Stutzsäbel bereit.
»Löscht das Feuer aus!« sagte der Kapitän; »die Kälte hat aufgehört, und wir dürfen keinen Rauch in die Augen bekommen.«
Herr Trelawney trug mit eigenen Händen den eisernen Feuerbehälter hinaus, und die glühenden Kohlen wurden draußen in dem Sande ausgelöscht.
»Hawkins hat noch nicht gefrühstückt. Nimm dir etwas, Hawkins, aber geh sofort auf deinen Posten zurück und iß es dort,« sagte Kapitän Smollett. »Nun, ein bißchen fix, Jim! Du wirst es nötig haben, bevor du fertig bist. Hunter, gebt jedem ein Glas Branntwein!«
Während das Getränk verteilt wurde, machte der Kapitän sich seinen Verteidigungsplan zurecht.
»Sie, Doktor, werden die Tür übernehmen,« sagte er. »Geben Sie sich ja keine Blöße, sondern halten Sie sich drinnen und feuern Sie durch den Vorbau. Hunter, Ihr übernehmt die Ostseite; Joyce, Ihr kommt hierhin nach Westen, mein Mann. Herr Trelawney, Sie sind der beste Schütze; Sie und Gray werden die lange Nordseite übernehmen, mit den fünf Schießscharten; auf dieser Seite ist die Gefahr. Wenn sie an uns herankommen könnten und durch unsere eigenen Schießscharten auf uns feuerten, dann sähe die Sache dreckig für uns aus. Hawkins, du und ich, wir kommen als Schützen nicht sehr in Betracht, wir werden die abgeschossenen Musketen laden und überall zur Hand gehen, wo es nötig ist.«
Die Kälte hatte aufgehört, wie der Kapitän gesagt hatte. Sobald die Sonne über den Gipfel der Waldbäume hinübergeklettert war, strahlte sie mit aller Macht auf die Lichtung und schluckte im Nu die Nebeldünste ein. Bald war der Sand glühend heiß, und das Harz im Holz des Blockhauses begann zu schmelzen. Jacken und Röcke wurden abgeworfen, die Hemden am Halse geöffnet und die Ärmel bis an die Achseln aufgestreift. Und jeder stand an seinem Posten, fieberhaft glühend von der Hitze und von der Erwartung.
Eine Stunde verging.
»Hol’ sie der Teufel!« sagte der Kapitän. »Dies ist so langweilig wie in den Doldrums. Gray, pfeift mal nach einem Wind!«
Aber gerade in diesem Augenblick kam das erste Anzeichen des Angriffes.
»Verzeihen Sie, Herr,« sagte Joyce, »wenn ich irgendeinen sehe, soll ich dann feuern?«
»Das sagte ich Euch ja!« rief der Kapitän.
»Danke Ihnen, Herr,« antwortete Joyce mit derselben ruhigen Höflichkeit.
Eine Zeitlang erfolgte nichts; aber die Bemerkung hatte uns alle aufgemuntert; wir strengten unsere Augen an und spitzten die Ohren – die Schützen hielten ihre Musketen schußfertig in der Hand, der Kapitän stand mit sehr fest geschlossenen Lippen und gerunzelter Stirn mitten im Blockhaus.
So vergingen einige Sekunden. Da legte Joyce plötzlich seine Muskete an und feuerte. Der Knall war noch nicht verklungen, so antwortete schon von draußen eine rollende Salve; Schuß folgte auf Schuß, wie Wildgänse in ihrem Fluge, von allen vier Seiten der Palisaden. Mehrere Kugeln trafen das Blockhaus, aber keine einzige drang durch die Wände; und als der Rauch sich wieder verzogen hatte, sah die Umpfählung mit dem Walde ringsum so ruhig und leer aus wie zuvor. Kein Busch bewegte sich, kein Aufblitzen eines Musketenlaufes verriet die Anwesenheit unserer Feinde.
»Habt Ihr Euren Mann getroffen?« fragte der Kapitän.
»Nein, Herr,« antwortete Joyce, »ich glaube nicht.«
»Wenigstens gut, daß Ihr die Wahrheit sagt,« murmelte Kapitän Smollett. »Lade sein Gewehr, Hawkins! Wie viele waren nach Ihrer Meinung auf Ihrer Seite, Doktor?«
»Das kann ich ganz genau sagen,« sagte Doktor Livesey. »Auf dieser Seite wurden drei Schüsse abgefeuert. Ich sah es dreimal aufblitzen – zwei Blitze waren dicht beieinander, der dritte war da nach Westen zu.«
»Drei,« sagte der Kapitän. »Und wie viele auf Ihrer Seite, Herr Trelawney?«
Aber diese Frage war nicht so leicht zu beantworten. Auf der Nordseite waren viele Schüsse gefallen. – Nach des Squires Berechnung sieben, nach Grays Meinung acht oder neun. Von Westen und Osten war nur je ein einziger Schuß gefallen. Hieraus ging klar hervor, daß der Angriff von der Nordseite kommen würde und daß wir auf den drei anderen Seiten nur durch einen Scheinangriff beschäftigt werden sollten. Aber Kapitän Smollett änderte trotzdem nichts an seinen Anordnungen. Er meinte: wenn es den Meuterern gelänge, über die Lichtung zu kommen, würden sie jede unbesetzte Schießscharte benutzen, um uns wie Ratten in unserer eigenen Festung niederzuschießen.
Übrigens hatten wir nicht mehr viel Zeit, darüber nachzudenken. Plötzlich brach mit einem lauten Hurra ein kleines Häuflein der Piraten aus dem Walde an der Nordseite hervor und lief stracks auf die Palisaden los. In demselben Augenblick wurde vom Walde aus das Feuer wieder eröffnet; eine Büchsenkugel pfiff durch die Eingangstür und zerschmetterte des Doktors Muskete.
Die Angreifer kletterten mit affenartiger Behendigkeit über den Zaun. Der Squire und Gray feuerten jeder mehrere Male; drei von den Meuterern fielen: einer auf der Lichtung, zwei stürzten von dem Zaun nach der Außenseite herab. Aber von diesen war der eine offenbar nicht ernstlich verwundet; denn er war im Nu wieder auf den Füßen und verschwand sofort unter den Bäumen.
Zwei hatten in den Sand gebissen, einer war geflohen, vieren war es geglückt, in unsere Verteidigungswerke einzudringen, während aus ihrer Deckung im Walde sieben oder acht Piraten, von denen augenscheinlich jeder mit mehreren Musketen versehen war, ein lebhaftes, jedoch unwirksames Feuer gegen das Blockhaus unterhielten.
Die vier, die über den Zaun gekommen waren, rannten mit Geschrei auf das Haus los, und die Leute unter den Bäumen erwiderten das Geschrei, um ihre Kameraden zu ermutigen. Mehrere Schüsse wurden abgefeuert, aber unsere Schützen waren zu hastig und hatten wahrscheinlich niemanden getroffen. Im Nu waren die vier Piraten den Hügel hinaufgerannt und fielen über uns her.
An der mittelsten Schießscharte erschien der Kopf des Bootsmanns Hiob Anderson.
»Auf siel Auf sie, alle Mann!« brüllte er mit Donnerstimme.
In demselben Augenblick packte ein anderer Pirat Hunters Muskete an der Mündung, riß sie ihm aus der Hand, zog sie durch die Schießscharte heraus und streckte mit einem Kolbenschlag den armen Burschen zu Boden. Unterdessen war ein dritter Pirat um das Haus herumgelaufen, erschien plötzlich an der Eingangstür und fiel mit seinem kurzen Säbel über den Doktor her.
Unsere Lage hatte sich völlig verändert. Einen Augenblick vorher feuerten wir aus Deckung auf einen Feind, der unseren Schüssen bloßgestellt war; jetzt aber lagen wir ohne Deckung und konnten keinen Schlag erwidern.
Das Blockhaus war voll von Pulverdampf, und diesem Umstand verdankten wir unsere verhältnismäßige Sicherheit. Geschrei und Getümmel, Aufblitzen und Knall von Pistolenschüssen und ein lautes Stöhnen klangen mir in die Ohren.
»Auf, Jungens, auf! packt sie draußen an! Nehmt die Säbel!« rief der Kapitän.
Ich ergriff einen Stutzsäbel von dem Haufen und bekam dabei von einem anderen, der gleichzeitig nach einer Waffe griff, einen Schnitt über die Fingerknöchel, den ich aber kaum fühlte. Ich sprang aus der Türe in den hellen Sonnenschein hinaus; irgendeiner lief dicht hinter mir – ich wußte nicht, wer. Gerade vor mir verfolgte der Doktor seinen Angreifer den Berg hinunter; gerade als ich hinsah, schlug er ihm die Parade durch und der Mann stürzte mit einer großen klaffenden Wunde über das ganze Gesicht zu Boden und streckte alle viere von sich.
»Ums Haus herum, Jungens! Ums Haus herum!« schrie der Kapitän, und ich bemerkte trotz dem Getümmel, daß seine Stimme einen merkwürdigen Klang hatte.
Mechanisch gehorchte ich, wandte mich nach Osten und lief mit geschwungenem Säbel um die Ecke des Hauses herum. Im nächsten Augenblick sah ich mich Anderson gegenüber. Er brüllte laut auf, und seine Klinge, die er über dem Kopf schwang, blitzte in der Sonne. Ich hatte keine Zeit, mich zu fürchten; da aber der Schlag nicht sofort fiel, sprang ich im Nu zur Seite, glitt in dem losen Sand aus und rollte den Abhang hinunter.
Als ich aus der Tür gesprungen war,