Franz Hessel

Heimliches Berlin


Скачать книгу

daß du da bist«, sagte sie. »Wer weiß wo hin ich gelaufen wäre, wenn ich dich nicht getroffen hätte.«

      ›Es ist noch nicht Tag‹, dachte er, ›der Traum geht weiter‹ und barg seinen Kopf an ihrer Pelzschulter. Er wäre so noch lange in der Tür stehen geblieben, aber Karola trat bei ihm ein.

      »Was für ein jungenhaftes Zimmer du hast!«

      »Du kennst es noch gar nicht? Ich war so oft bei dir, du nie bei mir.«

      Er tat die große ärmlich geblümte Pensionsdecke über das Bett und holte das Kissen vom Sessel.

      »Ja, gib mir ein bißchen zu liegen.«

      Sie streckte sich aus, Wendelin breitete ein Plaid über sie. »Das erinnert an Reisen«, sagte sie und schloß die Augen.

       Wendelin legte sich zu ihren Füßen quer über das Lager und sah in ihr Gesicht hinauf. Die Lippen waren aufeinander gepreßt wie von einem Entschluß, die Brauen zogen sich herrisch und schmerzlich zusammen, aber in die golddunkle Blässe der Schläfen spielte weich und zärtlich das helle Haar.

      »Wie geht es dir seit gestern?« fragte er etwas verlegen, als sie die Augen aufschlug. Diese Frage kam ihm selbst töricht vor, aber sie wollte wohl so gefragt sein, denn sie antwortete ausführlich:

      »Nicht gut, Wendelin, ich kann nicht mehr so weiterleben, es muß etwas geschehen, ich will fort. Kannst du mir nicht helfen, mit mir verreisen? Unter deinen Onkeln und Vettern sind doch viele Diplomaten. Können die dich nicht ins Ausland schicken? Ich bin dann deine alte Sekretärin. Wenn es drauf ankommt, bin ich sicher ganz praktisch, man läßt mich nur nie etwas Vernünftiges tun. Ich kann gut Englisch und Französisch, sogar etwas Italienisch, und Schreibmaschine, langsam allerdings. Du lachst, mir ist gar nicht zum Lachen. Nimm es lieber ernst, daß ich gerade zu dir komme. Das ist doch sonderbar, da du so jung bist und noch gar nichts bewiesen hast. Aber gestern beim Tanzen fühlte ich, daß du vielleicht der einzige unter uns bist, der noch nicht resigniert, noch nicht weise ist.«

      Er wollte nach ihren Händen fassen, aber sie legte sie unter den Kopf, die Arme auf den Pelz bettend.

      »Jetzt siehst du mich an wie mein junger Bruder, der verstorbene. Der hätte es nicht zugelassen, daß ich so verkomme. Weggenommen hätte er mich von denen, die mich verkommen lassen. Das tun sie nämlich alle zu Hause, mein Mann, meine Schwester, mein Kind, Clemens mit seiner ewigen Güte, Oda mit ihrer täglichen Sorgfalt und selbst mein kleiner Erwin – sie erlauben nicht, daß ich etwas Nützliches tue, sie wollen, daß ich immer nur da sei und mich verwöhnen lasse. Als ich mich anzog gestern abend, um recht gut auszusehen bei Margot, denn bei ihr hat man den Ehrgeiz, möglichst schön und vollkommen zu sein, weil sie selbst so streng mit sich ist, – ihre Kritik ist mir viel maßgebender als die Anerkennung der Männer, die doch fast alle ungenau sind, – als ich mich anziehen wollte und nicht das Rechte fand unter diesen allerlei Tüchern und Schals, die bei uns noch nicht ganz Armen und nicht mehr Kaufenden herumliegen und voll Erinnerungen sind wie alle Reste, ging ich hinüber in das Zimmer, wo das Kind schläft, und geriet über eine Schublade, in der sein Babyzeug zwischen Lavendelkissen aufbewahrt liegt – wozu aufbewahren? Man sollte alles Erledigte verschenken oder verkaufen. Da kramte ich herum; der Kleine wachte auf, hob sich in seinem Bettchen in die Höhe. ›Schläfst du noch nicht?‹ fragte ich hinüber. ›Darf ich dein Kleinkinderzeug anziehen?‹ Und als ich dann vor dem Spiegel anfing, mich weiß zu umwickeln und zu schleiern, fragte der Erwin ganz erstaunt: ›Willst du denn ein kleines Kind werden, Mama?‹›Ja‹, sagte ich, ›ich will noch einmal von vorn anfangen und ganz anders werden.‹ Da sah ich im Glas, wie sein Gesichtchen, das erst gelacht hatte, sich zusammenzog, wie er stutzte vor dem Gedanken, daß ich noch andere Möglichkeiten habe als nur – »– seine Mutter zu sein.«

      »– eigentlich nur Mama. Die richtige Mutter im Hause ist Oda. Ich wollte mir eine Stirnbinde machen. Denn wenn ich nun auch schon kurzes Haar trage, so weiß ich doch nie, soll ich die Stirn nackt zeigen oder das Haar hineinkämmen. Färben müßt ich es auch, ich habe schon weiße Strähnen.«

      »Die sind besonders schön in deinem hellen Blond.«

      »Oh, sag das nicht, sonst muß ich besonders leiden.«

      »Erzähl von der Stirnbinde.«

      »Die wand ich mir aus Erwins Babymull und ließ sie in Zipfeln auf die Schultern hängen. Da kam der Clemens hinzu in seinem blauen Schlafrock mit der Pfeife im Mund, die er immer leer raucht, du kennst seine schreckliche Gewohnheit; kennzeichnend ist sie für ihn, die leere Pfeife. Er braucht keinen Tabak, er raucht Illusion. Er ist ganz üppig vor lauter Entsagung. Ich sah mich nach ihm um und fragte: ›Bin ich zu häßlich so?‹ ›Du bist pharaonisch, herrlich wie eine Mumie‹, sagte Clemens. Ist das nicht ein Todesurteil?«

      Wendelin streichelte andächtig die Decke über ihren Füßen.

      »Und Oda kam und packte mich in den Mantel. Sie ist doch viel schöner als ich und geht nie auf ein Fest. Da führt sie den Haushalt, erzieht das Kind und macht noch obendrein ihre Tapetenmuster und Körbchen und Puppen. Und mich schicken sie weg, ein unnützes Ding, zum Tanzen.«

      »Euer Zusammensein ist mir immer vorbildlich erschienen.«

      »Ich bin so überflüssig.«

      »Du bist die Mitte, du bist der Sinn des Ganzen, bist wie ein Traum der drei andern.«

      »Ach, wenn ich tot wäre, könnten sie besser von mir träumen. Ein Luxus bin ich und möchte doch einem Menschen sein wie das tägliche Brot.«

       Wendelin fühlte sein Herz gegen die Hülle ihrer Füße schlagen. Er richtete sich ein wenig auf und sank dann mit dem Kopf in ihren Schoß. Während er so lag, fiel ihm ein Wort seines Freundes Clemens ein: ›Je mehr wir rühmlich verarmen, um so mehr fühlen wir, daß der Luxus viel notwendiger ist als das tägliche Brot.‹ Das hätte er eigentlich einwenden können, aber er lag so herrlich, fühlte ihre Hand auf seinem Haar und hörte ihre weiche Stimme, die auch in der Klage schmeichlerisch klang.

      »Clemens pflegt mich wie eine Pflanze, bald ängstlich im Treibhaus, bald, geduldig auf die Jahreszeit vertrauend, im Garten. Ich müßte aber gehalten werden wie ein treues Tier, streng und liebevoll und immer in Bewegung. Ich muß fort, noch einmal fort in das, was wir die weite Welt nennen und die Freiheit und die Gefahr, ehe ich mich endgültig drein ergebe, denen zu Haus ihre Träume noch eine Weile vorzuspielen und alt zu werden, ach, hoffentlich nicht zu alt.«

      Wendelin hob den Kopf, ergriff ihre Hände, die sie ihm jetzt überließ.

      »Liebe, liebe Karola, daß ich das alles von dir nie gewußt habe! Und jetzt kommst du zu mir, jetzt da ich fort soll.«

      »Du? Wohin denn?«

      »Zu dem Onkel aufs Land, bei dem meine Mutter lebt. Ich soll Landwirt werden, soll das Studium aufgeben.«

      Da glitt ein Brief durch die Türspalte. Wendelin sah sich um, wollte ihn dann aber nicht beachten. Allein Karola sagte: »Bitte lies ihn.«

      »Jetzt, wo du da bist; der hat doch Zeit.«

      »Sieh wenigstens, von wem er ist.«

      Er stand auf und nahm den Brief. »Von meiner Kusine Jutta.«

       »Lies ihn, sonst mußt du immerzu an ihn denken, und ich habe noch viel mit dir zu sprechen.«

      Er setzte sich vor dem Bett auf den Boden, den Schopf an Karolas Knie gelehnt und las:

      Lieber Wendel!

      Schilleninken, den 25. April

      Solange habe ich nichts von Dir gehört. Als ich auf der Hochzeitsreise war, schriebst Du mir an jede Poststation; seit ich zurückgekehrt bin, vernachlässigst Du mich. Ich sitze hier in dem Belvedere, das mir die Schröders tatsächlich auf Lebenszeit überlassen haben. Sie sind wirklich rührend, die guten Leute, auch jetzt noch, nachdem das verarmte Fräulein von Domrau eine bürgerliche Bankiersgattin geworden ist. Heimlich hat Eißner sich wohl mit dem großzügigen Plan getragen, das ganze Gut zurückzukaufen, aber er ist fein genug zu ahnen, daß