruch gelitten haben. Nun der gute Mann scheint so bitterlich geweint und geschrieen zu haben, daß er sein Kind noch einmal sehen möchte, ehe er sterbe, bis der König der guten Geister sich seiner erbarmte und einen ausschickte, der hinflog und das Kind in einem Sack herbrachte, den er neben den schlafenden Mann legte. Als der Mann erwachte, erblickte er den Sack neben sich und sah, daß sich etwas darin bewegte. Nun scheint er einer von jenen gewesen zu sein, die immer das Schlimmste vermuten, und so stieß er, der Sicherheit halber, seinen Dolch in den Sack, ehe er ihn öffnete und da fand er sein Kind tot. Ich denke mir eben Herr Balfour, daß Ihr mit dem Manne viel Ähnlichkeit habt.«

      »Willst du damit sagen, daß du deine Hand nicht mit im Spiel hattest?« rief ich und setzte mich auf.

      »Zuerst will ich Euch in aller Freundschaft sagen, Herr Balfour von Shaws,« sagte Alan, »wollte ich einen von jenen Edelleuten töten, so tat ich es sicher nicht in meinem Heimatlande, um nicht Unheil über meinen Clan zu bringen. Auch ging ich nicht ohne Schwert oder Büchse mit einer langen Angelrute einher.«

      »Ja,« sagte ich, »das ist wahr!«

      »Und nun,« fuhr Alan fort, zog einen Dolch heraus und legte die Finger auf die Klinge, »schwöre ich bei dem heiligen Stahl, ich hatte weder Kenntnis davon, noch Teil daran, nicht an der Tat und nicht an dem Plan.«