Charles Platt

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      Warum – Ein Vorwort von Charles Platt

      Zwischen 1985 und ’87 trugen die beiden Studenten Rob Meades und David B. Wake, die der Science Fiction Society der Universität Birmingham angehörten, eine kuriose kleine Sammlung mit dem Titel The Drabble Project zusammen (Abb. 1). Sie enthielt 100 Erzählungen von 100 Autoren, jede bestand aus 100 Wörtern. Wie die Herausgeber in ihrem Vorwort erklärten, sei eine 100-wortige Erzählung als »drabble« bekannt.

      Warum?

      Gräbt man tiefer in Monty Python’s Big Red Book von 1971, stößt man dort auf den Vorschlag für ein Gesellschaftsspiel, bei dem jeder Teilnehmer versucht, in so kurzer Zeit wie möglich einen Roman zu schreiben. Um das Spiel praktikabel zu halten, ist jeder »Roman« auf höchstens 100 Wörter zu beschränken. Die Pythons benutzten das Wort »drabble« zur Benennung dieser bahnbrechenden literarischen Form.

      Aber warum?

      Vermutlich ist das Wort eine Anspielung auf die britische Schriftstellerin Margaret Drabble, ich bin mir dessen allerdings nicht sicher. Drabbles zu schreiben wurde jedenfalls gut zehn Jahre später ein oft betriebenes Spiel bei den Birminghamer Fans, und sie beschlossen, auf eigene Faust einige ihrer Lieblingsstücke zu veröffentlichen. Um das Buch aufzufüllen, baten sie Außenstehende um Beiträge, darunter Isaac Asimov, Larry Niven, Terry Pratchett und, ja, sogar mich.

      Mein Drabble

      Die Einladung ehrte mich, doch hatte ich keine Idee, was ich schreiben könnte. Eine herkömmliche Geschichte in 100 Wörter zu quetschen schien nicht gerade besonders herausfordernd zu sein. Man braucht nur die drei Grundbestandteile: ein Problem, eine Entwicklung und ein überraschendes Ende. Das wäre leicht; es ließe sich in drei Sätzen bewerkstelligen.

      Ich beschloss, die Bedingungen etwas zu verschärfen, indem ich mir vornahm, 50 verschiedene Begriffe aus der Science Fiction in meine 100 Wörter zu stopfen.

      Nur um zu sehen, ob es sich machen ließ, nehme ich an.

      Ich wählte den Titel »Skiffygram«. Der Ausdruck »skiffy« ist die buchstabengetreue Aussprache von »sci-fi«, wie mir Alfred Bester damals erklärte.

      Ein Drabble ist so kurz, dass ich meinen Beitrag hier in voller Länge wiedergebe:

      Anmerkung für Pedanten: ›nonAristotelian‹ zählt als ein Wort, ›ion-driven‹ zählt als zwei Wörter, und ›it’s‹ zählt als ein Wort.

      [1] Unsterbliche telepathische Zombie-Zeitreisende aus einem nicht aristotelischen Paralleluniversum, androide Kollektivintelligenzen von Atlantis und unsichtbare levitierende psionische Roboter durchquerten den Hyperraum, um Mutanten, verrückte Wissenschaftler, Humanoide, Marsianer, Computer, Klone, Scientologen und Asteroidenbergleute auf einer überbevölkerten utopischen, mit dem Terraforming von Jupiter befassten Raumkolonie anzugreifen. Dank seiner umfassenden Intuition bemerkte Smith, Kapitän der Sternenflotte, die symbiotischen Alien-Invasoren mit seinem tachyon-empfindlichen holografischen Videoimplantat, erwachte vom Hypnoschlaf, schluckte Nahrungspillen, legte ionengetriebene Antigrav-Telemanipulatoren an, düste los und feuerte seinen atomar betriebenen venusianischen Laser ab. Antimaterie-Quanteneffekte invertierten den Strahl! »Eine Katastrophengeschichte«, krächzte seine Übersetzungseinheit, als der Sonnenwind seine subatomaren Partikel verwehte. (Anm. d. Ü.)

      Abb. 1. Beccon Publications, 1988.

      Metafiktion

      Nachdem ich mein Drabble an Meades und Wake in England abgeschickt hatte, kam ich dazu, es mit kritischem Blick anzusehen. Einige seiner 50 Begriffe schienen ein bisschen marginal zu sein. Asteroidenbergleute zum Beispiel kommen in nicht gar so vielen Science-Fiction-Erzählungen vor. Andere Begriffe gehören mehr in die Wissenschaft als in die Science Fiction: beispielsweise der Sonnenwind. Und wenn ich ein paar Planetennamen anführte – zählen sie wirklich zu den Science-Fiction-Begriffen?

      Diese Überlegungen brachten mich auf die Frage, wie viele wahrhaft elementar wichtige Begriffe in der Science Fiction existieren – also Ideen, die in zahlreichen Büchern vorkommen und derart verbreitet sind, dass sie jetzt zum Standardfundus gehören, auf den alle Autoren des Genres zugreifen. Ich tat mich in der Encyclopedia of Science Fiction um, die eine Liste von »Themen« enthält, doch sie war nur begrenzt hilfreich, da sie äußerliche Erscheinungsformen der Science Fiction (etwa Anime) wie auch inhaltliche Konzepte einschloss.

      Am Ende beschloss ich, mich auf mein Gedächtnis in Kombination mit den Romanen in meinen Regalen zu verlassen. So kam ich zu einer Liste von 43 Begriffen, die ich als hinreichend wichtig ansah – wie zum Beispiel Aliens, Telepathie, Antischwerkraft und Unsterblichkeit.

      Als ich nun meine Liste zusammenhatte, stellte sich die Frage, was damit anzufangen sei. Nun gut, statt einer Erzählung von 100 Wörtern könnte ich einen Roman schreiben, der all diese Begriffe enthielte. Das wäre viel herausfordernder, weil es einen Plot benötigte, in dem die Begriffe koexistieren könnten.

      Warum würde ich das tun wollen?

      Weil mich Metafiktion seit jeher fasziniert hat. Im wörtlichen Sinn bedeutet der Begriff »über die Fiktion hinaus«, wie Metaphysik »über die Physik hinaus«. Metafiktion regt den Leser an, aus dem Erzählten heraus sich zu erheben, um es von oben zu betrachten, einschließlich der Struktur, des Kontextes und des Prozesses, durch den es zustande kam.

      Eine von Google gefundene Definition ist da strenger, deshalb gebe ich sie hier wieder: »Fiktion, in der der Autor bewusst das Artifizielle oder Literaturhafte eines Werks deutlich macht, etwa durch Parodieren oder Abweichen von literarischen Konventionen (speziell Realismus) und traditionellen erzählerischen Verfahren.«

      Die Romane, mit denen ich in den 1950ern und ’60ern groß geworden bin, taten das nie. Wenn ein Autor ein neues Buch plante, begann er (oder – damals nur sehr gelegentlich – sie) vielleicht mit Notizen zu Figuren und Plot und sah sich vielleicht an, wie eine Idee schon früher benutzt worden war. Doch wenn der Autor dann wirklich mit dem Schreiben anfing, erzählte er schlicht eine Story, und der Entstehungsprozess blieb verborgen.

      William Gibson sagte mir einmal, dass Fiktion wie ein farbenprächtiger chinesischer Drache auf einem Straßenfest sei. Die Kinder in der Menge werden durch die sich windende und dahinwogende Gestalt des Drachen belustigt, der lebendig zu sein scheint. Doch darunter stecken eine Menge verschwitzter Kerle, die Stangen und Hebel bewegen, um den Effekt zustande zu bringen. Die Arbeit des Autors bestehe darin, einer dieser Kerle zu sein und den Leser zu beeindrucken, dabei zugleich den Arbeitsvorgang zu verbergen.

      Gibson hatte natürlich recht; doch für mich ist die Weise, in der der Drache in Bewegung gebracht wird, mindestens ebenso interessant wie seine Außenwirkung. Ich finde den Arbeitsvorgang ebenso interessant wie das Produkt, weshalb ich auch am »Drabble Project« interessiert war, wie auch daran, es weiterzutreiben. (Ein Drabble ist wohl insofern eine simple Form von Metafiktion, als dem Leser von Anfang an klargemacht wird, dass der Form die äußerliche Grenze von 100 Wörtern aufgezwungen ist. Das ist ja der springende Punkt.)

      In der zweiten Hälfte der 1960er war das Science-Fiction-Magazin NEW WORLDS voll von Experimenten zu erzählerischen Verfahren. John Sladek, J. G. Ballard, Brian Aldiss, D. M. Thomas und viele andere schrieben