Adalbert Stifter

Der Nachsommer


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Ihr länger dageblieben seid. Gehen wir aber gegen das Bienenhaus, und setzen wir uns auf eine Bank unter eine Linde. Ich werde Euch auf dem Wege und auf der Bank meine Sache erzählen.“

      Wir schlugen einen breiten Sandpfad ein, der anfangs von größeren Obstbäumen und später von hohen, schattenden Linden begrenzt war. Zwischen den Stämmen standen Ruhebänke, auf dem Sande liefen pickende Vögel, und in den Zweigen wurde heute wieder das Singen vollbracht, welches ich gestern schon wahrgenommen hatte.

      „Ihr habt die Sammlung von Werkzeugen der Naturlehre in meiner Wohnung gesehen“, fing mein Begleiter an, als wir auf dem Sandwege dahingingen, „sie erklären schon einen Teil unserer Sache.“

      „Ich habe sie gesehen“, antwortete ich, besonders habe ich das Barometer, Thermometer, sowie einen Luftblau- und Feuchtigkeitsmesser bemerkt; aber diese Dinge habe ich auch, und sie haben eher, da ich sie vor meiner Wanderung beobachtete, auf einen Niederschlag als auf sein Gegenteil gedeutet.“

      „Das Barometer ist gefallen“, erwiderte er, „und wies auf geringeren Luftdruck hin, mit welchem sehr oft der Eintritt von Regen verbunden ist.“

      „Wohl“, sagte ich.

      „Der Zeiger des Feuchtigkeitsmesser“, fuhr er fort, „rückte mehr gegen den Punkt der größten Feuchtigkeit.“

      „Ja, so ist es gewesen“, antwortete ich.

      „Aber der Elektrizitätsmesser“, sagte er, „verkündigte wenig Luftelektrizität, daß also eine Entladung derselben, womit in unseren Gegenden gerne Regen verbunden ist, nicht erwartet werden konnte.“

      „Ich habe wohl auch die nämliche Beobachtung gemacht“, entgegnete ich, „aber die elektrische Spannung steht nicht so sehr im Zusammenhange mit Wetterveränderungen und ist meistens nur ihre Folge. Zudem hat sich gestern gegen Abend Elektrizität genug entwickelt, und alle Anzeichen, von denen Ihr redet, verkündeten einen Niederschlag.“

      „Ja, sie verkündeten ihn, und er ist erfolgt“, sagte mein Begleiter; „denn es bildeten sich aus den unsichtbaren Wasserdünsten sichtbare Wolken, die ja wohl sehr fein zerteiltes Wasser sind. Da ist der Niederschlag. Auf die geringe elektrische Spannung legte ich kein Gewicht; ich wußte, daß, wenn einmal Wolken entstünden, sich auch hinlängliche Elektrizität einstellen würde. Die Anzeichen, von denen wir geredet haben, beziehen sich aber nur auf den kleinen Raum, in dem man sich eben befindet, man muß auch einen weiteren betrachten, die Bläue der Luft und die Gestaltung der Wolken.“

      „Die Luft hatte schon gestern vormittags die tiefe und finstere Bläue“, erwiderte ich, „welche dem Regen vorangeht, und die Wolkenbildung begann bereits am Mittage und schritt sehr rasch vorwärts.“

      „Bis hieher habt Ihr recht“, sagte mein Begleiter, „und die Natur hat Euch auch recht gegeben, indem sie eine ungewöhnliche Menge von Wolken erzeugte. Aber es gibt auch noch andere Merkmale, als die wir bisher besprochen haben; welche Euch entgangen sind. Ihr werdet wissen, daß Anzeichen bestehen, welche nur einer gewissen Gegend eigen sind und von den Eingebomen verstanden werden, denen sie von Geschlecht zu Geschlecht überliefert worden sind. Oft vermag die Wissenschaft recht wohl den Grund der langen Erfahrung anzugeben. Ihr wißt, daß in Gegenden ein kleines Wölklein an einer bestimmten Stelle des Himmels, der sonst rein ist, erscheinend und dort schwebenbleibend ein sicherer Gewitteranzeiger für diese Gegend ist, daß ein trüberer Ton an einer gewissen Stelle des Himmels, ein Windstoß aus einer gewissen Gegend her Vorboten eines Landregens sind, und daß der Regen immer kömmt. Solche Anzeichen hat auch diese Gegend, und es sind gestern keine eingetreten, die auf Regen wiesen.“

      „Merkmale, die nur dieser Gegend angehören“, erwiderte ich, „konnte ich nicht beobachten; aber ich glaube, daß diese Merkmale allein Euch doch nicht bestimmen konnten, einen so entscheidenden Ausspruch zu tun, wie Ihr getan habt.“

      „Sie bestimmen mich auch nicht“, antwortete er, „ich hatte auch noch andere Gründe.“

      „Nun?“

      „Alle die Vorzeichen, von denen wir bisher geredet haben, sind sehr grobe“, sagte er, „und werden meistens von uns nur mittelst räumlicher Veränderungen erkannt, die, wenn sie nicht eine gewisse Größe erreichen, von uns gar nicht mehr beobachtet werden können. Der Schauplatz, auf welchem sich die Witterungsverhältnisse gestalten, ist sehr groß; dort, wohin wir nicht sehen und woher die Wirkungen auf unsere wissenschaftlichen Werkzeuge nicht reichen können, mögen vielleicht Ursachen und Gegenanzeigen sein, die, wenn sie uns bekannt wären, unsere Vorhersage in ihr Gegenteil umstimmen würden. Die Anzeichen können daher auch täuschen. Es sind aber noch viel feinere Vorrichtungen vorhanden, deren Beschaffenheit uns ein Geheimnis ist, die von Ursachen, die wir sonst gar nicht messen können, noch betroffen werden, und deren Wirkung eine ganz gewisse ist.“

      „Und diese Werkzeuge?“

      „Sind die Nerven.“

      „Also empfindet Ihr durch Eure Nerven, wenn Regen kommen wird?“

      „Durch meine Nerven empfinde ich das nicht“, antwortete er. „Der Mensch stört leider durch zu starke Einwirkungen, die er auf die Nerven macht, das feine Leben derselben, und sie sprechen zu ihm nicht mehr so deutlich, als sie sonst wohl könnten. Auch hat ihm die Natur etwas viel Höheres zum Ersatze gegeben, den Verstand und die Vernunft, wodurch er sich zu helfen und sich seine Stellung zu geben vermag. Ich meine die Nerven der Tiere.“

      „Es wird wohl wahr sein, was Ihr sagt“, antwortete ich. „Die Tiere hängen mit der tieferstehenden Natur noch viel unmittelbarer zusammen als wir. Es wird nur darauf ankommen, daß diese Beziehungen ergründet werden und dafür ein Ausdruck gefunden wird, besonders was das kommende Wetter betrifft.“

      „Ich habe diesen Zusammenhang nicht ergründet“, entgegnete er, „noch weniger den Ausdruck dafür gefunden; beides dürfte in dieser Allgemeinheit wohl sehr schwer sein; aber ich habe zufällig einige Beobachtungen gemacht, habe sie dann absichtlich wiederholt und daraus Erfahrungen gesammelt und Ergebnisse zusammengestellt, die eine Voraussage mit fast völliger Gewißheit möglich machen. Viele Tiere sind von Regen und Sonnenschein so abhängig, ja bei einigen handelt es sich geradezu um das Leben selber, je nachdem Sonne oder Regen ist, daß ihnen Gott notwendig hat Werkzeuge geben müssen, diese Dinge vorhinein empfinden zu können. Diese Empfindung als Empfindung kann aber der Mensch nicht erkennen, er kann sie nicht betrachten, weil sie sich den Sinnen entzieht; allein die Tiere machen infolge dieser Vorempfindung Anstalten für ihre Zukunft, und diese Anstalten kann der Mensch betrachten und daraus Schlüsse ziehen. Es gibt einige, die ihre Nahrung finden, wenn es feucht ist, andere verlieren sie in diesem Falle. Manche müssen ihren Leib vor Regen bergen, manche ihre Brut in Sicherheit bringen. Viele müssen ihre für den Augenblick aufgeschlagene Wohnung verlassen oder eine andere Arbeit suchen. Da nun die Vorempfindung gewiß sein muß, wenn die daraus folgende Handlung zur Sicherung führen soll, da die Nerven schon berührt werden, wenn noch alle menschlichen wissenschaftlichen Werkzeuge schweigen, so kann eine Voraussage über das Wetter, die auf eine genaue Betrachtung der Handlungen der Tiere gegründet ist, mehr Anhalt gewähren, als die aus allen wissenschaftlichen Werkzeugen zusammengenommen.“

      „Ihr eröffnet da eine neue Richtung.“

      „Die Menschen haben darin schon vieles erfahren. Die besten Wetterkenner sind die Insekten und überhaupt die kleinen Tiere. Sie sind aber viel schwerer zu beobachten, da sie, wenn man dies tun will, nicht leicht zu finden sind, und da man ihre Handlungen auch nicht immer leicht versteht. Aber von kleineren Tieren hängen oft größere ab, deren Speise jene sind, und die Handlungen kleinerer Tiere haben Handlungen größerer zur Folge, welche der Mensch leichter überblickt. Freilich steht da ein Schluß in der Mitte, der die Gefahr zu irren größer macht, als sie bei der unmittelbaren Betrachtung und der gleichsam redenden Tatsache ist. Warum, damit ich ein Beispiel anführe, steigt der Laubfrosch tiefer, wenn Regen folgen soll, warum fliegt die Schwalbe niedriger und springt der Fisch aus dem Wasser? Die Gefahr zu irren wird wohl bei oftmaliger Wiederholung der Beobachtung und bei sorglicher Vergleichung geringer; aber das Sicherste bleiben immer die Herden der kleinen Tiere. Das habt Ihr gewiß schon gehört, daß die Spinnen Wetterverkündiger