Axel Formeseyn

Voll die Latte


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      „Und Torbjörn Nilsson – das ist der schwedische Mittelstürmer von Kaiserslautern und der heißt wirklich so – müsste schießen!“

      Maik versucht zu retten, was zu retten ist: „Aber pass auf, nicht so doll!“

      „Und er schießt!“

      Und Maik hält. „Aber Uli Stein hält!“

      Maik strahlt erleichtert. „Den hat Uli aber in echt richtig gut gehalten. Das wäre beinahe in die Hose gegangen!“

      „Ja. Hast recht. Aber einen Freistoß kriegt Kaiserslautern noch!“

      Und das ist für Maik dann wirklich zu viel. Er droht: „Wenn der reingeht, dann bist du überhaupt gar kein richtiger Fan.“

      „Bin ich doch!“

      „Bist du nicht! Warum lässt du HSV nicht einfach mal zu null gewinnen? So ein Zu-null-Spiel wäre doch für Uli Stein auch mal gut!“

      Ich will hier nicht lange rumquatschen, sondern schieße flach ins Eck, wobei Maik so dermaßen mit Schimpfen beschäftigt ist, dass er den eher schwach geschossenen Ball durchlässt. „Und das 5:1 für Kaiserslautern durch Axel Brummer! Und, meine Damen und Herren, hier ist auch schon der Schlusspfiff.“

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      Ich gehe zum Tor, um mir meine Trainingsjacke anzuziehen.

      „Ich muss jetzt auch nach Hause.“

      Maik zieht seine Torwarthandschuhe aus, holt den Ball aus dem Netz und klingt ziemlich sauer. „Ich auch. Ich glaube, wir essen jetzt sowieso Abendbrot.“

      „Wir auch. Kommst du morgen wieder vorbei?“

      „Meinetwegen. Aber dann bin ich HSV!“

      29. Juli 1983

      HSV – Werder Bremen 2:0 (nach nur wenigen Minuten und auch nicht „in echt“, sondern nur „im Spiel“)

      Einen Tag später regnet es schon den ganzen Tag, aber dann ruft Papa, der heute Spätschicht hat und darum nachmittags zu Hause ist, von unten hoch: „Maik ist da!“

      Ich lese gerade in meinem Lieblingsbuch „Donald vor, noch ein Tor“, und wie ich Papa rufen höre, da lege ich das Lustige Taschenbuch zur Seite, freue mich und renne runter, um Maik zu begrüßen.

      „Wollen wir drinnen spielen?“

      „Super! Dann können wir ja wieder Kassetten aufnehmen mit Fußball-Bundesliga-Reportagen.“

      Und schon sind wir unterwegs in das Zimmer meiner Schwester, die mal wieder nicht zu Hause ist. Wir borgen uns eine von ihren Aufnehmkassetten aus, schmeißen die in den alten Kassettenrekorder aus der Küche rein und hören erst mal, was drauf ist: „Och, das ist ja nur Chris de Burgh“, winke ich ab und Maik bewertet genauso fachmännisch: „Alter Hut!“ Und schon wenig später heißt es bei uns beiden: „Aufnahme läuft!“

      Wie immer starten wir mit dem Bundesligazug, der auch beim NDR wöchentlich die Samstagnachmittagsbundesligasendung einläutet und den wir gekonnt und laut in das kleine Radiomikrofon hineinschmettern: „Düüüüü-düdel-düdel-düdel-düdel-düüüü – runter mit der Stimme! – DÜDÜ! – rauf mit der Stimme! – Düüüüü-düdel-düdel-düdel-düdel-düüüü – rauf mit der Stimme! – DÜDÜ! – nochmal rauf mit der Stimme!…“ Und so weiter, und während im Hintergrund Maik immer weiter, nun aber leiser, „düdel dü“ summen muss, melde ich mich direkt aus dem Studio: „Ja, meine Damen und Herren, der Bundesligazug, er rollt wieder! Herzlich willkommen zum ersten Spieltag der Fußball-Bundesliga. Mein Name ist Günther Maletzko!“ Den finde ich ja besonders stark, weil er immer so super aus der Nase raus kommentiert. Und durch die Nase kündige ich auch die, wie es bei uns Fachmännern heißt, „Bundesliga-Paarungen“ an: „HSV gegen Werder, Bayern gegen Bielefeld…“ und so weiter und so fort. Aber bevor das mit den „Bundesliga-Paarungen“ losgehen kann, spielen wir „erst mal etwas Musik, meine Damen und Herren!“.

      Das machen die im Radio in echt auch immer, weiß der Teufel, warum, schließlich wollen wir und alle anderen Fußballfans, die samstagnachmittags Fußball im Radio hören, ja sowieso nur Fußball hören und nicht Musik, aber weil die das in echt auch immer tun, müssen wir das auch machen, „sonst ist das nicht realistisch“. Doof ist das für uns nur immer dann, wenn ausgerechnet an der Stelle, an der Maik und ich „eine kleine Musikpause zum Durchpusten“ einlegen wollen, gerade überhaupt keine Musik ist, weil nämlich auf der Kassette, die meine Schwester aufgenommen hat, gerade da eine Liedpause ist. Maik findet das überhaupt nicht komisch und geht mit meiner Schwester hart ins Gericht: „Deine Schwester ist echt bescheuert. Warum hat die da kein Lied drauf?“ Zwar kommt dann meistens doch noch irgendeine Schnulze, aber die Pause ist – na klaro – trotzdem drauf und „die hört sich scheiße an“. Sagt Maik. Und wo er recht hat, hat er recht.

      Aber es muss ja weitergehen: „Wir gehen rüber nach Hamburg, zu Kurt Emmerich!“

      Und nun ist Maik dran. Er darf heute alle Bundesligaspiele kommentieren, während ich als Günther Maletzko im Funkhaus den Überblick behalte. „Ja, meine Damen und Herren, hier steht es schon 1:0 für den HSV, durch Jürgen Groh…“

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      Und ich kann nicht anders und unterbreche Maik. „Wieso steht das schon 1:0? Da sind doch erst 5 Minuten gespielt!“

      „Ja, und? Ist das verboten, dass HSV ein Tor schießt, oder was? Was bist du eigentlich für ein Fan!?“

      „Zumindest bin ich nicht so ein ‚1:0-nach-fünf-Minuten-Fan‘ wie du!“

      „Pah!“ Maik lässt sich nicht beirren: „Jürgen Groh ist da alleine durch die Bremer Abwehr gegangen und hat einfach mal trocken abgezogen und Dieter Burdenski keine Chance gelassen! Hier ist eine Riesenstimmung im Hamburger Volksparkstadion! Ich gebe zurück in die angeschlossenen Funkhäuser!“

      „Ja, meine Damen und Herren – die Ansage ‚Meine Damen und Herren‘ gehört immer dazu, das machen die im Radio in echt auch immer – das war Kurt Emmerich und was höre ich? Da ist irgendwo ein Tor gefallen?“

      „Jooo, hierrr ist Gerrrd Rrrrubenbauer. Und die Bayern-Sprrrechchöre sind verstummt. Es steht 1:0 für die Arrrminia aus Bielefeld und Torschütze in der siebten Spielminute war Grrrregorrr Grrrillermeier. Ich gebe zurrrück in die angeschlossenen Funkhäuser, oder ist da noch irrrgendwo etwas passiert?“

      „Elfmeter in Hamburg!“ (Maik nun wieder!) „Elfmeter für Werder!“ (???) „Eine umstrittene Entscheidung von Walter Eschweiler. Und Uwe Reinders tritt an und – WOOOOOOAAAAHHHHHHH! – die Fans rasten aus! – Gehalten!“ (!!!) „Uli Stein hält den Elfmeter! Es bleibt beim 1:0 für den HSV!“

      Und nun geht es drunter und drüber: „TOOR für die Eintracht aus Braunschweig! 1:0 durch Ronny Worm! Dieser nahm eine Flanke von…“

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      „Und TOOOOR in Hamburg! WOOOAAAHHHHHHHHHHH! 2:0 für den HSV! Nach 14 Minuten schießt Lars Bastrup das 2:0. Ein eleganter Heber!“

      Dann ist ja alles wieder in Ordnung in Hamburg. Das findet Maik auch. Und strahlt. HSV führt nach nur wenigen Minuten mit 2:0.

      „Morgen bin ich aber mal wieder dran mit Reporter sein, okay?“

      „Okay, aber nur, wenn’s regnet!“

      19. Mai 1984

      HSV – Eintracht Frankfurt 0:2

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      Wir spielen heute mit der TSV-Nordstrand-Fußballjugend bei Frisia Husum, wobei wir uns überhaupt nicht richtig auf unser Spiel